Lustvolle Opern-Comedy um Händels Xerxes
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Künstler: Georg Friedrich Händel - Xerxes
Zeit: 19.05.1012
Ort: Komische Oper Berlin
Besucher: 1190 (ausverkauft)
Veranstalter: Komische Oper Berlin
Fotograf: Karl Forster
Internet: http://www.komische-oper-berlin.de
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Wer bei dem Titel Xerxes eine ähnliche Aufarbeitung historischer Stoffe erwartet, wie bei Händels biblisch inspirierter Oper Saul, dürfte schwer enttäuscht werden. Abgesehen von der angeblichen Liebe Xerxes‘ zu Platanen in der ersten Arie und seinem Plan mit Schiffen eine Ponton-Brücke zwischen Europa und Asien zu errichten – was für die “Handlung“ der Oper völlig irrelevant ist – ist in der Oper an historischen Tatsachen nichts zu finden.
Xerxes erinnert von der Anlage eher an eine andere Händel-Oper, die zwei Jahre zuvor am selben Ort von Alexander Mork-Eidam inszeniert wurde: Orlando. Wie dort ist auch Xerxes ein furioses Verwirrspiel um Liebe, Lust und Leidenschaft.
Xerxes ist mit Amastris verlobt, stellt allerdings Romilda, der Tochter seines Heerführers Ariodates, nach. Die wiederum ist im Geheimen mit Xerxes‘ Bruder Arsamenes liiert. Als Xerxes nun gerade ihn zum Liebeswerber machen will, kommt es zum großen Zerwürfnis, das mit der Verbannung Arsamenes‘ endet.
Am Ziel ist Xerxes damit noch lange nicht. Romilda lehnt die Krone aus Treue zu ihrer Liebe ab. Da kann Xerxes machen, was er will. Auch Atalanta, die ihre Schwester drängt, dem Werben des Königs nachzugeben, bleibt erfolglos. Ihr Drängen ist allerdings auch alles andere als selbstlos. Sie hofft, dass dadurch für sie selber der Weg bei Arsamenes frei wird.
Am Ende stellt sich Xerxes selber ein Bein. Die kryptischen Äußerungen, die er Ariodates gegenüber zur bevorstehenden Hochzeit Romildas macht, werden von dem so falsch verstanden, dass er sie als Einverständnis des Königs zur Hochzeit von Romilda mit Arsamenes wertet. Als der Irrtum auffliegt, ist die Ehe bereits geschlossen und Händel geht zum großen Happy End über.
Amastris, die sich als Soldat verkleidet in einer kleineren Rolle durch die Handlung bewegt hat, vergibt ihrem Xerxes und die beiden versöhnen sich. Für Atalanta steht Elviro, der Diener Arsamenes, bereit, der als Blumenmädchen verkleidet den Liebesbriefboten gespielt und dadurch für zusätzliche Verwirrung gesorgt hatte.
Von den sieben Hauptrollen steht so am Ende nur Ariodates solo da, aber der ist immerhin auf einen Schlag doppelter Schwiegervater geworden.
Wie bei Barock-Opern nicht unüblich sind fast alle Hauptrollen weiblich besetzt. Nur für den Heerführer Ariodates und den Diener Elviro wurden männliche Sänger verpflichtet.
Die Sänger und Sängerinnen waren brillant. Und das gilt sowohl für die stimmliche, wie für die mimische Leistung. Allen voran Stella Doufexis in der Rolle des Xerxes. Sie hat hier keine Rolle gespielt. Sie hat sie gelebt. Sie war Xerxes – verzweifelt, triumphierend, wütend, glücklich, zärtlich, aggressiv. Jede Emotion wurde mit dem ganzen Körper gespielt. Einige Arien ließen deutlich spüren, dass der Graben zwischen Ba-rock und Rock gar nicht mal so garstig breit ist. Wenn Queen noch einmal mit einem neuen Sänger durchstarten wollen, sollten sie bei Stella Doufexis anklingeln. Sie könnte in der Lage sein die Diva Freddie Mercury zu ersetzen.
