Musik an sich


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Popol Vuh

Revisited & Remixed – 1970 -1999


Info
Musikrichtung: Krautrock, Ambient, Electronica

VÖ: 24.06.2011

Spv Recordings (SPV)

Gesamtspielzeit: 152:19

Internet:

http://www.popolvuh.it


Für manche mag Popol Vuh eine der Bands sein, zu deren Musik man in den 1970ern die braune Terrakotta-Teekanne hervorholte und in Lammfelljacken auf den Bongos mittrommelte und die langen Haare schütelte. Wie wenig das Klischee stimmt, mag man daran erkennen, dass die hippe Electronica-Szene sich nun auch dieser Krautrock-Legende bemächtigt. Wie immer hat das alles natürlich ein bisschen den Beigeschmack von „Will man den Jüngeren die Pioniere nahebringen, muss man sie remixen, sonst gefällt es ihnen nicht.“ Im Jazz spielt man Meilensteine nach bzw. neu ein, in Pop und Clubmusik remixed man eben.
Die Musik des Popol Vuh-Masterminds Florian Fricke ist insofern für Electronica-Musiker von heute interessant, wie Fricke als einer der ersten Musiker den legendären Moog III-Synthesizer nutzte. Außerdem probierte er in den 1990er Jahren tanzbare Worldbeat-Arrangements in seiner Musik. Popol Vuh spielte eine zutiefst spirituelle wie ethnisch gefärbte, aber auch elektronische Musik, die heute als Ambient-Electronica ihre Fortsetzung gefunden hat. Zudem war die Band für Filmmusik vor allem für Filme von Werner Herzog wie z. B. „Aguirre“ tätig. Hier hört man eher die klassische Ausbildung Frickes heraus. Die Musik Popol Vuhs war meist von sphärischen Klängen, mystischer Perkussion, mantra-artigem Spiel auf Tasteninstrumenten, engelsgleichem Gesang, Klangeffekten und dem weitgehenden Verzicht auf Gitarren geprägt. Florian Fricke widmete sich seit Ende der 70er Jahre auch intensiv der Musiktherapie bzw. der Atemtherapie, spielte aber auch Mozart-Kompositionen ein. Er starb 2001 an einem Schlaganfall.

In den letzten 15 Jahren gab es ein verstärktes Aufflammen des Progressive Rocks und damit ein erneutes Interesse an deutschen Krautrockern. So lohnte es sich auch, alle Popol Vuh-Alben ab 2004 wiederzuveröffentlichen, wodurch schnell die Idee geboren wurde, sich auch hier mit Remixen an Frickes Werk heranzuwagen. Entsprechend besteht das Doppel-Album auch zur Hälfte aus Originalen und Remixen. Auffallend ist, dass verhältnismäßig viele Soundtracks geremixed wurden. Sie boten mit ihren sphärigen Klängen ein verhältnismäßig einfach zu bearbeitendes Ausgangsmaterial.
Nun ist Remixen eine Kunst, bei der es streitbar ist, wo die Qualitäten liegen. Die gegebenen Freiheiten führen oft dazu, dass manche Ergebnisse auch in die Kategorie „Rache am Original“ passen. Manche nutzen sie für eine Selbstinszenierung, bei der das Ausgangsstück meist nur noch erahnbar ist. Interessanter sind da eher Modernisierungen im Sinne zeitgemäßer Klangaufbereitung des Originals, also Neuabmischungen oder auch Neueinspielungen, die Möglichkeiten nutzen, die während der Originalaufnahme technisch nicht vorhanden waren.
Fricke war zudem ein zutiefst spiritueller Mensch. Seine Vision einer mit damals zeitgemäßen Mitteln erzeugten spirituellen Musik hat mit dem Begriff von Chill out-Musik oder der manchmal am ehesten als Schreddern zu bezeichnende Herangehensweise in der Club-Musik nichts zu tun. Kunst darf aber nun mal alles, dennoch bedeutet eine Hommage auch ein Verständnis zeigen für die Seele einer Musik. Mit dieser Frage werden sich insbesondere eingefleischte Popol Vuh-Fans dieses Doppel-Album anhören. Diese müssten zum direkten Vergleich allerdings eine weitgehend vollständige Sammlung Popol Vuhs haben, denn von den Originalen der ersten CD sind insgesamt nur vier geremixed worden. Die Mehrheit der Stücke stammt außerdem aus den heute weniger bekannten Filmmusiken oder es sind unveröffentlichte Originale, weswegen sich für Fans der Kauf schon wieder lohnen kann.
Eines der Originalstücke, zu der man einen Remix auf dem Album heranziehen kann, und das gewiss zu den gelungensten der Gruppe gehört, ist „In den Gärten Pharaos“ vom gleichnamigen Album. Hier begreift man die Intensität des Klangs und die Funktionen von Pausen. Magisch-melancholische Orgeltöne und Gesang schaffen zu Wassergeräusche anfangs eine Atmosphäre, die fast gespenstisch anmutet und von Bongos und E-Piano-Improvisationen immer stärker aufgelöst wird. Das, was auch Tangerine Dream vor Einführung des Sequenzers in ihre Musik gelang, die Suche nach der inneren Ruhe, dem Gewicht des einzelnen Tones und damit auch eine Musik im Geiste von Morton Feldman, ist hier zu Beginn gelungen. Die Trommeln wirken denn auch als Trance und nicht als Rhythmus. Moritz von Oswalds Remix dagegen fügt ein stumpfsinniges uhrwerkartiges Gepoltere ein, wie man es heutzutage aus vorbeifahrenden, getunten Autos mit wet-gegelten Hormonbatzen am Steuer hören kann. Das klingt arg nach dem Motto: „Ich bin nach dem Gründungsjahr von Popol Vuh geboren; ich kann nicht anders, ich muss programmierte Beats verwenden.“ Man kann aber einen Nebel, der dahin treibt, nicht zum Zucken bringen, weil er sich dann nämlich auflöst.

