Musik an sich
 
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Interview mit Alexander Kaschte (Samsas Traum, Weena Morloch)

Seine Hauptband Samsas Traum ist nach Veröffentlichung zweier
hochklassiger Alben im Bereich zwischen Black Metal, Gothic und einer
riesigen Portion Eigenständigkeit bereits als feste Größe in den
Köpfen Vieler etabliert. Ganz nebenbei betreibt Workaholic Alexander
Kaschte mit Scher(b)en Für Rapunzel und Weena Morloch aber noch zwei
weitere Projekte, wobei letzteres erst kürzlich mit der
Veröffentlichung des Debüts "Kunst - x = ?" auf sich aufmerksam
machte, welches ich in meiner Kritik (siehe Reviews) mit schlappen 20
Punkten würdigen und außerdem als eine der kompliziertesten und
seltsamsten Platten seit langem brandmarken musste.

Grund genug, auf schriftlichem Wege mit Alex in Kontakt zu treten und
ein wenig tiefer in die Abgründe zu schauen, die sich hinter seinen
Werken verbergen. Ein nicht ganz einfaches, jedoch zuhöchst
interessantes und lehrreiches Unterfangen, wie der Leser nun selbst
feststellen kann.

Musik an sich: Was, wer, und seit wann ist Samsas Traum? Die
Bandhistorie bitte...

Alexander Kaschte:
Deutschlands unangenehmste Band, SAMSAS TRAUM, wurde 1996 als
Soloprojekt von mir gegründet. Nach einer mit dem ersten Demo
"Nostalgische Atavismen" erfolgreich bestrittenen Odyssee durch den
weltweiten Underground nahm die Band, bestätigt durch die hohen
Verkaufszahlen des eigenwilligen Tapes und von Johannes Welsch und
Simone Stahl am Gesang verstärkt, im Februar 1998 das die sieben
Lieder des geplanten Debüts "Die Liebe Gottes" beinhaltende "Promo
`98" auf. Nach langen und nervenaufreibenden Verhandlungen
unterschrieb die Band am 01.03.1999, auf den Tag genau drei Jahre nach
Gründung von SAMSAS TRAUM, ihren Plattenvertrag bei der TRISOL MUSIC
GROUP, um kurz darauf voller Hingabe "Die Liebe Gottes - Eine
märchenhafte Black Metal-Operette" einzuspielen. Die Prophezeiung
hatte sich erfüllt. Das von sieben SängerInnen dargebotene, in einer
fortlaufenden Handlung die letzte Schlacht der Engel erzählende und
bei Nacht und Nebel obskur produzierte Konzeptalbum sprengte bereits
kurz nach seiner Veröffentlichung den Rahmen der Erwartungen und
machte SAMSAS TRAUM zu einem umstrittenen und sowohl von den Fans als
auch von der Presse hoch gehandelten Insider-Tip.

Nachdem man von Ächtung bis Heiligsprechung alle Stadien des
Erfolgs durchlebt, an mehreren Samplern mitgewirkt, überschüssigen
Ballast in Form von zickigen Bandmitgliedern (Simone Stahl) abgeworfen
und zwei Video-Clips ("Elite" und "...dann leben wir noch heute",
"Aber die Liebe hört niemals auf" wird gerade geschnitten) gedreht
hatte, enterten die "Enfants tèrrible der Black Metal- und
Gothic-Szene Anfang des Jahres 2000 das NACHTSCHICHT-Studio in
Frankfurt und nahmen unter der Aufsicht von Tobias Hahn ihren zweiten,
noch aufwendigeren Geniestreich "Oh Luna Mein" auf: Mit
der Unterstützung von erlesenen Gastmusikern und dem Prager
Karlsbrückenchor bannte die Band ein überschwängliches Feuerwerk der
Gefühle auf Band, das jenseits gängiger Schubladen die Grenzen
zwischen Härte, Hass und Heiterkeit, Moderne und Klassik, Realität und
Wahnsinn leichtfüßig zerrinnen lässt. Die bisherigen Alben zeigen
nicht nur die emotionale Seite der Band deutlich auf, sondern
verdeutlicht auch eindringlichst ihr Selbstverständnis als eine
dem Rock`n`Roll und der Lautstärke dienende, Eskapaden gegenüber nicht
abgeneigte Combo, die konstant am Thron des Banalen sägt und darauf
aus ist, die diesen Planeten verseuchende Stumpfsinnigkeit aus den
Gehirnwindungen ihrer Hörer zu blasen... Vernunft ist nichts, Gefühl
ist alles.

