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HANS SÖLLNER - Lieder und Palaver in Oettingen





1996, es sollte ein sehr schönes Jahr für alle Fußballfans werden. An irgendeinem Tag im Juni, ich glaube es war der 19. Juni spielte kein geringerer als Hans Söllner solo im Zirkuszelt in Nördlingen auf der Kaiserwiese. Am gleichen Abend spielte Deutschland in der Europameisterschaft das Finale gegen Tschechien, dass sie ja bekanntlich dank Oliver Bierhoffs Golden Goal gewonnen haben. Normalerweise hätte ich mir das Finale angeschaut, aber ich wollte unbedingt den bayrischen Rebellen Hans Söllner in meiner Heimatstadt sehen und nahm dafür sogar in Kauf, das EM-Finale 1996 nicht zu sehen. Damals war es definitiv die richtige Entscheidung, das Konzert war unglaublich spitze. Söllner war an dem Abend so dermaßen bissig, dass er dank eines oder mehrerer im Zelt befindlicher Zivil-Polizisten sogar durch einige derbe Aussagen über Günther Beckstein Auftrittsverbot in Nördlingen bekam. Ich war begeistert von so viel Bissigkeit und Überzeugung, der Abend war wirklich großartig.

Deshalb wollte ich auch unbedingt nach Oettingen als ich hörte, dass er solo dort auftreten würde. Auf jeden Fall war die Vorfreude groß als ich nach Oettingen fuhr, um den Rebell aus Berchtesgaden live zu sehen. Vor der Halle angekommen sehe nicht wirklich Leute die Gras rauchen, aber riechen kann man’s ziemlich häufig. Der Platz den wir haben ist nicht unbedingt schlecht, wir sitzen links von der Bühne etwa 20 Meter von der selbigen weg. Ich bin schon ziemlich gespannt, was denn alles so gespielt wird.

Um ziemlich genau 20 Uhr geht das Licht aus und der Söllner-Hans und der Bassist von Bayamann-Sissdem betreten die Bühne. Der ziemlich volle Saal brodelt, es hagelt Beifall von allen Seiten. Als Söllner das erste Wort ins Mikrofon sagt, bin ich etwas schockiert: Seine Stimme ist total verraucht, das hört sich nicht mehr gesund an. Noch schlimmer allerdings ist sein plattes, nichtsagendes, sich ständig wiederholendes Geschwätz. Er träumt davon, in sämtlichen Kreisverkehren im Ries Marihuana anzubauen. Diesen Satz nuschelt er bestimmt 30-mal an dem Abend ins immer wieder johlende Publikum. Außerdem möchte er noch, dass jeder, der ein Polizeiauto sieht diesem hinterher fährt und dies solange, bis die Polizisten entnervt halten und nicht mehr weiter wissen. Einmal gesagt ganz witzig, aber auch dieser Satz kommt bestimmt 30-mal während des Abends. Dann ist wieder mal die Polizei fällig und er kann es halt gar nicht verstehen, dass sie ihn immer wieder wegen irgendwelcher Drogen untersuchen. Mal ganz ehrlich: Das langweilt. Der bis jetzt geschriebene Absatz ist kurz, die reine Sprechzeit von Söllner eher weniger. Nach geschlagenen 35 Minuten spielt er das erste Lied, das dann mit „Edeltraut“ vom Publikum sehr wohlwollend aufgenommen und begeistert mitgesungen wird. So könnte es weitergehen. Aber leider tut es das nicht. Während der ersten Stunde spielt er gerade mal noch einen weiteren Song, was ich schon sehr unverschämt finde. Er meint dann noch lapidar, dass Oettingen froh sein kann. Am Tag zuvor habe er insgesamt bloß zwei Songs gespielt. Ich befürchte das Schlimmste.

Im zweiten Teil gibt er dann allerdings mächtig Gas und spielt ein Lied nach dem anderen. Die Songs, die er präsentiert sind auf jeden Fall klasse, sehr emotional vorgetragen und hinterlassen fast immer eine gewisse Betroffenheit beim Zuhörer. Deswegen bin ich nach Oettingen gefahren! Ein absoluter Tiefpunkt in meinen Augen ist dann allerdings sein wohl bester Hit „Hey Staat“, bei dem er mittendrin „Stop! I hab den Text vergessen“ schreit und auf einmal wieder zu labern beginnt. Um was es geht? Na ja, um Kreisverkehre und wie man am besten Polizeiautos hinterher fährt ... Das ist traurig und mit solchen Aktionen demontiert er die eigene Legende. Falls man noch von Legende sprechen kann. Meiner Meinung nach hat Hans Söllner definitiv seine besten Zeiten hinter sich, was ich sehr traurig finde. Politischem Biss und Kratzbürstigkeit haben sich dank übermäßigen Hanf-Genusses leider verflüchtigt. Wenn er erzählt merkt man, dass er den roten Faden mehr als einmal verliert und leider nur noch wirres Zeug vor sich hin faselt. Der Sound ist leider auch etwas zu leise, so dass ich hinten gar nicht alles verstehe.

Nach zwei Stunden ist das Konzert dann aus, und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Im Hintergrund läuft Bob Marleys „No Woman No Cry“. Bei diesem Song beginnen die Leute zu tanzen und die Stimmung in der Halle ist gut. Um es nicht falsch zu verstehen: Die Stimmung ist auch vorher ganz gut. Aber für einen guten Konzertabend wars einfach zu viel plattes Geschwätz und zu wenig gute Musik. Wenn man bedenkt, welche qualitativ hochwertigen Lieder er im Laufe seiner Karriere bereits geschrieben hat ist es richtig traurig, dass er so wenige davon live spielt.

Danach kommt er noch an den T-Shirt-Stand und gibt fleißig Autogramme. Klein ist er geworden, ja und auch alt ist er geworden. Und sich selbst untreu. Er der früher den Alkohol verteufelt hat, sitzt mit einem gemütlichen Gläschen Rotwein da und lacht. Ich hol mir ein Autogramm, dass er mir beim letzten Konzert arrogant verweigert hat („I hob jetzt koa Lust mehr“) und verlasse mit meinen Mitfahrern die Halle. Ich und meine Begleiter sind uns einig, dass er einfach zu viel Müll gelabert und die Songauswahl auch nicht gerade glücklich geraten ist. Ein Großteil der Konzertbesucher sieht dies wohl ähnlich. Und dann die T-Shirts: Vorne der Aufdruck „Hans Söllner, Marihuana Import / Export“. Auf der Rückseite steht dann, welche Sorten er gerade in seinem „Angebot“ hat. Komischerweise kaufen sehr viele Leute diese T-Shirts, was ich wirklich nicht nachvollziehen kann. Das hat nicht mal im Entferntesten was mit Humor zu tun. Ich werde jedenfalls in meinem ganzen Leben nie mehr auf ein Hans-Söllner-Konzert gehen, so viel steht fest. Ich werd mir die guten Alben von ihm kaufen, aber das muss definitiv reichen. Denn deren Qualität erreicht er live wohl nicht mehr.


Stefan Graßl



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