Nina Hagen Band
Original Vinyl Double Classics (Nina Hagen Band / Unbehagen)
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Info |
Musikrichtung:
Deutsch Rock / Punk
VÖ: 05.04.2019 (1978/79)
(Sony)
Gesamtspielzeit: 79:39
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Weiter geht es mit dem ersten Schwung der neuen Serie Original Vinyl Double Classics, die Sony im April gestartet hat. Dieses Mal sind mit Nina Hagen Band und Unbehagen die Kronjuwelen von Nina Hagen, bzw. der Nina Hagen Band am Start. Und wenn es natürlich auch der ganz besondere exzentrische Wahnsinn von Nina Hagen ist, der den Alben, insbesondere dem Debüt, sein ganz spezielles Gepräge gibt, kann man die Bedeutung „ihrer“ Musiker für die Genialität dieser beiden Alben kaum überschätzen.
Das merkt man ganz deutlich, wenn man einen Blick in die (damalige) Zukunft wirft. Die Band macht ohne Nina unter dem Namen Spliff weiter und liefert 1980 mit der englisch sprachigen The Spliff Radio Show die eigentliche Fortsetzung der Nina Hagen Band ab, bevor sie sich 1982 mit den Alben 85555 und Herzlichen Glückwunsch mehr und mehr der Neuen Deutschen Welle nähert – allerdings auf hohem musikalischen Niveau.
Nina Hagens Solo-Alben lösen sich dagegen weitgehend von dem, was die Nina Hagen Band war. Ihre Texte werden immer wunderlicher, strotzen nur so von Esoterik, UFO-Gläubigkeit, fernöstlicher Religiosität und einer kräftigen Prise christlichen Glaubens – natürlich in einer ganz speziellen Interpretation. Die Musik war zum Teil entsprechend abgedreht.
Aber bleiben wir in der damaligen Gegenwart. Nina Hagen Band von 1978 ist eine der genialsten deutschen Rock-Scheiben aller Zeiten! Punkt! Mir war anfangs nicht bewusst, dass diese schrille, abgedrehte, geniale zweiundzwanzigjährige Frau erst wenige Monate zuvor aus der DDR emigriert war. Sie wirkt wie der absolute Gegenpol zu der Gräue, die ich mit dieser mir völlig fremden anderen deutschen Republik verband. Dabei verdankt Nina Hagen diesem Staat Einiges. Im goldenen Westen überhaupt nicht vorstellbar war die einjährige professionelle Gesangsausbildung, die sie als staatlich geprüfte Schlagersängerin beendete. Ob sie als West-Punkerin die Fähigkeiten hätte ausbilden können, die sie gerade auf dem Debüt facettenreich demonstriert, scheint mir doch sehr fraglich.
Nina deckt mit ihrer Stimme von Rock-Röhre über Rrrriot-Girrrl, Couplet-Sängerin bis zur Drag Queen und Operettendiva alles ab und bewegt sich dabei in vier Oktaven. Textlich zeigt sie der bürgerlichen Gesellschaft den ausgestreckten Mittelfinger. Dass eine Frau so aktiv auf einem Mann zugeht, wie in „Rangehn“, und dabei auch noch unverhohlen klar macht, dass die Anmache eindeutig sexuell gemeint ist, war damals, genau wie das recht schlüpfrige „Heiss“, noch ein Skandal. Und das Bild, das sie in „Unbeschreiblich weiblich“ mit Bezug auf Simone de Beauvoir von sich zeichnet, hätte in den Augen der damaligen Gesellschaft unweiblicher kaum sein können. „Auf’m Bahnhof Zoo“ setzt da noch einen eindeutig lesbischen Akzent drauf.
Musikalisch ist das Ganze ungeheuer vielfältig. Da gibt es sehr direkte Punk-Nummern, wie den aggressiven Rausschmeißer „Punk“ oder das angepisste „Unbeschreiblich weiblich“. Dagegen steht das akustische „Naturträne“, das zwischen Couplet und Operette changiert. Tracks wie „Auf’m Bahnhof Zoo“ oder „Auf’m Friedhof“ kommen mit opulenten Arrangements geradezu progressiv.
„Heiss“ setzt auf Reggae.
Dass eine der stärksten Nummern das Tubes-Cover „Ich glotz TV“ ist, stört überhaupt nicht, da es das Original durch die brillant gesetzten Instrumente, bis hin zu den genialen Synthie-Fanfaren locker in die Tonne tritt.