Man wird nicht lang darauf warten müssen, bis die Geschichte von
SAMSAS TRAUM weiterhin unaufhaltsam ihren Lauf nimmt. Ich bin gerade
im Studio und nehme das dritte Album "Utopia" auf, welches die bisher
bespuckten Grenzen und Szenedoktrinen noch weiter demontiert. Das
Album wird unmissverständlich klarmachen, dass man sich in der
Kommando-Zentrale allem verweigert und wer SAMSAS TRAUM in
Wirklichkeit sind... sie werden die Verschwörung aufdecken... denn wie
wir alle wissen: Das letzte Mysterium ist, so hat es jedenfalls
oberflächlich den Anschein, immer unlösbar...


MAS: Die Reaktionen auf Deine bisherigen Werke differierten stark
untereinander und Du hast teilweise entsprechend reagiert. Was hältst
Du von Kritiken im Allgemeinen und Auszeichnungen wie "Arschbombe des
Monats" im Speziellen ?

Alex:
Hmm... es ist ein sonniger Sonntag Nachmittag, eigentlich viel
zu schön für eine solch aufbrausend, hässliche Frage... aber gut. Ich
kann mich daran erinnern, dass mich die ganze Schelte am Anfang sehr
mitgenommen hat, und es hat eine lange Weile gedauert, bis ich lernte,
damit umzugehen, und es war ein fester Bestandteil der internen
Bandgespräche. Egal wurde es mir im Endeffekt jedoch nur dadurch, dass
es (die Diffamierung durch Schreiberlinge) nie aufgehört hat. Ich kann
machen, was ich will. Egal was ich sage, tue, denke oder komponiere...
man wird sich immer über mich aufregen, und das ist gut so.
Mittlerweile habe sogar ich etwas begriffen, was den Füllfederhaltern
noch nicht eingeleuchtet ist... sie haben in der Regel gar keine
Ahnung davon, was in Wirklichkeit mit Samsas Traum passiert. Sie haben
nicht begriffen, dass sie im Grunde genommen für meine Musik und auch
die Musik anderer (ihre Gefühle miteingeschlossen) scheißegal
sind... wenn man mal objektiv ist, wird einem auffallen, dass 75%
aller Schreiberlingen bei den großen und kleinen Mags überhaupt
keine Ahnung von Musik haben und global Kunstwerke verunglimpfen.
Nachdem wir mit Atrocity und Pain auf Tour waren, stand in allen
Zeitungen außer dem Metal Hammer, was für eine Scheißband wir doch
seien, und dass alle Konzertbesucher immer froh waren, wenn unser Gig
endlich vorbei war... und da frage ich mich doch tatsächlich, ob diese
Meinungsmacher Augen im Kopf haben. Sie haben keine Ahnung davon, wie
viele Leute in den ersten Reihen standen, die mich angelächelt und mir
in die Augen geschaut haben. Sie wissen nicht, wie viele Menschen
mich angesprochen und in meinem Tun bestätigt haben... meine Musik
lebt nicht von den Worten und dem Penisneid von Journalisten, sondern
von den Ohren der Menschen, in denen sie widerhallt... aber was rede
ich da: Ich muss nur immer daran denken, wie diese Typen in einigen
Jahren fett und bierbäuchig von der Sozialhilfe in ihren Altbaubuden
leben, während ich mir durch meine Musik mein eigenes Studio aufgebaut
habe, andere Bands produziere, massig Platten verkaufe, glücklich,
reich und immer noch so cholerisch wie heute bin.


MAS: Vernunft ist nichts, Gefühl ist alles“ - Bedingt das Fühlen das
Verstehen Deiner Musik?

