U. Targler, S. Koke, Philharmonisches Orchester Erfurt, Stephan E. Wehr
Einem ehrgeizigen Projekt mit viel privatem, staatlichem und industriellem Engagement verdanken wir die Wiederbelebung eines Stücks, das mit Recht als Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung der deutschsprachigen Oper bezeichnet werden darf. Nicht hoch genug kann der Mut und die Anstrengung der Beteiligten, einschließlich des veröffentlichenden Labels in diesem Zusammenhang eingeschätzt werden.
Und dem weitgehend unbekannten Komponisten Schweitzer (1735-1787) ist es gelungen, die Verse des Dichters Wieland, die heute naturgemäß arg pathetisch anmuten, mit überraschend spannender, ausdrucksstarker Musik zu versehen. Beider Bemühen, eine nationale, deutsche Oper neben der italienischen zu etablieren, hat zweifellos befeuernd gewirkt, wenn auch Wielands Gleichsetzung des Genies Schweitzers mit dem Glucks zu hoch gegriffen sein dürfte.
Die Handlung des Singspiels ist nach antikem Muster gestrickt: König Admet ist dem Tode nahe. Seine junge Frau Alceste erfährt, dass er nur gerettet werden kann, wenn ein anderer Mensch bereit ist, statt seiner zu sterben. Letztlich findet sie selbst sich hierzu bereit. Herkules, ein Freund Admets, ist davon so bewegt, dass er beschliesst, in die Unterwelt hinabzusteigen, von wo er die Verstorbene wieder in den Kreis der Lebenden hinaufführt. Diese erinnert sich an den Tod nurmehr wie an einen entfernten Traum und ist schließlich wieder glücklich mit Admet vereint.
Bis es soweit ist, vergehen gut 2 Stunden, in denen sich der Hörer mit einer Vielzahl dramatischer oder sanft bewegender, durchaus raffiniert orchestrierter Arien bestens unterhalten findet. Über die in der Deklamation manchmal holprigen Rezitative und die nicht ganz ausgereiften Ensembles sieht man da gerne hinweg.
Die Arien stellen erhebliche Anforderungen an die Ausführenden, welche sich diesen jedoch zumeist gewachsen zeigen. Insbesondere Ursula Targler überzeugt in der Titelrolle durch ein hohes Maß an gestalterischem Gespür und eine "geläufige Gurgel", mag auch ihre Stimme in der Höhe manchmal an Strahlkraft einbüßen. Ihr Gegenpart, der Tenor Christian Voigt, hat hingegen etwas zu sehr verinnerlicht, dass das deutsche Singspiel schlußendlich dem Musiktheater Wagners den Weg geebnet hat: Denn wie eine Wagnerpartie singt er den Admet - mit viel Kraftanstrengung und tenoralem Schmelz, was den hehren Versen manchmal eine unfreiwillige Komik verleiht. Da wäre weniger mehr gewesen.
Christoph Wendels etwas altväterlich tönender Bass entspricht der Rolle des Herkules nicht ganz, wohingegen Alcestes Schwester Parthenia in all ihren Zwiespältigkeiten und Leiden von Sylvia Koke mit ihrem klaren, hellen Sopran nahezu ideal verkörpert wird.
Schließlich erfreut uns Naxos mit einem bemerkenswert liebvoll gestalteten, detailreichen Booklet und einer immerhin akzeptablen Klangqualität.
Dennoch: Der Wiederbelebungsversuch an dieser "Alceste" haucht ihr keine wirklich jugendliche Frische ein, was nicht an der Patientin liegt, sondern am Chef-Operateur. Der junge Dirigent Stephan Wehr zeigt sich mit dieser Aufgabe dann letztlich doch überfordert. Wie man Musik dieser Zeit spannend und mitreissend darbietet, statt sie vom Orchester begleitend herunterspielen zu lassen, hätte er sich in den letzten Jahren bei vielen Kollegen ablauschen können. Minkowski, Jacobs, Bernius, auch Gardiner haben es vorgemacht. Aber Wehr hat ihnen bedauerlicherweise nicht zugehört und so verpaßt er die Chance, das technisch gewiß nicht schlechte Erfurter Orchester zu der Leistung anzuspornen, die der Ehrgeiz der übrigen Beteiligten ebenso verdient hätte, wie das Stück selbst.
Aber immerhin: Sie lebt wieder - Grund genug zur Dankbarkeit!
Repertoire: 4 Punkte
Klang: 3 Punkte
Interpretation: 3 Punkte
Edition: 5 Punkte
Gesamt: 15 Punkte
Sven Kerkhoff