Minimal Music: Sannhet und Sum Of R in Jena
Nehmen Bands weite Anreisewege zu Festivals auf sich, so ergreifen sie nicht selten die Gelegenheit, ringsherum noch ein paar Einzelshows oder gleich eine ganze Tour zu spielen. So handhaben es auch die US-Ostküstenbewohner Sannhet, die u.a. fürs Roadburn und das Doom Over Leipzig über den großen Teich setzen und im Rahmen der umliegenden Aktivitäten an diesem Dienstagabend im Jenaer Kulturbahnhof gastieren. Als Support dabei sind Sum Of R aus der schweizerischen Hauptstadt, und nachdem der Kulturbahnhof-Stammgast in der jüngeren Vergangenheit bereits mehrfach mit Minimalbesetzungen im Rockbereich konfrontiert wurde, tritt dieses Phänomen an diesem Abend gleich gehäuft auf: Beide Bands zusammen bringen es auf nur fünf Mitglieder, und da kein Musiker zweimal spielt und auch kein Einzelkämpfer dabei ist, folgt daraus, dass wir es mit einem Trio und einem Duo zu tun haben müssen. Sum Of R sind das letztgenannte und bieten an diesem Abend laut eigener Aussage einen Mix aus ihrem zweiten Album Lights On Water und dem neuen Werk Orga. Das selbstbetitelte Debüt habe noch mehr an einen Soundtrack erinnert, das live zu hörende Material hingegen wird mit den Worten doomige Soundflächen vorangekündigt, und das trifft es letztlich auch. Der eine der Bühnenaktiven hat eine Gitarre umhängen, der andere sitzt hinter dem Schlagzeug, und beide bedienen zudem einiges an Effektgeräten, wobei der Saitenartist ein riesiges Effektboard vor sich hat, während der Drummer neben dem regulären Drumkit auch noch ein E-Pad zur Verfügung hat, welches allerdings vergleichsweise selten zum Einsatz kommt. Nach dem ersten Song versucht das Publikum Applaus zu spenden, aber der Gitarrist dreht sofort die Effekte lauter, die dann auch zwischen den anderen Songs keine akustische Pause lassen und somit klarmachen, dass eine diesbezügliche Interaktion nicht erwünscht ist. Auch Ansagen gibt es keine, Gesang ebenfalls nicht, beide Musiker haben nicht mal ein Mikrofon aufgebaut. Das musikalische Bild gestaltet sich, wie man anhand der Beschreibung bereits vermutet hat, eher düster, die Effekte addieren einen gewissen Psychedelikfaktor, und auch wenn orgelähnliche Geräusche simuliert werden, bleibt der Geräuschfaktor über den Orgelfaktor dominant, wobei das Klanggewand allgemein durchaus durchhörbar, allerdings ein gutes Stück zu laut geschneidert wird. Trotz einiger lehrbuchreifer Dynamiksteigerungen beginnt das Ganze mit der Zeit allerdings stark zu ermüden, erst der Setcloser (in den einige Vokalsamples eingebunden werden) kann arrangementseitig nochmal einiges an Spannung erzeugen. So ernten Sum Of R letztlich eine Art freundlichen, aber verwirrten Applaus vom Publikum. Sannhets neues Album So Numb hat reihenweise positive Reaktionen einfahren können, und es verwundert natürlich nicht, dass die New Yorker auch diverses Material von selbigem, darunter den Titeltrack, in ihren aktuellen Tourset einbauen. Aber auch sie sehen diesen Set eher als Ganzes, wobei die Entwicklung allerdings derjenigen bei Sum Of R reziprok ist: Nach dem Opener traut sich keiner zu klatschen, weil auch hier durchgehende Töne zu hören sind – nach drei, vier Songs aber klatscht das Publikum dann einfach, und die Band nimmt das dankbar entgegen und ergreift keine Gegenmaßnahmen, die den Musikblock monolithisch machen würden. Gesang gibt es, von wenigen Vokalsamples abgesehen, auch hier ebensowenig wie Ansagen, und ein gewisser Düsternisfaktor ist der Musik gleichfalls innewohnend. Damit enden die Gemeinsamkeiten Sannhets mit Sum Of R aber. Die Amerikaner arbeiten zu dritt und lassen die gruppeninterne Demokratie auch optisch deutlich werden, indem alle drei Musiker am vorderen Bühnenrand arbeiten, der Drummer also nicht nach hinten gerückt wird. Das ist auch gut so, denn dem beim Spielen zuzusehen macht richtig Spaß, und er drückt dem Sound des Trios einen markanten Stempel auf, anfangs sogar einen zu markanten – es dauert durchaus den halben Gig, bis der Soundmensch speziell die Snare so ins Gesamtbild eingefügt hat, dass man den Eindruck einer Zusammengehörigkeit gewinnen kann. Das ist beim gewählten Stil der Band durchaus nicht unwichtig: Die New Yorker stellen quasi ein instrumentales Äquivalent zum Öko-Black Metal Marke Wolves In The Throne Room dar, auch Downfall Of Gaia lassen sich als Referenzgröße angeben, während die offizielle Ankündigung Deafheaven, Omega Massif und Caspian als Namen in die Runde wirft. Wildes Geprügel wechselt sich also mit weiten postrockigen Soundflächen ab, und zumeist gelingt die Verquickung recht spannend, wenngleich man sich wie beschrieben zunächst aufgrund des vorlauten Schlagzeugs etwas Mühe geben muß, um in den Klangkosmos der Band vorzudringen. Sobald das gelungen ist, entfalten Sannhet eine reizvolle Sogwirkung – ob man die kubistische Lichtshow dabei als Bereicherung oder als störend empfindet, bleibt jedem Anwesenden überlassen. Interessante Effekte gibt es auch dabei freilich allemal, etwa wenn der Drummer schräg von hinten/unten angeleuchtet wird. So entwickelt sich mit der Zeit einiges an Spannung, und dass das Publikum letztlich eine Zugabe einfordert, ist die logische Konsequenz eines unterm Strich irgendwie seltsam faszinierenden Auftritts. Roland Ludwig |
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