Alex:
Um meine Musik verstehen zu können braucht man sehr viel
Aufmerksamkeit, Fingerspitzengefühl, Toleranz, ein wenig
Empfindsamkeit, Ruhe, schwarzen Humor... und Interesse am Menschen an
sich. Hauptsächlich wird mein Verstehen meiner Musik durch mein
Privatleben bestimmt, was das Verständnis meiner Musik
für Außenstehende extrem erschwert. Mein Leben durchzieht jede
kleinste Pore der Songs... im Grunde genommen erschaffe ich mit jeder
weiteren Platte einen neuen "State Of The Art"-Alexander... irgendwie
immer einen Querschnitt durch das letzte Jahr... und es ist ziemlich
erschreckend, daran immer erkennen zu können, wie sehr man sich
verändert hat. Gerade im Moment halte ich es kaum aus, da ich ja
wieder im Studio bin... es ist schrecklich. Eine Platte bedeutet für
mich immer den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Und um intimer zu
werden: ich habe nach dem Aufnehmen einer CD immer sehr große
Zukunftsängste; manchmal glaube ich sogar daran, dass ich sterben
werde, weil ich die Platte aufgenommen habe und jetzt mein Leben nicht
mehr weiterkomponiert ist. Dann muss ich schnell neue Songs machen,
denn ich glaube, dass ich, wenn ich weiter Musik mache, mein Leben
weiter mit Farbe und Zukunft fülle. Ist ein Album erst mal
aufgenommen, macht sich eine starke Schwärze und eine tiefe Leere in
mir breit, und ich fühle mich danach oft wertlos. Es ist schwierig
eine CD aufzunehmen, man verliert dadurch ein Kind. Und um noch mal
auf die Angst vor dem Tode zurückzukommen; diesmal habe ich besonders
große Angst zu sterben, weil textlich auf der CD alles darauf
hindeutet, dass ich jetzt getrost sterben kann. Ich rechne auf
"Utopia" mit allen wichtigen Menschen und Begebenheiten meines
bisherigen Lebens ab, sie ist quasi wie ein Testament... und da läuft
mir manchmal, wenn ich diese Angst habe, ganz schön die Gänsehaut den
Rücken hinunter. Das ist sehr gruselig. Ich hoffe, dass ich erneut
nicht sterben werde. Mal sehen.


MAS: Glaubst Du in diesem Zusammenhang, dass Du unter Gothics und
Metallern geeignetes Publikum für Deine Kunst findest? Wie schätzt Du
mich ein ? Ich selbst vertrete schon längere Zeit die Ansicht, dass
ich selbst ein viel zu komplexes Individuum bin, um mich durch
Kategorien wie "Gothic" und "Metal" beleidigen zu lassen. Außerdem
sehe ich mit Entsetzen dem Verfall beider "Szenen" zu, die ich gern
als Auffangbecken für von der Gesellschaft verstoßene Freigeister
verstanden wissen möchte. Heute bestehen sie zum Großteil aus Clowns,
die Kindergarten spielen. Ich schätze, dass Du diese Auffassung
weitgehend teilst.

Alex:
Zunächst einmal folgendes: die Begriffe Metal und Gothic sind Worte,
mit denen meine Plattenfirma um sich wirft, ich habe mit diesen
Begrifflichkeiten überhaupt nichts am Hut. Ich bin weder das eine,
noch das andere. Ich mache allerdings Musik, die sich am besten in
diesen beiden Szenen verkauft. Es gibt in beiden Szenen Dinge, die
ich an ihnen liebe und verabscheue, und ich ergreife für niemanden,
was Schubladen betrifft, Partei... Ich mache Musik für Menschen, und
ich verlange von ihnen, dass sie untereinander und mir gegenüber
tolerant sind. Mir ist es egal, wer mich anlächelt oder mir schreibt,
wie er aussieht, was er ansonsten hört, an was er glaubt usw. Ich will
alle erreichen, ich will alle ansprechen, und ich will global
etwas erreichen... also?!? Ich glaube an das, was hinter den Augen
der Menschen liegt; die Fassade, ob sie gepudert sind oder Kutten
tragen, ist mir scheißegal. Ich glaube nicht, dass eine einzige Szene
DIE perfekte Szene für Samsas Traum ist. Ich habe hohe Ansprüche, also
muss ich auch etwas länger nach meinen Zuhörern suchen und mir meine
eigene Szene, meine eigene "Schule", die Samsarianer, aufbauen... und
ich glaube, dass ich gute Chancen habe. Meine jüngsten Fans sind zarte
11 Jahre alt, die Obergrenze liegt bisher bei 41 Jahren. Auf der Tour
kamen ganze Kleinfamilien zu mir und haben sich ihre CD`s signieren
lassen. Ich habe mir vor die Stirn geschlagen und gedacht: "Ich
glaub`s nicht!"


