Velvet Viper
The Pale Man Is Holding A Broken Heart
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Nach dem phasenweise bärenstarken Comebackalbum Respice Finem (siehe Rezension auf diesen Seiten) war die spannende Frage, ob Velvet Viper diese Form konservieren oder gar noch ausbauen und weitere späte Meisterwerke vorlegen könnten. Zunächst fanden sie, nachdem besagtes Album auf einem eher kleinen schwedischen Label erschienen war, mit Massacre Records einen schlagkräftigeren Geschäftspartner, und The Pale Man Is Holding A Broken Heart stellt das erste Ergebnis dieser neuen Kooperation dar. Weitere strukturelle Veränderungen betrafen das Bandgefüge und die Einspielungsstruktur: Sängerin Jutta Weinhold und ihre Mannen blieben in Norddeutschland, wechselten aber von Hamburg nach Hannover, von Kai Hansen zu Tommy Newton. Einer ging mit: Michael Ehré trommelte auch diese Scheibe ein, zur Liveband gehört er aber nach wie vor nicht – dort sitzt weiterhin Micha Fromm am Schlagzeug, der im Booklet der CD für „Percussion and gongs“ angegeben wird. Am Baß dagegen finden wir Johannes Möllers, der zur Liveband gehört, jetzt auch im Studio aktiv – Uwe Seemann, der den Baß auf Respice Finem eingespielt hatte und auch maßgeblich am Songwriting beteiligt gewesen war, ist komplett verschwunden, so dass die zehn regulären neuen Songs diesmal ausschließlich von Jutta und ihrem Gitarristen Holger Marx geschrieben wurden – hinzu kommt „Things Behind“ als Intro, ein mystisches synthielastiges Stück aus der Feder einer „Metzger Melanie“ genannten Person, bei der Eingeweihte wissen dürften, ob sie mit Melanie Newton identisch ist, die neben Marx sowie Katie und Michael Bormann die Chorpassagen eingesungen hat. Auch hier wurde also nahezu das komplette Personal ausgewechselt – und über eine Planstelle muß noch gesondert gesprochen werden: Auf Respice Finem hatte Corvin Bahn gasthalber Keyboards gespielt und mit verschiedensten Mitteln, sei es eine klassische Hammondorgel oder so mancher Orchesterturm, für maßgebliche Reize des Materials gesorgt. The Pale Man Is Holding A Broken Heart nun bleibt mit Ausnahme des Intros und minimaler sonstiger Effekte komplett keyboardfreie Zone und wirkt dadurch viel reduzierter und basischer, was man mögen kann oder auch nicht. Der Rezensent neigt eher zu letztgenannter Einschätzung, und zwar dahingehend, dass es durchaus einige Passagen oder auch ganze Songs gibt, denen einige zusätzliche Ideen aus der Tastensparte noch den letzten Pfiff verliehen hätten.
Dabei geht es durchaus gut los, wenn auch strukturell komplett anders als auf Respice Finem. Hatte die Band dort einen flotten und drückenden Power-Metal-Brocken an den Anfang gestellt, kommt hier nach dem erwähnten Intro der Song „Götterdämmerung“, der sich sehr viel Zeit für die Entwicklung nimmt, eine gewisse Zeit gar im halbakustischen Bereich verweilt und erst spät zu mehr Dynamik findet, diesen scheinbaren Mangel, der im Velvet-Viper-Kontext des schweren Beats aber keiner ist, allerdings mit eindringlichen Refrainpassagen kompensiert. Hier müssen zudem wieder Leute ran, die den kompletten „Ring des Nibelungen“ auswendig kennen, um festzustellen, ob die Songwriter einzelne Motive direkt vom Wagner-„Original“ übernommen haben – analog kann die Spurensuche dann auf „Samson And Delilah“ ausgedehnt werden, ein Sujet, das von Händel und einer Handvoll anderen Komponisten verarbeitet worden ist, so dass auch hier Direktbezüge nicht auszuschließen wären, wobei der nahöstliche Gitarrenton hier natürlich keinen Zufall darstellt und Velvet Viper möglicherweise auch eine Inspiration für Accept gewesen sind, wo Wolf Hoffmann auf dem justament erschienenen Too Mean To Die-Album ja auch in dieser Richtung gearbeitet hat, allerdings mit einer direkten Adaption von Camille Saint-Saëns. Zwischen diesen beiden Songs stehen „All By Yourself“ (keine leicht veränderte Coverversion von Eric Carmens „All By Myself“, sondern eigenkomponierter flotterer, aber relativ locker bleibender Power Metal) und „One-Eyed Ruler“, mit dem Velvet Viper die Doom-Experimente des Albumvorgängers wieder aufnehmen und erneut ein gelungenes Beispiel abliefern: Marx erdenkt ein massives Hauptriff, und das ist im Doom ja schon mal die halbe Miete, wobei der flottere Mittelteil den Hörer allerdings auch nach etlichen Durchläufen etwas ratlos zurückläßt. „Confuse And Satisfy“ schlägt in eine ähnliche Kerbe wie „All By Yourself“, fällt aber nicht weiter auf, weder positiv noch negativ. „Something Is Rotten“ hingegen liefert ein Experiment: Marx übernimmt in den Strophen einen Teil der Leadvocals und tut das mit einer halbhohen, gothickompatiblen Stimme, die erstaunlicherweise von der Färbung her in einem Bereich liegt, den abzudecken man auch der „Chefin“ zutrauen würde, so dass der Kontrast zwar hörbar ist, aber gar nicht so eine starke Kontrastwirkung entfaltet, wie vielleicht beabsichtigt war. Trotzdem ist der Song mit seinem angedüsterten Melodic Metal und dem geschickten Einsatz von Halbakustikpassagen durchaus hörenswert. „Keep Your Head Up“ kombiniert abermals geschickt Akustik- und Strompassagen, fährt einen starken Refrain auf und überrascht mit seinem Dreiertakt, den man erstmal so gekonnt in den bandtypischen schweren Beat integrieren muß, dass trotz der Schwere eine grundsätzliche tanzbare Lockerheit entsteht – und das Gitarrenthema hätte auch auf eines der alten Zed-Yago-Alben gepaßt.
