Schöpfen aus dem Vollen versus bewußte Reduktion: Red Scalp mit Fuzz Aldrin in Jena
Eigentlich hätten Dätcha Mandala diesen Gig als Headliner spielen sollen, mit Red Scalp als Support. Aber die Franzosen sagen ihre komplette Tour ab, und so finden sich die Polen als Headliner wieder, denen beim letzten Gig der Tour an diesem kalten Aprilabend in Jena Fuzz Aldrin als Support zur Seite stehen. Die hat der Rezensent anno 2011 auf dem No Silent Backlands Festival in Weißenfels sowie 2013 in der Moritzbastei in Leipzig als Support für Five Horse Johnson gesehen. In der seither vergangenen Zeit haben sie ein Album namens Lunochod an den Start gebracht und sich wieder ein Stück weiterentwickelt: Der Anteil an typisch viermal gespielten Passagen ist zugunsten einer weiteren Variabilisierung zurückgefahren worden, wobei letztere keineswegs zur Beliebigkeit oder Austauschbarkeit geführt hat: Das Trio baut seine Songs immer noch logisch auf und bewegt sich mit großer Sicherheit durch die Weiten des Stoner Rocks, der dicht genug inszeniert ist, dass man weder weitere Instrumente noch den Gesang entscheidend vermißt, zumindest auf die hier gebotene Distanz von vielleicht einer reichlichen Dreiviertelstunde Musik nicht – ob die bewußt reduzierten Mittel ausreichen würden, um einen zweistündigen Headlinergig spannend zu gestalten, müssen Menschen beurteilen, die im Gegensatz zum Rezensenten die Leipziger schon mal bei einem solchen erlebt haben. „Lost Riff“, „Blossom“ und „Moonwalker“ sind auch schon 2013 erklungen, erstgenanntes kommt diesmal gleich als Opener und in ABA-Form, wobei es durchaus sein kann, dass Teile davon als Jamsession konzipiert waren, wie das Trio das bei den beiden erwähnten Gigs im Opener gehandhabt hatte. „Moonwalker“ arbeitet nach hinten heraus mit intensiver Nutzung von Monotonie als Stilmittel, „Stargazer“ stellt kein Rainbow-Cover dar (und auch kein leicht umbenanntes von Nightwish, hihi), fällt aber durch viele Halbakustikelemente trotzdem ein wenig aus dem Rahmen, und der Lunochod-Titeltrack ist der rhythmisch am weitesten von gängigen Viererbeats abweichende des Sets. Hier wie auch beispielsweise in „Trip Guide“ tritt der Basser über längere Zeit als Solist in den Vordergrund, und aufgrund des relativ klaren, wenngleich einen Tick zu lauten Klangbildes kann man das auch prima wahrnehmen, wenn die Band das will. Bisweilen will sie das freilich nicht, sondern reißt die Verzerrer besonders baßseitig bis zum Anschlag auf und erzeugt einen schwer zu durchdringenden Fuzz, was ja auch zum Bandnamen paßt, aber durchaus nicht jedem Anwesenden zusagt, ebensowenig die Lärmwand, in die sich der Setcloser „Slingshot“ final steigert, wobei der Bassist beim feisten Abrocken seine Brille verliert. Der Applaus läßt in puncto Enthusiasmus noch Steigerungsmöglichkeiten offen, aber einige Enthusiasten fordern trotzdem eine Zugabe ein, die allerdings nicht gewährt wird und auch in Konservenform nicht nachgeholt werden kann: Das Trio hat seltsamerweise keinerlei Merchandiseartikel dabei ... Setlist Fuzz Aldrin: Lost Riff Waves Trip Guide Blossom Moonwalker Stargazer Lunochod Slingshot Zwei Tage zuvor hat als Begleitband von Sir Waldo Weathers an gleicher Stelle (siehe Review auf diesen Seiten) eine Combo namens More Is More gespielt, und deren Name gäbe ein prima Motto für Red Scalp ab, denn im Gegensatz zu den bewußt reduziert arbeitenden Fuzz Aldrin schöpfen sie ebenso bewußt aus dem Vollen. dass der Drummer hinter einem ungewöhnlich schmal bestückten Drumkit sitzt, ist für sein intensives Spiel nicht von Bedeutung und relativiert sich dadurch, dass links noch ein zusätzlicher Perkussionist arbeitet, der zwei große Trommeln und einen Schellenkranz bedient, außerdem Saxophon spielt und die Backings