Cage, J. (Hussong - Wei)
Two³
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik
VÖ: 10.04.2015
(Wergo / 2 CD / DDD / 2013 / Best. Nr. WER 67582)
Gesamtspielzeit: 101:47
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GEFRORENES LICHT
Gefrorenes Licht - so könnte es klingen. Über rund 100 Minuten lassen der Akkordeonist Stefan Hussong und der Sheng-Spieler Wu Wei die Klangkomplexe, aus denen John Cages spätes Number-Piece Two³ besteht, auf eine geradezu unirdische Weise gleißen, flirren, glitzern, aufglühen und wieder verlöschen.
Das Geheimnis des Klangs liegt bei diesem Werk zum einen in der eher hohen Registrierung, zum anderen in der exotischen Besetzung mit Akkordeon und Sheng. Dadurch wirkt die Musik sehr abstrakt, sehr rein und unwirklich; mitunter denkt man an elektronische Instrumente. Aber es ist alles akustisch und unplugged: Ursprünglich hat Cage das Stück für die japanische Mundorgel Sho komponiert. Die Sheng ist die noch viel ältere chinesische Schwester der Sho; beides sind Mundorgeln mit Bambuspfeifen und die Klangerzeugung erfolgt wie bei anderen Harmonikainstrumenten über vibrierende Zungen. Dadurch wiederum ergibt sich eine Verwandtschaft zum Akkordeon. Man kann sagen, dass das Akkordeon bestens geeignet ist, die Sheng (oder Sho) zu imitieren. Beide Instrumente klingen ähnlich und sind zugleich verschieden.
Im Fall von Cages' Stück handelt es sich also um eine Bearbeitung einer ursprünglichen Sho-Solopartie für zwei andere Instrumente. Die beiden Musiker teilen sich dafür das Notenmaterial. Das zweite Instrument, auf den sich der Titel Two bezieht, sind Muscheln (Conch Shells), die beim Drehen ploppend-glucksende Laute produzieren, aber nur sehr selten zu hören sind. Sie kontrapunktieren das spektrale "Weben" der beiden anderen Klangerzeuger.
Cage hat die Einsätze der Klänge über sogenannte Zeitklammern organisiert, die ein Intervall für den Beginn und das Ende eines Klangereignisses festlegen. Innerhalb der Klammer ist der Interpret frei, den Einsatz und die Artikulation der Musik zu bestimmen; Cage empfiehlt allerdings, bei langgehalten Klängen eher leise und zart zu spielen, bei kurzen dagegen kann der Ton auch lauter sein.
Im vorliegenden Fall ist der Klang insgesamt sehr fein und fragil, dabei aufgrund der komplexen Obertöne zugleich ausgesprochen farbig. Es ist wirklich so, als würde die Musik durch ein Prisma oder verschiedene Filter hindurch geschickt und dadurch immer wieder verändert: ein Licht in unterschiedlichen chromatischen Formationen, Temperaturen oder "Aggregatzuständen". Das ist oft von betörender, wenngleich fremdartiger Schönheit.
Bei aller Reduktion im Großen erscheint ein ungeahnter Klangreichtum im Kleinen, so, als würde man die Musik unter dem Mikroskop betrachten. Faszinierend ist auch, wie das Zeiterleben sich verändert. Es gibt keinen Puls, kein Metrum; Klänge kommen und vergehen. Zeit ist Klang und Klang ist Zeit: Jetzt!
An den Hörer stellt diese subtile Musik große Anforderungen; sie kommt ihm nicht entgegen, sondern erfordert hingebungsvolles Lauschen. Lässt man sich auf diese zen-buddhistische Meditation über das klingende Etwas von Nichts und Stille ein, wird man reich belohnt: Nicht zuletzt aufgrund der Leistung der Interpreten kann man dann erleben, dass diese Musik weder eintönig noch langatmig ist. Jeder Augenblick ist erfüllt. Auch das sehr detailfreudige, präsente Klangbild sorgt dafür, dass es wirklich etwas zu entdecken gibt.
Georg Henkel
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Besetzung |
Stefan Hussong: Akkordeon, Conch Shells
Wu Wei: Sheng, Conch Shells
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