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Musik an sich |
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Slut - Lookbook
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(Virgin)
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Rock/Pop
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Das "Lookbook" von Slut enthält 15 kleine unspektakuläre Bilder. Und wie bei vielen Bilderbüchern bedarf es einiger Zeit, bis dem geneigten Betrachter auffällt, dass er es mit einer Auswahl von schimmernden Diamanten zu tun hat.
Bereits das erste optische(!) Durchblättern der CD rief bei mir einige Verwunderung hervor. Der Bandname hatte in mir die Erwartung von rotzigem Punk-Rock mit pubertären Texten im Fäkaljargon hervorgerufen. Das fast minimalistische, mit aggressiven Reizen geizende Booklet ließ dann eher an Kunststudenten vermuten. Echt avantgardistisch werden die Texte auf Mikrofiche-Größe - pardon, -kleine, gebracht und dann dezentral am Rande der - ansonst fast leeren - Seite platziert. Wohl dem, der eine Lupe sein Eigen nennt.
Ebenso unauffällig rauschen die Songs wie ein leichter Nieselregen am Rande des eigenen Bewusstseins vorbei. Bis man nach einigen Durchläufen feststellt, dass man bis auf die Haut durchnässt ist, weil die Melodien mit magischer Gewalt jedes Hindernis überwinden, um sich im Stammhirn festzusetzen. Passend zum Nieselregen klingen die Ingoldstädter eindeutig britisch. Mal ist es der Charme der späten Beatles, aber ohne jeden poppigen Anstrich. Manchmal erinnert´s an ältere U2. Denn die Gitarren schrammeln wesentlich kratziger und rauer als es sich die Fab Four zu ihrer Zeit hätten erlauben können. Brit-Pop würde ich´s nennen, wenn das Etikett nicht schon durch den süsslichen Oasenkleister verklebt wäre.
Die Texte sind zum großen Teil autobiographisch, sagt Sänger Christian Neuburger. Da beginnt er mir auch schon leid zu tun. Denn Slut sind erst einmal traurig - über das Leben, die Probleme, die man damit hat, und vor allem über all das Glück, das man nicht hat. "Ich glaub, ich hab ein Problem. Und ich glaube das bin ich." so bringt es der Song "The day it rained forever" auf den Punkt. Und die Musik plätschert schon wieder wie ein feiner Dauerregen, während ich (un?)passender Weise anfange zu summen "She´s leaving home".
Texte, Musik und Stimmung passen so gut aufeinander, wie ich´s lange nicht mehr erlebt habe. Und zum Glück wirkt die ganze sorgfältig kalkulierte Melancholie nie wirklich depressiv, noch könnte sie gar schlechte Laune machen. Slut sind Entspannung pur. Die Trauer über nicht vorhandene Möglichkeiten entpuppt sich beim näheren hinfühlen, als der Verzicht auf jeden Versuch sich für irgendetwas anzustrengen. Statt eilig aus dem Nieselregen zu flüchten, lässt man ihn bei Slut genüsslich über´s Gesicht rieseln. Das Problem ist zu seiner eigenen Lösung geworden.
Offenbar nicht nur für die Band selber. Nach zwei CDs bei einer kleineren Firma konnte der aktuelle Silberling "Lookbook" bei Virgin veröffentlicht werden. Ingolstadt, das ist Audi; das war einmal Bonfire; jetzt schickt es sich an Slut zu werden - und das ist alles andere als unanständig.
Norbert von Fransecky
17 von 20 Punkten
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