Musik an sich


Reviews
Charpentier, M.-A. (Walker)

David et Jonathan


Info
Musikrichtung: Barock Oper

VÖ: 23.04.2010

(ABC Classics / Codaex 2009 / Best. Nr. ABC 4763691)

Gesamtspielzeit: 120:00



AUS FLEISCH UND BLUT

Hochwillkommen ist diese Produktion der australischen Pinchgut-Oper von Marc-Antoine Charpentiers geistlicher Oper David et Jonathan (nach Motiven aus dem 1. Buch Samuel)! Charpentier konnte sich bei dieser Oper ganz auf die emotionale Seite seiner Figuren konzentrieren und zudem in großen Ensemble- und Chorszenen seine musikalische Inspiration recht frei ausspielen. Die fünf Akte wurden nämlich im Wechsel mit den Akten eines lateinischen Schuldramas am Pariser Jesuitenkonvent gegeben. So besitzt diese Oper insgesamt eine größere emotionale Tiefe und Dringlichkeit als die meisten anderen französischen Barockopern aus jener Zeit.
Ein Vergleich mit der als Sammlerstück hoch gehandelten Interpretation durch William Christie und Les Arts Florissants (Harmonia Mundi) zeigt, wie Antony Walker mit seinem Orchestra of the Antipodes die Akzente setzt: Bei Christie übernahm der Altist Gérard Lesne die hohe Partie des David und verlieh dem Helden eine bewegendes melancholisches, aber auch irgendwie entrücktes Profil. Seine Partnerin in der Rolle des Jonathans war Jill Feldman. Ihr silbriger, glockenheller Sopran betonte die ephebenhaften Züge des Königssohnes und ergänzt sich so perfekt mit Lesnes Altus. Man denkt an eine Skulptur von Canova, bei der barocke Sinnlichkeit sozusagen klassisch überhöht und auch etwas abgekühlt wurde.
Anders Anders C. Dahlin und Sara Macliver in der Neueinspielung: Dahlin ist, historisch korrekt, ein hoher Tenor in der französischen Tradition des haute-contre. Sein David ist menschlicher und emotional direkter, mehr ein Mensch aus Fleisch und Blut. Man erlebt einen charismatischen Jüngling, der zwischen Liebe und Pflicht, Gehorsam gegen Gott und eigenen Sehnsüchten hin- und hergerissen ist. Da auch Macliver ihren Jonathan mit mehr physischen und leidenschaftlichereren Farben ausstattet, bekommt man das Porträt einer sehr intensiven Beziehung zwischen zwei jungen Männern, deren subtile Homoerotik allerdings in der Inszenierung der Pinchgut-Oper durch einen handfesten Kuss beim Abschied ziemlich offenkundig wird (zu sehen bei Youtube).
Während Christie mit seinem großen Ensemble einen elegant-elegischen Ton kultiviert und die Makellosigkeit einer Studio-Produktion bietet, punktet Antony Walker mit dramatischer Lebendigkeit und Bühneneffekten (z. B. bei den Fernchören hinter den Kulissen bei den Kriegsszenen). Da toleriert man kleinere Unebenheiten oder Nebengeräusche gerne. Bei den Nebenrollen kann der vokal instabile Saul von Dean Robinson weniger als derjenige von Bernard Deletre bei Christie überzeugen. Er erscheint von Anfang an als gebrochener Charakter, während Deletre seinen König noch im Scheitern mit herrscherlicher Würde ausstattet.

Im Ganzen lohnt sich diese Neueinspielung, weil sie stilistisch kompetent und schön musiziert ist und in ihrer unmittelbaren Lebendigkeit die ältere Christie-Einspielung ergänzt.



Georg Henkel



Besetzung

Anders J. Dahlin: David
Sara Macliver: Jonathan
Dean Robinson: Saul
Richard Anderson: Achis
Simon Lobelson: Joabel
Paul McMahon: Hexe von Endor
David Parkin: Geist des Samuel
u. a.

Cantillation

Orchestra oft the Antipodes

Antony Walker: Leitung


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