Die Neue Deutsche Welle: mehr als lustige Schmalspurmusiker und debile Kasperköpfe
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Dass Nena, Markus, Trio, Frl. Menke und Hubert Kah nur die späte kommerzielle Spitze eines Eisbergs namens Neue Deutsche Welle waren, die bereits einige Jahre zuvor aus der deutschen Punk-Szene im Untergrund entstanden ist, beschreibt Hollow Skai sehr informativ und mit viel Detailwissen in seinem neuen Buch Alles nur geträumt - Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle. Und nicht nur die Entstehung dieses Phänomens Ende der Siebziger, sondern auch das rasche Abschmelzen dieses Eisbergs vor allem durch das inflationäre Ausschlachten seitens der Tonträgerindustrie wird von ihm in diesem Buch interessant dokumentiert und kommentiert.
Hollow Skai, mit bürgerlichem Namen Holger Poscich, hat bereits Biographien von Rio Reiser, den Toten Hosen und der Band seines Schulkameraden Michael Schenker, den Scorpions, veröffentlicht und hat seine Wurzeln in jener frühen NDW-Zeit und der Musikrichtung Punk: Thema seines Germanistik-Abschlusses war bereits Punkmusik und später war er Betreiber des Punk-Labels "No Fun Records" sowie Mitarbeiter beim "Stern" und bei "Sounds". Und so kommt seine Liebe zum Punk als Musik und als Lebensgefühl zwischen den Zeilen seines Buches auch immer wieder zum Vorschein.
Besonders beleuchtet wird von Skai in diesem Buch die Entstehungsgeschichte der Neuen Deutschen Welle, die zeitgleich vor allem an drei Schauplätzen aufkeimte: in Düsseldorf mit seinem Ratinger Hof, in West-Berlin und in Hamburg. Bands wie Fehlfarben, DAF, Abwärts oder Der Plan sind in dieser Phase der Neuen Deutschen Welle, die damals noch gar nicht so hieß, frühe Vertreter einer neuen deutschen Punk-Bewegung, die schließlich u. a. über Ideal und Extrabreit und den ihnen folgenden Bands und Künstlern Anfang der Achtziger zu einem Massenhype wurde. Während Skai vor allem immer wieder die frühen Bands und deren Mitglieder beleuchtet, bleiben die klassischen, bekannteren NDW-Vertreter, die auf keiner der typischen und zum Teil lieblosen CD-Zusammenstellungen fehlen dürfen, eher wenig beachtet: Nena, Trio und Markus werden zwar durchaus noch im Text mehr oder weniger ausführlich behandelt, Falco beispielsweise dagegen, einer der wenigen, der auch nach dem Abflauen der Neuen Deutschen Welle noch mal durchstarten konnte, ist nur zweimal eine kurze Randnotiz wert. Aber auch andere Bands und Künstler der damaligen Zeit wie Grauzone, Foyer des Arts, Interzone oder DÖF werden unterschlagen. Macht aber auch nichts, denn eine vollständige NDW-Liste, auf der sich nicht auch einige tummeln, die eigentlich nichts darauf zu suchen haben, wird es wohl nie geben. Und somit ist Alles nur geträumt trotzdem ein kurzweiliges und nettes Buch geworden, welches eben nicht die letzten Geschmacklosigkeiten der Neuen Deutschen Welle beschreibt, sondern sich eben eher der Punk-Anfänge und des Lebensgefühls der damaligen Zeit widmet.
Abschließend berichtet Hollow Skai noch über einige missglückte NDW-Filme und -Bücher, bevor er (vielleicht etwas zu kurz) auf die Nachwirkungen der Neuen Deutschen Welle eingeht: wie ein Phönix aus der Asche der Neuen Deutschen Welle stiegen damals die Ärzte und die Toten Hosen langsam auf, und wohl auch BAP, Grönemeyer, Westernhagen, Kunze und einige andere profitierten wohl davon, dass man Musik mit deutschen Texten nicht mehr nur mit Rex Guildo, Heino oder Howard Carpendale in Verbindung brachte. Und schließlich wird auch auf aktuelle Bands wie Juli, Wir Sind Helden oder Silbermond, sozusagen die Enkel der Neuen Deutschen Welle mit Parallelen zu Nena, eingegangen.
Zwei kleine Schwächen hat das Buch und sollen nicht unerwähnt bleiben: zum einen hat es stellenweise einige Zeitsprünge und wird dadurch etwas unübersichtlich, zum anderen pendelt es zwischen neutralem Sachbuch und einer Autobiographie mit persönlichen Meinungen und frühen Privat-Fotos des Autors, ohne sich für eine Richtung so richtig entscheiden zu können.
Fazit: Alles nur geträumt - Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle ist vor allem ein Buch über den Beginn der Neuen Deutschen Welle und kein Nachschlagewerk über die späten Spaß-Jahre dieser Musikrichtung. Anders als es der Buchtitel vermuten lässt, geht es also viel weniger um die späten Bravo-Stars wie Nena, sondern eher um die frühen Bands, die die Keimzellen der nachfolgenden Entwicklung waren. Wer also gerade bei Media Markt den 350. NDW-Sampler mit "Ich will Spaß" und dem "Kommissar" erstanden hat und sich als Ergänzung zum zweiseitigen, nichtssagendem Booklet etwas Oberflächliches über diese späten Bands anlesen möchte, kann das Buch ruhig im Regal stehen lassen - wer dagegen Hintergründe über die Entstehung und Frühzeit der Neuen Deutsche Welle erfahren möchte, dem sei Alles nur geträumt durchaus empfohlen.
Als Abschluss noch ein Zitat aus dem Buch, welches zwar nicht von Hollow Skai selbst, sondern von ihm in der Online-Ausgabe der FAZ gefunden wurde und eine der Hauptaussagen des Buches gut zusammenfasst: "Die Musikindustrie verhält sich regelmäßig wie ein geldgieriger Koch, der in seine leckere Suppe eine Kelle Wasser nach der anderen kippt, um immer noch einen Teller mehr verkaufen zu können. Am Ende schmeckt die dünne Brühe niemandem mehr". Viel besser kann man den Untergang der Neuen Deutschen Welle wohl kaum beschreiben und auch in der heutigen Zeit hat dieses Zitat wohl seine Daseinsberechtigung...
Jürgen Weber
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