Debussy, C. (de Billy)
Pelléas et Mélisande
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Info |
Musikrichtung:
Impressionismus Oper
VÖ: 26.03.2010
(Virigin Classics / EMI / 2 DVD / live 2009 / Best. Nr. HMC 902059)
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GOTHIC TALE
Auf einen Dachboden, der auch ein Wald sein könnte – oder in einen Wald, der zugleich ein Dachboden ist? – hat die Bühnenbildnerin Chantal Thomas in dieser Wiener Produktion Claude Debussys einzige vollendete Oper Pélleas et Mélisande versetzt. Zusammen mit der Drehbühnentechnik des Theaters an der Wien und einer ausgeklügelten expressionistischen Licht-Regie, die Vieles im ahnungsvollen (Halb-)Schatten belässt (Joël Adam) ergeben sich ganz organisch und in Übereinstimmung mit den Bewegungen der Musik die nötigen traumwandlerischen Veränderungen des Sets. In dessen Vieldeutigkeiten brechen sich jene verwirrenden seelischen Befindlichkeiten, die Debussy mit seiner Musik projiziert. Es entstehen verzauberte, oft auch bedrohlich untiefe Räume des Unter- und Unbewussten, die die sparsame Handlung der Oper, eine klassische Dreiecksgeschichte, perspektivreich spiegeln und in der Schwebe halten. Man erwartet jederzeit, einen Geist aus dem Dunkel hervortreten zu sehen - die impressionistische Oper als Gothic Tale.
Bespielt wird diese Halbwelt sehr überzeugend von überwiegend französischen Sänger-Darsteller/innen. Vokale Thrills und Effekte gibt es nicht. Das Wort im „unendlichen Rezitativ“ beherrscht die Musik – aber wie reich hat Debussy dies gestaltet! Natalie Dessay, bislang eher bekannt als die Königin der Koloraturen, gibt die geheimnisvolle Mélisande wie einen verirrten Vogel – anrührend zart und zerbrechlich, vokal dabei ungemein differenziert. Ihr Bühnengemahl Golaud wird von ihrem realen Ehemann Laurent Naouri verkörpert. Mit seinem ausdrucksreichen Bass liefert er das emotional glaubhafte Porträt eines Mannes, dem das Leben über den Kopf wächst; eines Mannes, der verstehen möchte, aber nicht verstehen kann, wer Mélisande ist und was sie mit seinem Halbbruder Pélleas verbindet. Er möchte alles richtig machen, sieht am Ende aber keinen anderen Ausweg mehr, als seinen Rivalen zu töten. Stephane Degout findet als hoher Bariton genau das richtige Maß, um Mélisande ein Seelenverwandter zu sein: jungenhaft klar und zugleich romantisch intensiv legt er seine Rolle an. Auch die Nebenrollen sind rundum stimmig besetzt, eine besondere Erwähnung verdient der kleine Yniold von Beate Ritter wegen ihrer ergreifend realistischen Darstellung eines verstörten Kindes.
Die Regie von Laurent Pelly sorgt für eine psychologisch stimmige Personenzeichnung und –führung, die immer ganz nah an der Musik ist, so dass keine Längen aufkommen. Bertrand de Billy leitet das Radio-Sinfonieorchester Wien souverän durch die zarten musikalischen Gewebe Debussys. Dem leichten Klang fehlt es im Ganzen allerdings an Dynamik, Tiefe und hypnotischem Zauber. Und an einigen Stellen zu Beginn wird z. B. Stephan Deguet von der Musik überlagert und wirkt tontechnisch etwas verloren.
Georg Henkel
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Besetzung |
Natalie Dessay: Mélisande
Stéphane Degout: Pelléas
Laurent Naouri: Golaud
Philip Ens: König Arkel
Marie-Nicole Lemieux: Königin Geneviève
Tim Mirfin: Hirte/Arzt
Beate Ritter: Yniold
Radio-Symphonie Orchester Wien
Arnold Schoenberg Chor
Bertrand De Billy: Leitung
Laurent Pelly: Regie
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