Ein gewagtes Spiel treibt Stefan Herheim bei seiner Inszenierung an der Komischen Oper. Die animalischen Triebe, die der Begierde nach dem anderen Geschlecht zugrunde liegen, negiert er nicht nur nicht. Er stellt sie zumindest im ersten Drittel in den Mittelpunk. Gleich zu Beginn lässt er mehrere Schauspieler in Tierkostümen auf die Bühne kommen – womit er eine Aufführungspraxis aus der Zeit Händels aufnimmt. Die Schafe und Bären zeigen, wenn sie sich aufrichten nicht nur opulente Geschlechtsmerkmale, sondern deuten Geschlechtsakte unterschiedlicher Art ausgesprochen deutlich an. Eine Praxis, bei der ihnen die auch in der Maske Mensch gebliebenen Schauspieler folgen werden. Blow Jobs inklusive.
Und gerade, wenn man sich entschlossen hat, diese Inszenierung geschmacklos und übertrieben zu finden, zeigt Herheim dem Publikum, sich selber auf die Schippe nehmend, grinsend den Mittelfinger. Übermenschengroß erscheinen auf der Bühne die sechs Buchstaben XER XES. Nach einer Rochade werden sie zu einem sinnlosen Buchstabensalat; nach der zweiten steht auf der Bühne groß und deutlich SEX REX.
Spätestens jetzt ist der Damm gebrochen und das komplette Publikum bereit eine fantastische Barock Opern Comedy mitzufeiern. Nun bekommen nicht nur die Gesangsarien Szenenapplaus. Auch die im flotten Takt auf die Bühne gebrachten Gags werden mit anhaltendem Beifall und kabarett-reifem Gelächter quittiert. Immer wieder gibt es dabei Anspielung auf Genre-fremde Werke. Wenn zum Beispiel das Blumenmädchen Elviro anfängt im breitesten Berlinerisch zu singen, denkt man sofort an My fair Lady. Dann versucht Xerxes, die ihm nicht willige Romilda mit immer stärkeren Waffen und Effekten zu töten. Einem Messer folgt eine Pistole, die eine (Friedens)taube erlegt. Eine Schlange erweist sich als nutzlos. Eine Armbrust holt Amor vom Himmel (der in den Augen Xerxes‘ ja wohl wirklich nichts auf die Reihe kriegt.). Zu guter Letzt reißt eine Kanone ein Loch in die Rückwand der Bühne. Wer muss dabei nicht sofort an die Blues Brothers denken und die Versuche von Jake Blues‘ Verflossener ihren untreuen Ex-Bräutigam mit MP, Panzerfaust, Flammenwerfer und Sprengfalle zu beseitigen?
Als dann einer der Sänger dann noch die kurze Phrase „Komische Oper hier“ intoniert, gibt es kaum noch ein Halten.
In der letzten halben Stunde vor und der Stunde nach der Pause beruhigt sich die Inszenierung in Comedy-Hinsicht. Das ist auf der einen Seite schade, garantiert auf der anderen Seite aber auch, dass Herheim die Sache nicht überzieht.
Zu erwähnen bleibt noch die Arbeit mit der Bühne. Sie ist nicht nur Dekoration, sondern klar als Bühne zu erkennen. So wechselt die Drehbühne nicht nur immer wieder bei offenem Vorhang die Szenerie. Die Bühnenarbeiter, in historische Gewänder gehüllt, bauen sie auch mehrfach für das Publikum deutlich sichtbar um, während die Handlung weiter läuft. Und auch die Schauspieler wechseln immer wieder auf offener Bühne, oder am Bühnenrand die Kostüme.
Eine rundum gelungene Inszenierung, die noch vier Mal in der Komischen Oper zu sehen ist - am 15., 21. und 27. Juni, sowie am 5. Juli.
Da lohnt sich der Besuch von Berlin doppelt. Gelandet wird dazu – wie bekannt – immer noch in Tegel oder Schönefeld.
Besetzung:
Xerxes ... Stella Doufexis
Arsamenes ... Karolina Gumos
Amastris ... Katarina Bradic
Romilda ... Brigitte Geller
Atalanta ... Julia Giebel
Ariodates ... Dimitry Ivashchenko
Elviro ... Hagen Matzeit
und 21 weitere SängerInnen
Musikalische Leitung ... Konrad Junghänel
Inszenierung ... Stefan Herheim
Bühnenbild ... Heike Scheele
Norbert von Fransecky
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