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Musik an sich |
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Guiseppe Verdi: Falstaff
Jean-Philippe Lafont - Anthony Michaels-Moore - Antonello Palombi - Peter Broder - Francis Egerton - Gabriele Monici - Hillevi Martinpelto - Rebecca Evans - Sara Mingardo - Eirian James / Monteverdi Choir - Orchestre Révolutionaire et Romantique / John Eliot Gardiner
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(Philips)
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Oper
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Die vier Damen - das soll vorkommen - sind sich augenblicklich einig: "Mostro! - Scheusal!" Gemeint ist Sir John Falstaff, ein in die Jahre gekommener und in die Breite gegangener Ritter der alten Schule, der davon lebt, die braven Bürger von Windsor abzuzocken. Sein Trick, gleich mit zwei gutbetuchten Frauen des Ortes, Mrs. Ford und Mrs. Page, ein Techtelmechtel anzufangen, um sich dann von ihnen aushalten zu lassen, fliegt jedoch auf. Die Damen sind befreundet und sinnen auf eine gehörige Lektion, die sie dem dicken Schwerenöter erteilen wollen. Alice Ford soll den Köder spielen, ohne zu ahnen, dass auch ihr Gatte von Falstaffs Ambitionen erfahren hat - die Turbulenzen sind vorprogrammiert
...
Verdis letzte Oper ist zugleich seine eigenwilligste. Der Komponist spielt mit den Erwartungen seines Publikums ebenso, wie die lustigen Weiber von Windsor mit Falstaffs Sex- und Geldgier. Abgesehen davon enthält das Werk genug musikalische Einfälle, um fünf Opern daraus zu machen. Statt seine Hörer mit Arien bei Laune zu halten, triumphiert hier die musikalische Komödie vom ersten bis zum letzten Takt. Ohne Ouvertüre geht es gleich in medias res, drei Akte hindurch überschlagen sich dann Situationen und Stimmungen nicht nur im mitunter derben Wortwitz des Librettos, sondern auch in der Partitur. Wie Falstaff sich statt im Lotterbett plötzlich im Wäschekorb und dann im Wassergraben wiederfindet, so öffnen sich auch in Verdis Musik überall Falltüren, kippt das Leichte ins Melancholische und Bedrohliche um, bevor es im nächsten Augenblick mit einer buffonesken Maskerade weitergeht. In der Welt, die Verdi und sein Librettist Arigo Boito hier auf die Bretter bringen, ist nur eins gewiß:
Jeder ist einmal der Gefoppte. Und so endet diese Oper mit einer großen Schlussfuge. Das einzige formal geschlossene Stück verkündet zugleich die einzige Gewissheit: "Die ganze Welt ist Narrheit." Dass es dabei eben nicht nur komisch, sondern manchmal auch tragisch-komisch zugeht und Falstaff kein Hanswurst, sondern ein komplexer Charakter ist, macht Verdis Spätwerk bei jeder Aufführung zur reizvollen Herausforderung. Wenn Mr. Ford, der Falstaff inkognito aufgesucht hat, sich in seine Eifersucht hineinsteigert, dann bekommt er Musik, die einem Othello gut anstehen würde... und die im gleichen Moment zur Ironie wird: Dem neureichen Ford geht es nämlich weniger um die enttäuschte Liebe zu
seiner Frau, als um seine Ehre und sein Bankkonto. Betritt dann Falstaff in vollem Balzornat die Szene, verpufft Fords Larmoyanz in die reinste Komödie, in der sich der eifersüchtige Hahn mit dem potenten Pfau in Höflichkeitsbekundungen ergehen muß, um sich nicht zu verraten...
