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Reviews
Lachenmann, H. / Nono, L.(Quatuor Diotima)

Reigen seliger Geister / Fragmente-Stille, an Diotima


Info
Musikrichtung: Streichquartett

VÖ: 01.05.2004

Assai / Note 1
CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. 222492


Gesamtspielzeit: 64:00



NACHKLANG DER AVANTGARDE

Was denn die Avantgarde in der Musik sei – das ist für jede Epoche neu zu beantworten. Als eigene „Epochenbezeichnung“ findet der Begriff Avantgarde in der Geschichte der europäischen Musik hingegen für die Jahre von etwa 1945-1970 Verwendung. Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Bruno Maderna, Maurizio Kagel, György Ligeti, Helmut Lachenmann oder Luigi Nono fallen einem da z. B. ein.
Was sich in der Rückschau häufig wie ein fester Kreis von eingeschworenen Neutönern darstellt, entpuppt sich in den Aussagen der Zeitgenossen jedoch schnell als eine sehr heterogene Verbindung. Geeint in dem Ziel, eine Neue Musik herbeizuführen, war man sich doch über die Ergebnisse der Bemühungen meist uneins. Durchaus ideologisch und sektiererisch ging es zu, Schulen und Fraktionen bildeten und befehdeten sich. Wer dazu gehören wollte, musste in irgendeiner Form „seriell“ komponieren. Oder aber, wie György Ligeti, das serielle Prinzip von innen heraus sprengen.
Später haben sich die prägenden Persönlichkeiten ebenso unterschiedlich weiterentwickelt, wie sie bereits damals begonnen haben: György Ligeti hat sich ab den späten 70er Jahren vom Avantgarde-Akademismus distanziert, ohne die Suche nach einer neuen Musik - zu eigenen Bedingungen -aufzugeben. Karlheinz Stockhausen geriert sich heute als komponierender Prophet einer esoterischen Universalreligion. Pierre Boulez, der einst die Opernhäuser sprengen wollte, dirigiert jetzt in selbigen: Er, einer der Gründerväter des Serialismus, hat diesen zugleich überwunden, ohne ihm gänzlich abzuschwören. Maurizio Kagel ist auf dem Weg ironischer Brechungen weiter fortgeschritten. Am ehesten hat vielleicht noch Helmut Lachenmann an der ursprünglichen Avantgarde-Idee festgehalten. Bruno Maderna und Luigi Nono sind bereits tot.

Diese Produktion mit Streichquartetten von Helmut Lachenmann (*1935) und Luigi Nono (1924-1990), gespielt durch das famose Quatuor Diotima, stellt Werke der 80er Jahre vor, die sich wie ein Nachklang oder Echo der musikalischen Avantgarde der 50er und 60er Jahre ausnehmen. Wobei eher eine klangliche Atmosphäre beschworen, als ein bestimmtes kompositorisches Verfahren fortgesetzt wird. Die Potentiale einer instrumentalen Form werden von beiden Komponisten systematisch ausgelotet. Dabei darf die klassische Gattung des Streichquartetts, ein Gipfelpunkt bürgerlicher Musikkultur, hier nach allem Möglichen klingen, nur eben nicht nach – Streichquartett.
Aber wie klingt „eigentlich“ ein Streichquartett? Nach Haydn oder nach Mozart? Wenn ja: Klingt dann ein spätes Beethoven-Quartett immer noch nach Streichquartett? Nun, verglichen mit Lachenmanns oder Nonos Kompositionen mag man da zustimmen … verglichen mit Haydn hingegen …

Lachenmanns Reigen seliger Geister (1989) hat mit dem gleichnamigen Tanz aus Christoph Willibald Glucks „Orfeo“ an der klingenden Oberfläche kaum mehr als den Titel gemein. Der Komponist benutzt das klassische Streichquartett nach eigenen Angaben wie eine sechzehnsaitige „Super-Gitarre“. Wispernde Flauto-Töne und scharfe Pizzicati in allen möglichen Aggregatzuständen lassen eine grauweiß-flirrende Klanglandschaft entstehen, mit feinen Linien und Verästelungen, die wie mit dem Silberstift gezogen wirken. Mit dieser geräuschhaften, extrem zerklüfteten Klangwelt mag man allerdings weniger die Elysischen Felder als vielmehr einen unheimlichen, in Auflösung begriffenen Tartarus assoziieren. Oder man hört das Seufzen, Flüstern und Ächzen körperloser Wesen. Nachdem Melodie und Rhythmus, also die gestaltbildenden oder –tragenden Elemente, in der Neuen Musik bis zur Unkenntlichkeit atomisiert wurden, blieb zunächst die abstrakte Klangfarbe als Träger des musikalischen Geschehens übrig. Im Reigen seliger Geister wird sie in virtuoser Fremdartigkeit inszeniert.
Das ist bei Luigi Nono im Grunde nicht viel anders. Doch gibt es in seinem Quartett Fragmente-Stille, an Diotima (1980) mit breiterem Pinsel gezogene expressive Gesten, die im Vexierspiel zwischen Erklingen und Verstummen als isolierte Chiffren dastehen. Lachenmann spricht im Booklettext von verfremdeten, in ihre Partikel zersetzte Fanfarenklänge. „Meditativ“, wie man es Nonos Spätwerk gerne bescheinigt, klingt das trotz (oder gerade wegen) aller klanglichen Erosion und abgründiger Pausenstille jedenfalls nicht.

Diese Musik fordert Hörern wie Ausführenden das Äußerste ab. Das Quatuor Diotima musiziert die beiden Werke mit nie nachlassender Konzentration und großartigem Gespür für deren ausdrucksvoll-spröde Klangsinnlichkeit.



Georg Henkel



Trackliste
101-12 Lachenmann: Reigen seliger Geister (1989)
213-14 Nono: Fragmente-Stille, an Diotima (1980)
Besetzung

Eiichi Chijiiwa, Violine
Nicolas Miribel, Violine
Franck Chevalier, Viola
Pierre Morlet, Cello



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