Vergleichsweise sensibler geht da Peter Kruder mit seinem Remix eines Tracks aus dem „Aguirre“-Film vor. Er mischte einen langsamen, pulsschlagartigen Beat rein, der aber den Charakter des Stückes erhält. Im Grunde transformiert er Frickes sinfonischen Sound aber auch nur auf den Stand subliminaler, tranciger Basstöne wie sie Chris & Cosey bereits auf ihren Industrial-Alben Anfang der 1980er kreiierten. Thomas Fehlmann von The Orb baut in seiner Version von „Nachts Schnee“ (aus dem Soundtrack „Cobra Verde“) auf rückwärts laufende Versatzstücke des Originals auf, erzeugt dadurch einen Rhythmus und mischte programmierten Beat hinzu. Auch hier kann man sagen, wenn man relativ kurzes Ausgangsmaterial hat, bleibt vom Original auch wenig übrig. Ein ähnliches Prinzip wendet Roland Appel in seiner Version von „Through Pain To Heaven“ aus dem Soundtrack „Nosferatu“ an. Der Gitarrenteil des Originals wird durch programmierte Beats übernommen. Ansonsten bestimmen eine Tanpura und eine verhaltende weibliche Stimme dieses Stück.
Dass im Grunde die Remixer viel zu oft ihre Techniken in den Vordergrund stellen und Inspirationsquelle letztlich nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen, wird am ehesten beim gleichen Ausgangsstück in der Fassung von Mouse On Mars deutlich. Ihr knöpfchendreherlastiges Herumgehacke mit telefonartigen Piepsern und altmodischen Syndrums lässt vermuten, dass das Ergebnis das gleiche gewesen wäre, hätte man ihnen Andre Rieux als Ausgangsmaterial gegeben. Dies hat auch nichts mit zeitgemäßer Art zu tun.

Ganz anders und wesentlich überzeugender dagegen Mika Vainiko mit seinem Remix von „Nachts Schnee“. Er schneidet den sinfonischen Klang abrupt und verhallt die Schnittstelle stark, ohne den Schwebezustand dabei abstürzen zu lassen. Außerdem schichtet er verschiedene Klangabmischungen des Grundakkordes ineinander und filtert sie mit Hall. Dadurch kommt man zu einer ganz anderen Wahrnehmung des relativ kurzen Original-Stückes. Vainiko produzierte hier eine klangliche Behandlung und somit keine Neubearbeitung mit Elementen, die im Original nicht vorhanden sind und die das Konzept Frickes mehr würdigt als alle anderen Versionen. Außerdem dürfte Vainiko hieran mehr gearbeitet haben als die ganzen Beat-Mischer. Er duplizierte und verlängerte das Stück und machte durch seine Klangbehandlung verborgene Elemente des Originals hörbar. Zudem wird einem spätestens hier klar, das das Hinzufühen von Beats bei Filmmusik, die ja zu speziellen Stimmungen von Bildern geschrieben wurde, in etwa die gleiche, höchst streitbare Vorgehensweise ist wie die Einfärbung von Schwarz-Weiß-Filmen.

Zu den anderen Remixen fehlen die Originale zum Vergleich, im Sinne des Verständnisses für Frickes musikalische Atmosphäre ragen hier noch am ehesten Stereolab heraus, die aus „Hosianna Mantra“ eine Art hingehauchten Popsong machten. Leider hat man von Frickes späten Einspielungen nur ein kurzes Stück aufgenommen, das knapp einminütige „In Your Eyes“ vom Album For You And Me aus dem Jahre 1991. Hier inszeniert Fricke selbst den Umgang mit einem programmierten Beckensound und gedämpften Synthesizertönen. Selbst dieses kurze Fragment, in seiner Machart heute in jedem Fernsehkrimi eingesetzt, zeigt dennoch die Sensibilität Frickes. Dauerhafte chorale Schwebetöne halten seine hier angeführten Epigonen jedoch nicht lange aus. Haswell & Heckers „Aguirre“-Remix lässt es daher über das sinfonische Stück recht schnell fiepsen und gurksen.