John Eliot Gardiner, der Dirigent dieser Neuproduktion, erklärt im Beiheft, dass dieser musikalische Übergang sein liebster sei. Wie sich überhaupt seine Begeisterung für das Werk in jeder Sekunde der Aufnahme mitteilt. Es dürfte gegenwärtig wohl kaum eine Einspielung geben, die Verdis Partitur mit so viel Lust am Detail nachspürt. Durchhörbarkeit und Textverständlichkeit sind hervorragend. Diesem Ansatz entspricht die Wahl einer Originalbesetzung mit Instrumenten des späten 19. Jahrhunderts. Der entschlackte Klang der Streicher sorgt für quirlige Brillianz, die Bläser überraschen durch ungewohnt markante Klangfarben. Das alles wurde mit atemberaubender Perfektion und ebenso zackigen, dabei
angemessenen Tempi umgesetzt. Wer den seidigen, süffigen Klang heutiger Orchester schätzt, wird sicherlich irritiert sein: Gardiners Falstaff knackt und knuspert dagegen wie eine Salzstange, ohne freilich anämisch zu klingen - im Gegenteil: Allerdings wird die extreme Dynamik dann zum Problem, wenn man eine hellhörige Wohnung hat: Eine zu geringe Ausgangslautstärke nimmt der Aufnahme einiges von ihrer Dramatik und Präsenz, eine auch für die leisen Passagen angemessene haut spätestens bei den Aktschlüssen auch den Nachbarn aus dem Sessel. Ebenfalls Geschmackssache ist die an sich interessante Idee Gardiners, Sänger und Instrumente zusammen auf die Bühne zu bringen, um die komponierte
Interaktion auf die Spitze zu treiben. Trotz guter Tontechnik droht da dann doch einige Male der Orchesterwirbel die Stimmen zu überdecken.
Womit ich zum zugleich Schwierigsten und Interessantesten komme: "Falstaff" ist eine Ensemble-Oper. Verdi selbst hat immer wieder darauf hingewiesen und entsprechende Sänger gefordert. Was das angeht, ist Gardiners Besetzung ein ideales Team. Wie da die köstlichen "Madrigale" der empörten Damen und gereizten Herren im ersten Akt aufeinanderprallen, ist einfach wunderbar gemacht. Und die geradezu filmreife Szene im Hause Ford, wenn Verdi Falstaffs Gejapse im Wäschekorb mit den markigen Sprüchen Fords und zärtlichen Liebesbeteuerungen Nanettas und Fentons kontrapunktiert, wird mit der gleichen Mühelosigkeit umgesetzt.
Was die Einzelleistungen angeht, fällt es entsprechend schwer, einen "Star" auszumachen. Jean-Philippe Lafont singt den Falstaff differenziert, ohne ins Ungeschlachte oder Klamaukige abzugleiten, bringt jedoch die attraktive Ambivalenz dieser Figur nicht immer voll zur Geltung - das "Sir" verpflichtet offenbar doch zum Understatement. Anthony Michaels-Moore ist als Gegenspieler Ford mit dem notwendigen Kontrast vorzüglich besetzt. Der Damenriege setzt der leuchtende Sopran von Hillevi Matinpelto Glanzlichter auf, Sara Mingardos dunkler Alt macht verständlich, warum Falstaff einem Abenteuer mit ihr ebenfalls nicht abgeneigt wäre. Rebecca Evans als Nannetta betört als Verliebte und als Feenkönigin; während Antonello Palombi ihr als Fenton im ersten Akt mit lichtem Tenor ebenbürtig erscheint, klingt er bei seinen ariosen Schwärmereien zu Beginn des dritten Aktes leider spröde und abgesungen. Adäquat sind auch die Nebenrollen besetzt, wobei insbesondere Peter Bronder als Dr. Cajus und
Fra ncis Egerton als Bardolfo die Komik ihrer Rollen am weitesten ausreizen.
Insgesamt also eine Einspielung, die Verdis Partitur zwar mit unerhörter Tiefenschärfe und Brillianz auslotet, dem Geist und Witz des Ganzen aber mehr in der raffinierten Musik als in den Charakteren auf der Spur ist. Verdi war vielleicht doch zu sehr ein Mann das Theaters, als daß seine Musik ohne Szene auskommt. Wer also nicht nur fasziniert zuhören, sondern auch lachen will, kommt um den Besuch einer wirklich guten Inszenierung nicht herum.
Georg Henkel
Für das Orchesterspiel 20 Punkte, insgesamt 16.
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