Mit ihrem vierten Longplayer haben Narnia sich endgültig frei geschwommen. Die Malmsteen-/Europe-Parallelen, die auf den Vorgänger-Alben allgegenwärtig waren, sind verschwunden. Geblieben ist der ganz eigenständige Sound, der auch bisher schon neben den genannten Anklängen erkennbar war.
Grundsätzlich bedeutet das: Narnia sind ruhiger geworden. Zu recht verkauft Nuclear Blast "The great Fall" unter dem Sigel "Melodic Metal", statt Power Metal, das in der Vergangenheit durchaus angemessen war. Die Uptempo-Nummern sind weitgehend verschwunden. Die Kraft, die dadurch vom Gaspedal genommen wurde, ist in die Eindrücklichkeit der Kompositionen geflossen.
"The great Fall" ist ein Konzeptalbum in genuin biblischer Tradition. Der erste Teil beschreibt den verzweifelten seelischen Kampf eines Soldaten, der unter der Last seiner Schuld zusammenbricht. Im zweiten Teil wird die von Krieg geprägte Weltzeit im Licht der heraufbrechenden Endzeit gedeutet. (Wer das Ende der CD nicht versteht, sollte in der Bibel nachelesen: Matthäus, Kapitel 25, Verse 42-44)
Das Bedrängende dieser Situation wird durch den gewandelten Stil von Narnia besonders eindrücklich herausgestellt. Es ist wohl kein Zufall, dass man zum überwältigenden Finale, dem fast viertelstündigen "The great Fall of Man", den Rock-Experten für Endzeitvisionen schlechthin, Eric Clayton von Saviour Machine, als Gast ins Studio geholt hat. Und dessen pathetische Stimme wird von dem etwas lebendigeren Metal Narnias noch wesentlich besser gefasst, als von dem Düster-Metal seiner eigenen Combo.
Fast völlig neu im Arsenal von Narnia sind regelrecht progressive Elemente. Die Solo-Gitarre bei "No Time to lose" scheint von Pink Floyds "Wish you were here" inspiriert zu sein. Die Keyboards zu Beginn von "The great Fall of Man" ahmen ein Spinett nach.
Norbert von Fransecky
15 von 20 Punkte
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