Paul Simon kam am 12. Juli nicht allein, sondern mit einer elf Mann starken Begleitband in die Berliner Waldbühne. Es war eins von nur vier Deutschland-Konzerten. Gemeinsam mit ihm standen ein Bassist, zwei Gitarristen, zwei Keyboarder, eine dreiköpfige Percussion-Gruppe (icl Drummer Steve Gadd) sowie drei Bläser auf der Bühne. Das ermöglichte eine eindrucksvolle Darstellung vor allem der Titel vom Graceland-Album, einem der Schwerpunkte des Konzertes. Dem zweiten Standbein, der großen Auswahl an Simon & Garfunkel-Tracks, tat das Umarrangieren auf ein derartig druckvolles Ensemble nicht in jedem Fall gut. Die Idee "Sound of Silence" nur von Gitarre und Cello begleiten zu lassen war allerdings ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei.
Insgesamt zelebrierte Simon´s Klangkörper allerdings ein fast perfektes Rock-Konzert mit etlichen Höhepunkten. Weniger hätte man bei einem derartigen Superstar aber auch nicht erwarten dürfen. Denn mit einer solchen Unzahl von "Songs, die längst zu globalen Volksliedern verklärt sind" (Die Welt), sollte auch eine gut eingespielte Hobby-Band ein solides Ergebnis liefern können.
Und wesentlich mehr hat Simon nicht abgeliefert. Der berühmte Funke wollte jedenfalls kaum überspringen. Praktisch ohne Ansagen, ohne jede Art von Bewegung auf der Bühne (sieht man von dem gelegentlichen Auf- und Abtreten einzelner Musiker zwischen den Songs, die nicht alle in voller Besetzung umgesetzt wurden, ab.) wurden zwei Stunden Programm abgespult. Viel Kommunikation war da nicht möglich. Und so fiel der Spannungsbogen im Verlauf des regulären Sets sogar erkennbar ab.
Die ersten beiden Zugaben konnten daran im Prinzip wenig ändern. Woher die frenetische Begeisterung des Publikums kam, mit der Simons Band dann noch zwei weitere - wohl wirklich nicht fraglos im Programm stehende - Zugaben abgerungen wurden, ist mir weitestgehend ein Rätsel.
Positiv zu vermerken ist allemal, dass die sehr introvertierte Stimmung, die Simons letztes Album "You´re the One" prägte, nicht stilprägend für den Auftritt war. Zwar merkte man den 58-jährigen sein Alter an, aber das er (auch) Rockmusiker ist, daran lies er an diesem Abend keinen Zweifel.
Zusammen mit einem dankbaren, recht leicht zufriedenzustellenden Publikum wurde das Ganze eine runde Sache. Man wollte schlicht Vergangenes (die eigene Jugend?) feiern. Daher war Simons Songauswahl ohne jedes Risiko genau das Richtige. Wie die Stücke interpretiert wurden, war zweitrangig. Die Arme der etwa 8000 Zuschauer gingen hoch, sobald die Tracks erkannt worden waren. Die neuen Songs blieben dabei Füllmaterial.
Nach dem Opener bot "Graceland" einen ersten Anlaß zum Jubeln. Der Titeltrack des neuen Album blieb - wie schon gesagt - ein Filler. "50 Ways" glänzte mit einem Pinao-Solo von Alain Mallet. Mit "Me and Julio gab es dann einen ersten Höhepunkt. Vom ersten Takt an steigerte sich das Publikum in eine wahre Euphorie. "Diamonds" und "Call me Al" wurden durch ein gemeinsames Solo der beiden Percussionisten mit Drummer Steve Gadd verbunden. Grandios.
Bei "Sound of Silence" gab es dann - zumindest für mich - doch noch eine erstaunliche Innovation im Konzertgeschehen. Diesmal wurden nicht die Feuerzeuge, sondern die Handys in die Luft gehoben, um auch den Lieben daheim einen Eindruck zu vermitteln. Im weiteren Konzertverlauf geschah das bei einigen Besuchern so exzessiv, dass es wahrscheinlich preiswerter gewesen wäre, eine weitere Konzertkarte zu erwerben.
Mit "Homeward bound" und "Boy in the Bubble" donnerten dann die letzten wirklichen Höhepunkte in das Amphitheater. Offenbar war die Fähigkeit Wiedererkennungsbeifall zu spenden verbraucht. Mit "Late in the Evening", dem - zu meinem persönlichen Bedauern - einzigen Track aus der "One Trick Pony/ Hearts and Bones-Phase", endete dann der reguläre Set.
Für die erste Zugabe aus neuen Tracks und "Slip slidin´away" kann mit letzterem Song das Fazit gezogen werden. Irgendwie plätscherte alles dahin und davon. Daran konnte auch die nächste Zugabe nichts ändern. Obwohl Simon nun wirklich mächtige Waffen wählte, blieb die Stimmung blass - bis zu dem Moment, in dem die Band von der Bühne gegangen war. Man wollte den kleinen Mann noch nicht gehen lassen. Nach vier Zugaben war man mit dem Erreichten dann aber offenbar zufrieden.
Ob PS "still crazy" ist, vermag ich nicht zu sagen. Er wirkte sympathisch, oft fast verlegen linkisch. Das treffende Gesamturteil über dieses Ereignis dürfte "mal wieder crazy nach all den Jahren" lauten - und sich vornehmlich auf das Publikum beziehen, das zum guten Teil im gesetzten Alter mit zum Teil schon erwachsenen Töchtern erschienen war.
Norbert von Fransecky
Besetzungsliste: PAUL SIMON
Paul Simon - Vocals/ Guitar
Steve Gadd - Drums
Jamey Haaddad - Percussions
Steve Shehan - Percussions
Bakithi Kumalo - Bass
Tony Cedras - Keyboards/ Guitar
Alain Mallet - Keyboards
Vincent Nguini - Guitar
Mark Stewart - Guitar/ Cello
James Hynes - Trumpet
Andrew Snitzer - Saxophone
Jay Ashby - Trombone/ Percussion
Set List
Bridge over troubled Water
Graceland
You´re the One
50 Ways to leave your Lover
That was your Mother
Me and Julio down by the Schoolyard
Teacher
Spirit Voices
Diamonds on the Soles of her Shoes
You can call me Al
Sound of Silence
Homeward bound
I am a Rock
The Boy in the Bubble
The Coast
Late in the Evening
1. Zugabe
Hurricane Eye
Proof
Slip slidin´ away
2. Zugabe
Mrs. Robinson
Love me like a Rock
The Boxer
3. Zugabe
Kodachrome
?????
(Konnte ich nicht identifizieren: 1. Textzeile war wohl: "I believe in the Future". Falls jemand mich aufklären kann, bitte e-mail an mich.)
4. Zugabe
Still crazy after all this Years