MAS: Du schwankst zwischen "Vernichte Dich" und "Lebe Deinen Traum",
zwischen Selbstverliebt- und Selbstverlorenheit. Liegt in diesem
Dualismus die Essenz von Samsas Traum?

Alex:
Ja, das tut sie in gewisser Weise schon... hauptsächlich geht es mir
jedoch um die Transzendenz der Dualität in der Musik, und ich versuche
gerade, ein alles auflösendes Werk zu erschaffen... zur Beantwortung
der Frage drucke ich hier einfach mal ein Essay ab, das ich schon vor
längerer Zeit geschrieben habe:

Lasse mich dir von diesem Problem erzählen. Stelle dir vor, du wärst
ein Künstler, genauer gesagt ein Musiker. Stelle dir vor, du hättest
die Fähigkeit zu sehlen, die Fähigkeit, gleichzeitig und auf einmal
all das zu sehen und in einem Atemzug zu fühlen, was du dir gerade
ansiehst oder dir gerade anfühlst. Du könntest z.B. sehlen, was hinter
den Augen eines Menschen liegt. Du könntest ihre Seelen sehlen, ihren
Schmerz, ihre Vergangenheit, ihre Geheimnisse und manchmal sogar ihre
Zukunft.  Verstanden? Dann stelle dir jetzt vor, dass du schon seit
langer Zeit in diesem Zustand lebst, und über die Jahre hinweg haben
deine Augen ihre Blicke gänzlich nach Innen gerichtet: Am Ende glaubst
du sogar, dass du hinter die Augen des Todes, hinter die Augen der
Schöpfung und hinter die Augen dessen gesehlt hast, was manche Leute
"Gott" nennen; und genau das hat etwas in dir heraufbeschworen, was du
nicht mit Worten beschreiben kannst, aber du willst es mit Musik
beschreiben. Du willst einen Sehlations-Opus komponieren. Das Problem
ist aber, dass du nicht weißt, wie du es anstellen sollst: Du weißt
nicht, wie du dir die heraufbeschworenen Kräfte zunutze machen
kannst. Dabei willst du doch einfach nur das universelle Kunstwerk
komponieren, eine Symphonie, die alles in einem positiven Sinne
zerstört, Musik, die den Zuhörer atomisiert, die ihn einfach nur in
seine Bestandteile zersetzt, die ihn in einen unpersönlichen Teil des
gigantischen Nichts verwandelt. Musik, die in ihm das Bedürfnis danach
entfacht, simpel und einfach mit allem verbunden zu sein, das nicht
ist. Du möchtest Musik komponieren, die so intensiv ist, dass sie
tötet. Du willst die Musik komponieren. Wenn Du erst einmal gesehlt
hast, hält die Sehlation an. Du bist von jetzt an dazu verdammt, zu
sehlen, und das foltert Dich. Ich vermute, dass diese ganze Geschichte
ein trickreicher kleiner Schabernack ist, den sich "Gott" (verstanden
als ein asexuelles Prinzip, welches unsere Leben in bestimmte Bahnen
lenkt; ich bevorzuge es also, für "Gott" das Pronomen "es" zu
verwenden) ganz für mich allein ausgedacht hat: Es will, dass ich das
Ende und das Ziel des ganzen selbst und aus eigener Kraft herausfinde.
Es wird mir keine Tips geben. Trotzdem hasst es mich nicht. Es ist
auf meiner Seite. Und genau das ist der Grund dafür, weshalb es mich
sehlen lässt. Es hat ein Geschenk für mich; eines schönen Tages in der
Zukunft werde ich es bestimmt von ihm als Belohnung für meinen Kampf