Mit anderen Worten. Für die 18 Punkte unter dieser Review ist vor allem dieses Album verantwortlich.
Für sich gesehen ist auch Unbehagen ein starkes Album, das sich vor der nationalen Konkurrenz nicht zu fürchten braucht, auch wenn es gegenüber dem Debüt deutlich abfällt.
Sowohl der progressive, wie der Punk-Anteil sind deutlich zurückgefahren. Wave, Reggae und Pop bestimmen den Gesamteindruck. Gecovert wird in diesem Fall zwei Mal. Mit Lene Lovichs „Lucky Number“ holt sich Nina eine für sie perfekte stimmliche Bühne ins Haus, die sie entsprechend episch nutzt. Und mit Rita Pavone zitiert sie eine freche Göre der 60er Jahre, der sie natürlich textlich und musikalisch noch etwas Pfeffer geben muss. So heißt es z.B. statt „So wär es ungefähr…“ bei Nina nun „Ich hätt‘ genug Verkehr, wenn ich ein Junge wär“. Und eine Formulierung wie „Macht mir kein Schwanz ein Drama daraus.“ gibt’s 15 Jahre zuvor natürlich auch noch nicht.
Klasse kommt der genial produzierte „African Reggae“, icl. Jodel(!)Part. Dass Nina aber keine Drogenverharmlosung betreibt,zeigtt „Herrmann hiess er“, fast ein Hörspiel, das den Absturz in den Drogenwahnsinn akustisch geradezu schmerzhaft deutlich inszeniert. Auch „Alptraum“, mit einem eher sinnfreien Text, nutzt Nina um ihre Stimme in all ihren Facetten leuchten zu lassen.
Der feministische Ansatz scheint weitgehend abgearbeitet zu sein und auch die explizit sexuell agierenden Texte sind auf das sehr fleischliche Reggae-Liebes-Lied „Fall in love with me“ (tolle Vintage Orgeln) beschrämkt.
Dass Nina und ihre Band zur Zeit der Aufnahmen bereits völlig zerstritten waren, merkt man zu keinem Moment. Nina erschien zum Einsingen der Texte erst im Studio, als die Band mit ihrer Arbeit bereits fertig war.
Die Original Vinyl Double Classics sind völlig ohne Boni, Liner Notes, Download Codes oder Textbeilage eine klassische Cash-In Angelegenheit, aber gut und stillvoll gemacht. Die beiden Innenseiten sind den Originalcovern vorbehalten. Für die Rückseite wurde das Revers des Debütalbums benutzt. Darauf befinden sich die Tracklists, die Besetzung und minimale Credits. Für die Vorderseite wurde ein neues Cover entworfen. Bei der Unterschiedlichkeit der beiden Originalcover war es offenbar nicht möglich, wie bei Lake und Running wild ein an die Originale angepasstes Artwork zu entwerfen. Das gelingt nur bei den Label-Aufklebern auf den LPs.
Wer die Scheiben noch nicht hat, und mit der reinen Musik in einer ansprechenden, aber informationsfreien Verpackung zufrieden ist, sollte jetzt unbedingt zugreifen.
Norbert von Fransecky
Trackliste |
Nina Hagen Band (1978)
Seite 1
1 TV-Glotzer (White Punks on Dope) (5:15)
2 Rangehn (3:27)
3 Unbeschreiblich weiblich (3:30)
4 Auf'm Bahnhof Zoo (5:25)
5 Naturträne 4:05
Seite 2
1 Superboy (4:01)
2 Heiss (4:11)
3 Fisch im Wasser (0:51)
4 Auf'm Friedhof (6:15)
5 Der Spinner (3:15)
6 Pank (1:45)
Unbehagen (1979)
Seite 1
1 African Reggae (6:17)
2 Alptraum (6:10)
3 Wir leben immer noch (Lucky Number) (4:53)
4 Wenn ich ein Junge wär (Live) (2:14)
Seite 2
1 Hermann hiess er (6:34)
2 Auf'm Rummel (4:32)
3 Wau wau (2:07)
4 Fall in Love mit mir (3:47)
5 No Way (1:05) |
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Besetzung |
Nina Hagen (Voc)
Bernhard Potschka (Git)
Manfred Praeker (B)
Reinhold Heil (Keys)
Herwig Mitteregger (Dr)
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