Auch für Fricke mag der Moog zwar anfangs ein Spielzeug gewesen sein, allerdings hatte er wesentlich mehr Grunderfahrungen über klassische Harmonien und modale Spielweisen. Das hier mit aufgenommene Titelstück seines ersten Albums Affenstunde ähnelt der mantra-artigen Musik von Peter Michael Hamel und seiner Gruppe Between aus der gleichen Zeit. Während dieser eine Orgel bevorzugte, nutzte Fricke gleich den Moog für eine im Grunde ähnliche Musik. Trotz mancher altmodisch wirkender Studioeffekte und elektronischer Klänge zeigt das Stück die Neugierde und fehlende Berührungsangst gegenüber Elektronik und Studiotechnik. Das Getrommel und die merkwürdigen elektronischen Geräusche kann man heute fast als Industrial Music empfinden, was daran erinnert, dass einer der Pioniere der Industrial Music, Stephen Stapleton von Nurse With Wound ein ausgesprochener Liebhaber von allen experimentellen Krautrockgruppen ist. Auch das Einbringen von Geräuschen in Musik gehörte damals zum Innovationspotential, auf dem Stück „Nascita“ (von „Messa Di Orfeo“) mit den Geräuschen einer Sommerwiese gut nachvollziehbar. Ein Stück wie ein Gemälde. Was der eher belanglose Bonustrack von Affenstunde “Train Through Time“ mit monotonen Zuggeräuschen und ein paar quirligen Orgel-Tönen auf der Remix-CD noch sollte, bleibt allerdings ein Rätsel.
Trotz aller Zwiespältigkeit der Mode, Wiederentdeckungen fast zwangsweise mit Remixen zu verbinden, ist dieses Album nicht nur eine überfällige Würdigung von Popol Vuh, sondern fast eine Art Rehabilitation einer Band, in deren Ansatz manchmal das religiöse Moment fast stärker als die Musik gewirkt hat und die im Vergleich zum Gesamtwerk manchmal zu sehr als Blaupause für esoterische Musik wahrgenommen wurde.



Hans-Jürgen Lenhart



Trackliste
PLANET SIDE (REVISITED)
01. Aguirre I Lacrima di Rei - Aguirre (Soundtrack) (1974)
02. Affenstunde - Affenstunde (1970)
03.In den Gärten Pharaos - In den Gärten Pharaos (1972)
04. Ich mache einen Spiegel - Affenstunde (1970)
05. Nachts – Schnee - Cobra Verde (Soundtrack) (1987)
06. Eine andere Welt - Cobra Verde (Soundtrack) (1987)
07. In your Eyes - For You and Me (1991)
08. Train through time - Affenstunde (Bonustrack) (1999)
09. Nascita - Messa di Orfeo (1998)
10. Brüder Des Schattens - Nosferatu (Soundtrack) (1987)
11. Through Pain to Heaven - Nosferatu (Soundtrack) (1978)
12. Kailash: Last Village - Bonustrack (prev unreleased) (1998)
Planet Time 73:55

COSMIC SIDE (REMIXED)
01.Aguirre I / II (Lacrima Di Rei Edit) – Peter Kruder Remix (Kruder & Dorfmeister)
02. Schnee (Flow Edit) – Thomas Fehlmann Flow Mix (The Orb)
03. Heart of Glass (Sei Still Wisse Ich Bin Edit) – A Critical Mass Remix (Schwarz/Dixon/Âme)
04. Haram Dei Haram Dei (ProgRock Edit) – Alex Barck Remix
05. Through Pain to Heaven / Kyrie (Edit) – Roland Appel Remix
06. Nachts Schnee (Ambient Edit) – Mika Vainio Remix (Pan Sonic)
07. Gärten Pharaos (Dark Development Edit) – Moritz von Oswald Remix
08. Through Pain to Heaven (Dopeful Vuh) – Mouse On Mars Remix
09. Hosianna Mantra (Lyrics Edit) – Stereolab Remix
10. Aguirre I / II (Endless Edit) – Haswell & Hecker Remix
11. Train through time (long Edit) – Popol Vuh
Cosmic Time 78:24
Besetzung

Popol Vuhs Synthesizer-Spieler Frank Fiedler masterte die Auswahl der Stücke und Frickes Sohn Johannes produzierte das Album mit Roland Appel


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