bekommen. Es will, dass ich es schaffe, deshalb lässt es mich leiden.
Ich trage diese Musik bereits in mir. Ich weiß zwar nicht, wie sie
sich anhört, aber ich weiß definitiv, wie sie sich sehlt. Ich habe sie
bereits gesehlt, aber ich weiß nicht, wie ich sie in die materielle
Welt herüber transformieren soll. Manchmal habe ich den Eindruck (und
wenn ich "ich" schreibe, meine ich meine Seele und nicht deren
äußeres, physisches Erscheinungsbild), dass ich nur einen
klitzekleinen Zentimeter von ihr entfernt bin. Aber ich bin zu jung.
Ich habe zu warten. Aber jede Sekunde, die verstreicht, erscheint mir
so weitläufig wie eine Galaxie zu sein, so lange wie ein Lichtjahr...
dies ist mein Problem: ich weiß von der Zukunft, aber niemand schenkt
mir Glauben. Wieso sollte ich dieses Problem in einem größeren, oder
sogar in einem globalen Kontext plazieren? Wenn man die Sehlation
erst einmal erhalten hat (denke an das Wort Seele, um intensiver in
diesen Begriff einzutauchen), verliert alles andere an Bedeutung. Was
ist schon diese Welt im Vergleich zu dem Universum, dass sich Tag für
Tag immer weiter in mir ausbreitet? Ich habe die Fähigkeit dazu
verloren, in dieser Welt zu leben; ich will damit nicht sagen, dass
ich suizidal veranlagt bin, Gott bewahre, nein: ich verblasse. Ich
werde transparent. Ich werde immer weniger. Als Folge dessen kümmere
ich mich nicht mehr um die Art von Leben, wie sie von der Masse im
allgemeinen verstanden wird; die Menschheit kann meinetwegen zur Hölle
fahren. Du musst mir nicht sagen, dass diese Einstellung über alle
Maße hinaus egoistisch ist; das weiß ich selbst und ich bin in einer
gewissen Art und Weise stolz darauf. "Aber was ist dann überhaupt der
Nutzen von solch einem Sehlations-Opus?" könnte jetzt deine Frage
sein. Die Antwort ist sehr einfach: Ich will auf einem bestimmten Wege
sterben. Dies ist der Antrieb eines jeden Künstlers und die
Existenzberechtigung für seine Kunst. Ich glaube, dass es da noch
einige wenige Künstler gibt, die das selbe Problem haben wie ich:
Genauso wie ich versuchen sie, die Grenzen des "Menschseins",
des Verstandes und des Körpers zu durchbrechen, um ihrem "Gott" Tribut
zu zollen... aber wir sind wenige, und wir wissen voneinander so lange
nicht, bis der Tag gekommen ist, an dem wir uns in dem Schoße unserer
Mutter wiedertreffen. Ich muss damit fortfahren, an mir selbst und an
meiner Musik zu arbeiten; ich muss mehr werden und ich muss mehr
sehlen. Und falls jemals dieser eine große Tag nahen sollte... weiß
ich, dass ich in der Lage sein werde, zu fliegen. Ich habe große Angst
davor, nicht dazu fähig sein zu können, diese Musik zu kreieren. Falls
dies der Fall sein sollte, wird mein ganzes Leben nutzlos gewesen
sein; es wäre dann nichts weiter als ein göttlicher Irrtum gewesen.
Dies ist die größte Angst, die ich jemals an Leib und Seele erfahren
habe.


MAS: Ist es nötig und sinnvoll, ein weiteres Projekt zu starten, wo
Samsas Traum schon so viele verschiedene Stile abdeckt?