Wie Respice Finem geht aber auch The Pale Man Is Holding A Broken Heart nach einer gewissen Spieldauer etwas die Puste aus. Das passiert hier später als auf dem Vorgänger, aber dafür gibt es auch den dortigen „Schlußspurt“, der das Niveau wieder hebt, nicht. „Hide Your Fire“ an Position 9 fällt nur durch das starke Gitarrensolo und die anschließenden „Hey-hey“-Rufe auf, die offenbar eine aktive Rückkopplung zum „Black Bone Song“, einem der Signaturlieder Juttas, herstellen sollen. (Das andere Signaturlied, „The Pale Man“, hinterläßt trotz des Zitats im Albumtitel keinerlei auditive Spuren.) „The Wheel Has Come Full Circle“ läßt anhand des Intros einen trägen, aber interessanten Doomer erhoffen, aber nach geraumer Zeit entwickelt sich wieder „nur“ netter flotter Power Metal, wo der schleppende Refrain wiederum etwas eingeklebt wirkt, und auch die theatralischen Passagen mit einer zirkusartig singenden Jutta machen einen etwas bemühten Eindruck. Und der Closer „One Day“ bleibt eher unauffällig, trotz eines starken grundtönigen Riffabschnittes.
Noch etwas anderes fällt auf: The Pale Man Is Holding A Broken Heart stellt die erste Zusammenarbeit der Band mit dem Grafiker Manfred Smietana dar, der dann auch die Cover der Re-Releases von From Over Yonder und Pilgrimage angefertigt hat. Hier jedenfalls liefert er ein Pseudo-Horror-Cover, das, Bezüge zum Fliegenden Holländer hin oder her, eher zu einer Death-Metal-Kapelle als zu einem gediegenen Traditionsmetal-Act wie Velvet Viper passen würde. 2008 ist Michael von zur Mühlen an der Idee gescheitert, an der Oper Leipzig den „Holländer“ als Horrorkomödie zu inszenieren, und an dieses Scheitern fühlt man sich beim Betrachten des besagten Covers unangenehm erinnert. Da hatte das schlichte Motiv auf Respice Finem mehr Eleganz, wie überhaupt jenes Album einen polierteren, aber auch druckvolleren Eindruck hinterließ, was das Soundgewand anging. Die etwas zurückhaltendere Gangart von The Pale Man Is Holding A Broken Heart (selbst Ehré trommelt gefühlt vorsichtiger) und das unauffälligere Klanggewand gehen jedenfalls Hand in Hand und werden manchem Hörer, der Respice Finem diesbezüglich als zu intensiv empfunden hatte, möglicherweise besser gefallen – und für den Digipack wurde dementsprechend auch kein glänzendes, sondern mattes Papier gewählt. Der Rezensent gibt zu, dass er Respice Finem stärker ins Herz geschlossen hat, aber auch The Pale Man Is Holding A Broken Heart ist in seinen Augen bzw. Ohren ein interessantes Album, das die Bandgeschichte würdig fortsetzt.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Things Behind | 1:31 |
2 | Götterdämmerung | 7:05 |
3 | All By Yourself | 3:37 |
4 | One-Eyed Ruler | 5:00 |
5 | Samson And Delilah | 5:14 |
6 | Confuse And Satisfy | 5:02 |
7 | Something Is Rotten | 5:09 |
8 | Keep Your Head Up | 4:22 |
9 | Hide Your Fire | 4:56 |
10 | The Wheel Has Come Full Circle | 5:21 |
11 | One Day | 4:38 |
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Besetzung |
Jutta Weinhold (Voc)
Holger Marx (Git)
Johannes Möllers (B)
Michael Ehré (Dr)
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