Die Invasion der Säugetiere: We Hunt Buffalo und Moon Shepherd im Kulturbahnhof Jena
Dass im Jenaer Kulturbahnhof vor dem Mischpult eine Reihe aus zwei alten Ledersofas aufgebaut ist, kommt dem Rezensenten an diesem Abend sehr gelegen: Noch komplett fit zu Hause losgefahren, trifft er in völlig ermüdetem Zustand im Club ein, findet ein freies Plätzchen auf einem dieser Sofas und verbringt dort das Gros des Gigs, so dass die folgenden Eindrücke also überwiegend rein akustisch gewonnen wurden – die zwischen den Sofas und der Bühne stehenden Besucher versperren naturgemäß die Sicht nach vorn, und nur mal kurz für ein, zwei Songs rafft sich der Ermüdete auf, um auch optisch zu begutachten, wer denn da auf der Bühne arbeitet. Zunächst ist da eine Formation namens Moon Shepherd, die gleich mit den beiden Setopenern die Wiese, auf der sie ihre Schäflein zu weiden gedenkt, absteckt: „Heavy Night“ bietet flotten, ja, Heavy Rock, „Liar“ hingegen grast die doomigen Gefilde ab, wobei letztgenannte irgendwo auf halbem Wege zwischen klassischem Siebziger-Doom und epischem Achtziger-Doom zu verorten sind und das innerhalb der Songs auch in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen. Der Heavy Rock hingegen bereitet deutlichere Zuordnungsprobleme, und so mag der hier gezogene Vergleich im ersten Moment paradox anmuten: die frühen Riot-Alben bis einschließlich Fire Down Under, allerdings unter Abzug der Komponente von „Warrior“ und dem Narita-Titeltrack, mit der Mark Reale seinerzeit den melodischen Speed Metal erfand, außerhalb Japans aber mit weitgehender Nichtbeachtung gestraft wurde. Wem das zu weit hergeholt erscheint, der behelfe sich mit Thin Lizzy, die er gedanklich mit einem NWoBHM-Touch ausstaffieren muß – die doppelläufigen Gitarren nehmen jedenfalls einen breiten Raum im Schaffen des Quartetts ein, was dann auch zu etlichen längeren Instrumentalpassagen führt und der Nichtkenner des Materials nicht entscheiden kann, ob da vielleicht sogar „richtige“ Instrumentals dabei waren, da etliche Songs attacca gespielt werden und die Zuordnung nicht immer ganz leicht fällt. Im kompletten Gegensatz dazu hebt etwa „Burning Witches“ ohne jegliche Einleitung gleich mit der ersten Strophe an. Der Sänger, der auch eine der beiden Gitarren bedient und stimmlich komplett alleine arbeitet, also keinen Backingsänger an seiner Seite oder hinter sich hat, artikuliert sich zumeist in relativ hohen Tonlagen, womit er doomseitig gut in die epische Schiene paßt, und bleibt überwiegend im klaren Bereich, nur selten ins leicht angerauhte Fach wechselnd. In einer Nummer gibt er zudem ein leicht psychotisches Lachen in bester Ozzy-Manier von sich, und prompt erklingt auch das sabbathigste Riff des ganzen Sets. In der ansonsten sehr sauberen und ausgewogenen Abmischung stehen die Vocals allerdings ein wenig zu weit hinten – aber es könnte sein, dass das sozusagen selbstverschuldet war: Der Sänger läßt die Matte gerne so dekorativ vors Gesicht hängen, dass sein Gesang auf dem Weg zum Mikrofon erstmal durch einen „Dämpfer“ muß. Das Attacca-Durchspielen hat zudem den Vorteil, dass er nicht viele Ansagen zu machen braucht – ein Entertainer ist er jedenfalls (noch) nicht. Das tut der allgemein guten Stimmung freilich keinen Abbruch, einige Enthusiasten im Publikum schütteln bereits ihr Haupthaar, und