Alex:
Also, wie Du sicherlich weißt, ist Weena Morloch eine
HorrorDeathNoise-Band. Hatten wir diesen Stil schon mal bei Samsas
Traum? (Nun, ich kenne die neue Platte noch nicht und werde es nicht
wagen, Prognosen über Deine zukünftigen Ausgeburten abzugeben...
Anm.d.Verf.) Mal ganz davon abgesehen... ich glaube nicht, dass Samsas
Traum viele unterschiedliche Stile abdeckt, sondern nur einen
einzigen: den Traum-Stil. Also: Weena Morloch wurde gegründet, weil
es sehr, sehr schwer ist, die ganze Zeit nur Musik für Samsas Traum zu
machen. Bei Samsas Traum muss alles stimmen, jede einzelne Note ist
immer ein Teil des Gesamtkonzeptes, alles hat eine Bedeutung, alles
muss genauestens durchgestylt und durchdacht sein... ein Balanceakt,
der mit jeder weiteren CD zu einem erneuten Scheitern verurteilt
ist. Deshalb benötigte ich ein Ventil, das mir all die Sachen erlaubt,
die ich bei Samsas Traum nicht bringen kann und auch nicht bringen
will. Bei meiner Weena kann ich lärmen, poltern, Krach machen und
Spaß haben, was das Zeug hält; und die Entspannung, die ich durch das
Krachmachen einsaugen kann, kommt Samsas Traum sehr zugute. Außer der
diebischen Freude und Befriedigung daran, abartige Sachen zu
erschaffen und dem Drang eines Tüftlers und analoge Synthies
verehrenden Soundmannes, neue, andersartige Klänge zu erschaffen gibt
es NICHTS, das hinter Weena Morloch steht. Weena Morloch ist nur dazu
da, mir Spaß zu machen.


MAS: Die Texte von "Kunst -x=?" bestehen lediglich aus Samples, die,
soweit ich das heraushören konnte, zumeist Horrorfilmen entnommen
sind. Woher stammt die Idee dazu und was soll dadurch ausgedrückt
werden?

Alex:
Dadurch soll überhaupt nichts ausgedrückt werden. Ich hatte einfach
die Idee, mal wieder Krach zu machen (ich mache schon seit 7 Jahren
Industrial), habe willkürlich irgendwelches Zeug aufgenommen, es bis
zum Anschlag verzerrt und eine Riesenfreude daran gehabt. Du redest
hier von Texten, doch das sind sie gar nicht. Es handelt sich hier um
Samples, um nichts weiter. Um die Frage zu beantworten, lasse ich
dich einmal tief in den Entstehungsprozess einer Weena Morloch CD (im
Bezug auf die Samples) hineinschauen.

Alles ist nichts weiter als musikalischer Dadaismus. Hihihi... ich
liebe schlechte Filme. Ich tingele so durch die bundesdeutschen
Videotheken und kaufe schlechte Filme auf. Es ist ein Hobby. Schlechte
Filme haben einen extrem hohen Unterhaltungswert, und sie sind
obendrein noch sehr billig dazu. Ich sehe mir diese Filme ein paar mal
an, und dann mach ich mit ihnen den "Sampledurchlauf": Ich presse mein
Kopf in ein Kissen, so dass nur noch die Ohren herausstehen und schaue
den Film noch einmal, so dass ich ihn nicht sehen, sondern nur hören
kann. Ich notiere mir die Stellen, die mir als Samples geeignet
erscheinen und nehme sie mit einem Kassettenrekorder, den ich vor
den Lautsprecher stelle direkt von meinem Fernseher auf. All diese
Kassetten wandern in eine große Kiste. Wenn ich eine Platte aufnehme,
ziehe ich zu den Songs, an denen ich gerade arbeite, willkürlich drei
Kassetten aus dieser Kiste. Die Samples, die sich auf den Kassetten
befinden, werden für den jeweiligen Song verwendet, danach werden die
Tapes weggeworfen. So geht das, und nur so ist es wirklich Industrial.

Auf "Kunst-X=?" sind noch andere lustige Dinge zu hören. Ich habe
einmal auf einer Müllkippe gejobbt und dort den Abfall an einem
Fließband für den grünen Punkt sortiert. Tagtäglich sind mindestens
zwanzig weggeworfene Tapes an mir vorbeigefahren, die ich alle mit
nach Hause genommen und angehört habe, und du glaubst gar nicht, was
Menschen für komische Dinge aufnehmen. Auf der ersten Weena CD ist
nicht nur die Versammlung einer extrem christlichen Vereinigung zu
hören, es gibt auch komisches Fiepen, Diktiergerätbänder eines
Frauenarztes und einen lustigen Kerl zu hören, der sich einfach
mal dabei aufgenommen hat, wie er bis 1000 zählt... auf gut deutsch:
alles ist verwertbar. Je krasser und bescheuerter, desto Weena.


