Britten, B. (Gardner)
Death in Venice (DVD)
SCHWERE AUFGABE
Unverfilmbar, unvertonbar – trotzdem oder vielleicht gerade deshalb inspiriert Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ Kunstschaffende aller Kategorien immer wieder. Dass die äußere Handlung extrem begrenzt ist und sich alles Wesentliche im Inneren des Protagonisten Gustav von Aschenbach abspielt, macht dabei den Reiz und die Schwierigkeit aus. Dieser Umstand fordert dazu heraus, von einer bloßen Bebilderung zu einer eigenständigen Nachschöpfung der literarischen Vorlage zu gelangen: Viscontis Film ist da nur ein Beispiel unter vielen.
Benjamin Britten begann erst 1972 und damit wenige Jahre vor seinem Tod, sich an das gewagte Projekt einer Opernfassung des Stoffs zu begeben. Das Thema vom Künstler in der Schaffenskrise, der sich dem Rausch des Eros überlässt und in seiner Sehnsucht nach einem pubertierenden Knaben nicht nur auf-, sondern schließlich sogar untergeht, dürfte Britten persönlich sehr nah gewesen sein. In seiner Vertonung setzt er einerseits auf subtile tonartliche Hinweise, zum anderen auf den starken Kontrast zwischen der Musik, die er Aschenbach zuweist, und jener, mit der er den Jungen Tadzio charakterisiert. Hier eine Art Sprechgesang mit trockener, oft minimaler Begleitung durch das Klavier, dort von farbenreichem Schlagwerk und Anklängen balinesischer Gamelanmusik geprägte Rhythmik und pentatonische Harmonik. Der Gegensatz zwischen Leben und (schulmeisterlicher) Kunst könnte kaum wirkungsvoller beschworen werden.
Im Vergleich zu Brittens früheren Opern gibt es dabei weniger Momente, in denen der Hörer für längere Momente im Klang schwelgen darf. Die Oper stellt durchaus einige Anforderungen an das Publikum und die Sensibilität seiner „Antennen“. Ob es allerdings nur daran liegt, dass das Werk so selten auf der Bühne zu sehen ist?
In der jetzt auf DVD und Blue-Ray erschienen Inszenierung der English National Opera dominiert das Trockene: Dies nicht nur aufgrund der entsprechenden Akustik der Aufnahme, sondern auch deshalb, weil der Dirigent Edward Gardner sein Orchester am kurzen Zügel führt und weil John Graham-Halls Tenor in der Titelpartie durchgehend angespannt tönt. Selbst Tim Mead lässt sich in der Rolle des Apollo von dieser Angestrengtheit anstecken und vermag daher sein Potential nicht voll zu entfalten.
Regisseurin Deborah Warner gelingen punktuell einprägsame, sprechende Bilder und zwar vor allem dort, wo sie mit Videoprojektionen im Bühnenhintergrund arbeitet. Überwiegend aber setzt sie mit einer konventionellen Inszenierung auf Sicherheit. Die Personenführung wirkt dabei über weite Züge hölzern. Die (tänzerischen) Bewegungen Tadzios (Sam Zaldivar) und seiner Kameraden erscheinen weitgehend routiniert bis diszipliniert und so wenig spielerisch oder gar dionysisch, dass sie den Reiz, der von diesem Jungen auf Aschenbach ausstrahlt, kaum zu vermitteln vermögen. Die glänzend und äußerst sensibel gestaltete Schlussszene macht jedoch so manches Manko vergessen.
Sven Kerkhoff
Besetzung |
Johan Graham-Hall: Aschenbach
Tim Mead: Voice of Apollo
Andrew Shore: Reisender/Geck/Hotelier/Barbier u.a
Sam Zaldivar: Tadzio
Chor und Orchester der English National Opera
Edward Gardner: Ltg.
Deborah Warner: Regie
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