singt. Dazu kommen ein gelegentlich ebenfalls singender Bassist und zwei Gitarristen, von denen einer auch das Gros der Leadvocals bestreitet und zudem noch ein kleines Keyboard neben sich stehen hat, aus dem er zumeist eher spacig-tranciges Geblubber holt und recht sportlich zwischen seinen beiden Instrumenten wechselt. Dieses Quintett erzeugt einen überwiegend sehr dichten Sound, der an diesem Abend trotzdem ziemlich klar, wenngleich mit deutlicher Überlautstärke aus den Boxen kommt und durch diese Transparenz das Mitvollziehen all der Einzelelemente, aus denen die Songs zusammengesetzt sind, problemlos ermöglicht. Als Headliner nur sechs Songs plus eine Zugabe zu spielen wirkt auf den ersten Blick vielleicht komisch, aber da all die Nummern des regulären Sets irgendwo um oder über zehn Minuten lang sind und nur die Zugabe etwas kürzer, ergibt sich summiert ein quantitativ auf alle Fälle abendfüllendes Programm, das auch qualitativ überzeugt, obwohl oder gerade weil Red Scalp mit Stilbegriffen schwer zu fassen sind. Klar, irgendwo ist Stoner Rock dabei, aber Space und Psychedelic Rock nicht minder, und die Leadgitarrenarbeit weist beide Sechssaiter als verkappte Traditionalisten aus – wenn sie Doppelleads spielen, und das tun sie nicht selten, winken Thin Lizzy oder gar Wishbone Ash fröhlich herüber, und so manche Melodielinie wäre auch im klassischen Melodic Rock nicht deplaziert, zumal der Perkussionist und der Gitarrist so hohe Stimmen haben, dass jede Power-Metal-Band sie mit Kußhand verpflichten würde. Schrägerweise wirkt das optische Bild auf der Bühne dann auch eher inhomogen: Wir sehen einen Afroträger à la Paul Breitner (der Drummer), einen fleißig headbangenden Metaller (der Perkussionist), einen Progger (der singende Gitarrist), ein Louisiana-Doom-kompatibles Schwergewicht (der nicht singende Gitarrist) und einen kleiderschrankförmigen Hünen, den jede NYHC-Band in ihre Reihen aufnehmen könnte (der Bassist), vor uns. Falls das jetzt allerdings eher beliebig wirkt, so sei hinzugefügt, dass Red Scalp wie aus einem Guß musizieren, Ahnung von dynamischer Entwicklung haben und immer dann, wenn man meint, jetzt ginge keine Steigerung mehr, noch ein Kaninchen aus dem Hut zaubern, wobei die Saxophoneinlagen diesbezüglich eine markante Rolle spielen. Wie die Polen in „Lost Ghost“ an den langen schleppenden Hauptteil einen ebensolangen speedigen Schlußteil anbauen und das völlig organisch wirken lassen, stellt ihren Songwritingfähigkeiten ein hervorragendes Zeugnis aus, und die schrägen Vocals in „Mantra Bufala“ wirken sowieso völlig jenseitig. Neben bereits konserviertem Stoff spielen Red Scalp an diesem Abend auch einen neuen, noch nicht aufgenommenen und nur einen Arbeitstitel besitzenden Song, der grundsätzlich deutlich macht, dass die eingeschlagene Richtung beibehalten werden wird, während er in seiner arrangementösen Dichte noch nicht ganz den Grad der anderen Werke erreicht und diesbezüglich sicherlich noch verfeinert werden wird. Auch Red Scalp lassen die letzte Nummer des regulären Sets in einer Lärmwand enden, erfüllen aber die Zugabewünsche mit dem relativ flotten und tanzbar angelegten „Dance On The Sun“, das dem bewegungsfreudigen Teil der Anwesenden nochmal einiges an Energie abverlangt, bevor gegen Mitternacht der letzte Vorhang fällt und so mancher Anwesende zum Merchandisestand pilgert, um sich einen Silberling oder auch eine Vinylscheibe zu gönnen – die Kassettenversion (!) des Lost Ghosts-Albums hingegen ist bei den Gigs zuvor bereits so zahlreich nachgefragt worden, dass schon jetzt beim letzten Gig der Tour keine Exemplare mehr vorrätig sind. Setlist Red Scalp: Faces Lost Ghost Mantra Bufala New Song (Untitled) Tatanka Rituals -- Dance On The Sun Roland Ludwig |
|
|
|