MAS: Was hat Weena Morloch mit Deinen Gefühlen zu tun?

Alex:
Garnichts, aber andererseits doch sehr viel. Der Prozess, durch den
eine Weena Morloch CD entsteht, die Herstellung von Industrial (und
man kann in diesem Kontext wirklich von "Herstellung" sprechen) war
bisher bei mir frei von jedweden Gefühlen. Nachdem die Arbeiten an
einer Platte beendet sind, merkt man erst einmal, was man wieder
wundervolles erschaffen hat; und dann kommen die Emotionen ins Spiel.
Ich liebe diese Art von Musik, und ich liebe Weena Morloch; ich kann
stundenlang auf den Krach hören, den ich durch sie geschenkt bekomme,
und mir fallen immer wieder neue Kleinigkeiten und neue Fassetten,
neue Strukturen auf. Viele Leute sind der Meinung, dass Industrial
keine Kunst/Musik, und damit tun sie dieser Gebärdensprache mehr als
nur Unrecht. Industrial ist wie ein riesiges Gemälde, das mehrmals
übermal und neuerschaffen wurde.


MAS: Die letzten drei Stücke der Platte fallen mir besonders auf. "In
meinem Turm versteckt" und "Zappelkäfer zappeln heimlich" verweisen
auf Deine anderen beiden Bands (?), während "Kunterbunt von Aids
geträumt" auf mich wie die Zusammenfassung des Inhaltes der gesamten
Platte wirkt. Könntest Du näher auf diese Titel eingehen?

Alex:
Und wieder muss ich dich enttäuschen; Weena hat nichts mit Samsas
Traum zu tun, und auf Weena CD`s gibt es weder Konzept, Bezüge noch
Zusammenhänge. Alles ist absolut willkürlich. So auch die Titel. Ich
gebe den Stücken irgendwelche Namen; hauptsächlich verhält es sich
damit so, dass mir zum Beispiel im Zug ein fiktiver Name für ein Stück
einfällt, ich notiere ihn mir und klatsche ihn dann irgendwann auf
irgendeinen Song. "In meinem Turm versteckt" klingt wie ein Kerl, der
sich die ganze Zeit in seinem Turm versteckt (Wobei die Frauenstimme
zu Beginn gleich die Rapunzel Assoziation bei mir weckte... Anm.d.Verf.),
"Zappelkäfer..." ist die erste Zeile eines Gedichtes, das ich für
meine Freundin geschrieben habe (Allerdings taucht das Wort
"Zappelkäferzier" auch bei Samsas Traum auf... Anm.d.Verf.)...und 
"Kunterbunt..." ist an einen Traum angelehnt, in dem ich träumte, dass
mich in meinem Haus maskierte Typen verfolgen, die mich mit Aids
Spritzen infizieren wollen. Im Verlauf des Traumes verwandelte sich
meine Bude in einen riesigen Diskopalast. Schlicht und ergreifend: Die
Titel dienen als Assoziationsblaster. Los geht`s, mach dir ein paar
Gedanken, und du weißt auf keinen Fall, wohin die Reise geht...


MAS: Rückblick und Ausblick. Was erwartet uns als nächstes?

Alex:
Nichts wird mehr sein, wie es einmal war.


MAS: Letzte Worte... Ich hoffe, dass ich die Fragen zu Deiner
Zufriedenheit beantwortet habe. Normalerweise nehme ich mir etwas mehr
Ruhe, um besser über meine Antworten nachzudenken, aber diesmal hatte
ich sie leider nicht. Ich muss mich verdammt ranhalten, die Zeit
rennt, und "Utopia" muss fertig werden. Wir haben heute den ersten
Song gemixt. Alle werden wieder sagen, dass wir uns ungeheuerlich
weiterentwickelt haben. In meinem Kopf jedoch bin ich schon
Galaxien weiter... ich bin schon lange fort.

Kontakt:
kaeferkolonne@web.de

Thorbjörn Spieß