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Reviews
Garr Lange

Crossing the line


Info
Musikrichtung: Country / New Country

VÖ: 2003

(Comstock Records)

Internet:

http://www.garrlange.com


Die Country-Fans, denen der Name Garr Lange bisher nichts sagte, brauchen sich über diese vermeintliche Wissenslücke keine Gedanken machen, denn mit dem brandaktuellen Crossing the Line wird uns das Debüt-Album des Mannes aus Seattle vorgelegt. Dies darf aber nicht bedeuten, dass es sich hier um einen Frischling der Musikszene handelt, denn schließlich war Lange bereits in den 80ern und 90ern als Musiker "on the road", was uns wiederum hoffen lässt, ein recht erwachsenes Album vorzufinden, denn Frank Fara, Chef von Comstock Records, ist dafür bekannt, dass in seinem Musik-Teich zwischen ein paar Karpfen auch einige recht beeindruckende Hechte ihre Runde drehen.

Im Einzelnen:

Bereits nach den ersten Takten ist man sich sicher, einen der besagten Hechte im Netz bzw. Player zu haben, denn neben einer twängenden Gitarre weist Lange´s Stimme einen nicht unerheblichen Grad von Reife und Ausgewogenheit aus. Stilistisch ist der Opener "Everything she does" eher in der Abteilung Singer/Songwriter zu finden, die sich neuerdings unter dem Begriff "Americana" etabliert. Alle Songs dieses Albums wurden vom Sänger komponiert und getextet, so dass man mit dieser CD bis zu Pudel´s Kern vorstoßen dürfte und die Tiefen (und Höhen) des Interpreten ergründen kann. Hier hat er z.B. eine recht interessante Liebeserklärung an seine (ein wenig schräge) Freundin/Frau geschrieben, in der eine markante Frauenstimme im Background auftaucht. Dazu später mehr! Der Titelsong "Crossing the line" erinnert mit seiner Backline an Dire Straits und berichtet davon, wie er und seine Frau als junge Leute ausrissen und jetzt auch an die damaligen Bedenken erinnern. Der Titel ist geradeaus produziert und groovt gut. Über einen ebenso klaren und guten Groove verfügt "Red hot". In dem bluesigen Song berichtet er über eine absolut heiße Frau, die allen den Kopf verdreht, und um das Ganze auch hörbar zu machen, taucht wieder diese weibliche Background-Stimme auf, die die pure Erotik auf ihren Stimmbändern trägt und dem Titel wirklich das Sahnehäubchen verpasst. Doch auch ansonsten ein gut hörbarer Titel, der durch das Thema, den Groove und die Frauenstimme ein absolut rundes Ergebnis abliefert.

Ebenfalls bluesig geht es bei "Not gonna cry" zu, hier jedoch bedeutsam behutsamer und langsamer. Und wieder ist die Lady aus dem Background da und stellt den männlichen Hörern die Nackenhaare auf. Dem von der Sängerin gehauchten "Baby come back" dürfte sich daher kaum jemand entziehen können. "One thin dime" greift wieder auf Singer/Songwriter-Qualitäten zurück und versprüht die Lebensweisheit, dass noch nicht mal mehr ein rostiger Cent auf dich wartet, wenn du jetzt gehen solltest. Standardmäßige Besetzung mit straighten Drums, einer Akustikgitarre und einer gelegentlichen Hammond B3 sorgen für den absolut gradlinigen Background, vor dem die reife und kraftvolle Stimme Garr Lange´s brillieren kann. Ebenso straight geht es auch bei "On borrowed time" zu, nur um einiges rockiger. Und da ist sie auch schon wieder, diese aufregende weibliche Stimme, die dem Song noch mehr Drive gibt, als er sowieso hat. Ein starker Country-Rock-Titel, der durchaus das Zeug zu einem Chart-Erfolg hat.

Eine völlig andere Stimmlage bietet uns Garr Lange bei "Stunned by love", einer Ballade mit leichtem Tex-Mex-Flair. Schöner Harmoniegesang und akustische Gitarren runden den Song ab, der die Magie des Verliebtseins zum Thema hat und einen wunderschönen Schmusetitel mit sehr hohem Kuschelfaktor darstellt. Ebenfalls im Balladenformat kommt "Fire all your guns" daher, dass thematisch jedoch kein Schmuselied ist, handelt es doch von Soldaten im Krieg. Neben den in den letzten Jahren stark vermehrt aufgetauchten patriotischen Gesängen, die die Charts bevölkerten, geht es hier nicht um die Nation, sondern um die armen Burschen, die geopfert werden. Dieser Song bietet gewisse Ähnlichkeiten mit den Songs von Bruce Springsteen und strahlt auch dieselbe Stärke und Ehrlichkeit aus. "Dim the lights", der letzte Song des Albums, steigt mit neuen Waffen ins Gefecht und bietet eine Fiddle auf, die bei diesem Song - in der Zusammenarbeit mit dem Piano - wohl eher die Bezeichnung Violine verdient hätte, denn von Country-Roots ist man hier instrumental weit entfernt. Ein absolut behutsamer und ruhiger Song, der richtig tief geht. Wer sich dann zum CD-Player begibt, um sich - meine Empfehlung - dieses Album ein weiteres Mal anzuhören, wird erstaunt sein, dass das Zählwerk noch weitere vier Minuten dieses Titels ankündigt. Als Bonustrack gibt es dann "When you´re not enough", den Garr Lange - nur mit einer Akustikgitarre bestückt - aufnahm und der uns somit einen Einblick in die Studioarbeit und die echten musikalischen Fähigkeiten des Sängers bietet. Ein nettes Bonbon, das seine Wirkung nicht verfehlen dürfte.

Fazit:

Garr Lange ist ein Sänger mit Ecken und Kanten, Liebesliedern und Antikriegssongs. Doch bei allem, was er macht (bzw. komponiert und textet), hat man das Gefühl der Ehrlichkeit, dass sich auch durch seine kompromisslose Stimme widerspiegelt. Es wird nicht ständig auf die Charttauglichkeit der Songs geschielt, sondern es wird das produziert, was ihm wichtig erscheint, ob es jetzt Rock, Americana oder Country ist. Dass diese Nonkonformität und das musikalische Handeln außerhalb des üblichen Schubladendenkens ihn in den späten 90ern in Nashville scheitern ließ und ihn in einen "normalen" Beruf trieb, scheint vergessen zu sein, denn inzwischen ist die Nashville-Szene bereit für diesen Style.

Musikalisch gut und gerade umgesetzt und im Backgroundgesang gelegentlich mit einer absolut heißen Frauenstimme garniert, kommt hier ein vielseitiges Album auf den Markt, das vielleicht bzw. hoffentlich noch von sich reden macht.



Lothar Heising



Trackliste
1. Everything she does
2. Crossing the line
3. Red Hot
4. Not gonna cry
5. Bulletin
6. One thin dime
7. On borrowed time
8. Stunned by love
9. Can´t quit that
10. Cobblestones
11. Fire all your guns
12. Dim the lights / When you´re not enough


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