so dürfen die Leipziger den Gig durchaus als Erfolg verbuchen. Notiz am Rande: Tonträger haben sie keine dabei – dafür gibt es am Merchstand Aufkleber zum Mitnehmen sowie zum Erwerb ein „Nicki“. Diesen Spät-DDR-Begriff für ein T-Shirt hat der Rezensent in praktischer Anwendung etliche Jahrzehnte nicht mehr gehört oder gelesen ... We Hunt Buffalo kommen aus Kanada, genauer aus Vancouver – wenn sie Büffel jagen, dürften das also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die klassischen Präriebisons sein, die noch vor nicht allzulanger Zeit im erweiterten Hinterland der Westküstenmetropole vorkamen, und nicht die allgemein eher mit Kanada assoziierten, aber weiter nördlich lebenden Waldbisons. Musikalisch siedelt das Trio jedenfalls in durchaus ähnlichen Gefilden wie Moon Shepherd, auch das Stilmittel der doppelläufigen Gitarren findet sich, wenngleich nicht so häufig wie bei den Leipzigern. Wem diese Aussage merkwürdig vorkommt, da in der Triobesetzung ja primär nur ein Gitarrist zu vermuten ist: Man nehme eine Loopstation, spiele erst die eine Spur der Melodie, loope sie und füge dann die zweite Spur hinzu – fertig ist der Doppellauf, der dank der Hinführung über die erste Hälfte zudem noch eine Art Exzelsior-Prinzip darzustellen ermöglicht. Zumeist gibt es aber basischere Sounds zu hören, die sich deutlicher als Moon Shepherd im Siebziger-Heavy Rock verorten lassen und die NWoBHM-Kante durch eine latente Stoner-Lastigkeit ersetzen. Dazu tritt auch hier der Sabbath-Faktor, wenn der Hörer da in einer der Eigenkompositionen plötzlich grinsend einen markanten Rhythmus aus „Fairies Wear Boots“ wiederfindet. Das Gros des Gesanges bestreitet der Gitarrist, und auch er wechselt zwischen klarem und etwas angerauhtem Gesang hin und her, gelegentlich vom Bassisten mit Gangshouts oder auch einer klaren zweiten Stimme unterstützt. Dass das Trio sich nicht nur auf sein Hauptgebiet limitiert, sondern auch in leicht abweichenden Arealen Starkes zu produzieren imstande ist, zeigt eine düster angehauchte Halbballade, in der der Sänger ein wenig an Gothic-Größen wie Andrew Eldritch oder Tilo Wolff (sofern letztgenannter richtig singen könnte) erinnert – und gleich danach folgt eine Coverversion. Mit der Wahl von King Crimsons „21st Century Schizoid Man“ hätte der unvorbereitete Hörer wohl eher nicht gerechnet, aber We Hunt Buffalo bringen das Kunststück fertig, selbst als Trio eine enorm dichte Variante zu erzeugen, die zugleich eindrucksvoll von ihren instrumentalen Fertigkeiten Zeugnis ablegt und klarmacht, dass sie auch in progressiven Dickichten den Faden nicht verlieren, auch wenn solche in ihren Eigenkompositionen nicht so häufig auftauchen, wobei man schon anmerken muß, dass die loopinduzierte Vielschichtigkeit durchaus nicht auf einem Zufall beruht, sondern zum Konzept des kanadischen Trios zu gehören scheint. Aufgrund des abermals sehr klaren, nicht überlauten und diesmal auch die Vocals angemessen nach vorn stellenden Klanggewandes kann man die Fähigkeiten der Band eindrucksvoll nachvollziehen, die Stimmung im Rund ist trotz eher mäßigen Füllstandes des Raumes ausgesprochen positiv, und ohne eine Zugabe läßt das Jenaer Publikum die Band bei ihrem ersten Gig in der Saalestadt auch nicht von der Bühne gehen. Roland Ludwig |
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