Johann Kaspar Kerll - Rupert Iganz Mayr: Geistliche Musik am Münchner Hof orpheus chor münchen - Neue Hofkapelle München
Gerd Guglhör
Arte Nova - live DDD (AD 2002) / 74321 98493 2
www.artenova.de
Dass inzwischen auch überwiegend regional aktive und bekannte Ensembles aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis erstklassige Arbeit leisten, die keinen Vergleich mit den ganz Großen der Szene zu scheuen braucht, belegt die aktuelle CD der Neuen Münchner Hofkapelle und des orpheus chors münchen. Deren Programm kommt dann freilich auch ganz regional-lokalpatriotisch daher: Mit ihr wird uns das Musikleben der Münchner Residenz zur Zeit des Kurfürsten Max Emanuel, also um 1700 herum, nähergebracht.
Repräsentative barocke Prachtentfaltung atmen daher alle der hier eingespielten Werke:
Der erste Teil widmet sich dem weitgehend unbekannten Komponisten Rupert Ignaz Mayr (1646-1712), der aufgrund seiner Ausbildung Elemente des französischen und italienischen Stils in seinen Werken vereint. Sie zeichnen sich durch einen ungewöhnlichen Reichtum an Verzierungen, stellenweise auch durch eine gewisse artifizielle Süßlichkeit aus. Seine "Marienvesper" mit ihren knappen, stets vorwärtsdrängenden Sätzen ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil Mayr - selbst in erster Linie Violinist - eine raffinierte Violinbegleitung dazu erdachte, die durch prägnante Einwürfe auffällt. Das Bemühen des Komponisten um eine sorgfältige musikalische Ausdeutung der Psalmtexte (so etwa im "Lauda Jerusalem", in welchem man die Eisbrocken geradezu vom Himmel fallen und gleich darauf auf das Wort Gottes schmelzen hören kann) wird vom Chor ausgezeichnet mitvollzogen und dem Hörer plastisch vor Ohren gestellt. Wie überhaupt die glasklare Artikulation der Sängerinnen und Sänger sowie die Präzision
der Choreinsätze hervorzuheben ist.
Das kommt auch den komplexeren Werken Johann Kaspar Kerlls (1627-1693) zugute, die den zweiten Teil der CD ausmachen. Seine "Missa Superba" (was soviel wie "vortreffliche, erhabene Messe" bedeutet) für acht Solisten, zwei Chöre und Orchester lebt von der perfekten Beherrschung der in venezianischer Tradition stehenden Mehrchörigkeit. Hier stellt Kerll - dessen Missa übrigens auch von Bach hochgeschätzt und in Teilen (Sanctus) auch bearbeitet wurde - unter Beweis, was er von seinen großen Lehrmeistern Giacomo Carissimi und Girolamo Frescobaldi gelernt hat. Die Musik verharrt aber nicht in kühler Kunstfertigkeit. Vielmehr wird durch eine eigenständig geführte Orchesterbegleitung und die Hinzuziehung von vier Posaunen (in der vorliegenden Aufnahme wirklich superb gespielt!) ein Klang- und Farbenreichtum erzielt, der in der Musik dieser Zeit eher selten zu finden ist.
Wiederum gelingt es allen Beteiligten, einschließlich der Solisten, das Werk lebendig und zugleich mit eindrucksvoller Sachkunde vorzutragen. Roland Guglhör bevorzugt dabei tendenziell zügige Tempi, um den festlichen Charakter der Messvertonung zu unterstreichen. Das Orchester spielt unter seiner Leitung kraftvoll und klar akzentuiert.
Zwei besondere Leckerbissen bietet die CD darüber hinaus:
Zum einen Mayrs "Salve Regina" für Sopran, Violinen und Basso Continuo, zum anderen Kerlls Weihnachtskonzert "Gaudete Pastores" für Soli, Chor und Orchester.
In Mayrs Werk glänzt die erfahrene Susanne Backes als Solistin. Ihre weiche, warme Tongebung paßt ideal zu dem Stück, das sie virtuos vorträgt, ohne aus der Andacht ein leeres Kunststückchen zu machen.
Kerlls reizvolles Konzert ist eine Art Miniaturoratorium mit der Verkündigung der Geburt durch den Engel (hier als Sopranistin Priska Eser-Streit mit einer wahrhaft engelsgleichen Stimme), einem Antwortgesang der Hirten und einem abschließenden Jubelchor der Engel, jeweils getrennt durch ein leicht variierendes Orchesterritornell.
Ja, unter diesen Umständen, bei solcher Musik und ähnlich gelungenen Interpretationen wird sich´s wohl haben leben lassen, damals, als der Kurfürst es sich in München gut gehen ließ...
Der Live-Mitschnitt läßt, obwohl er den halligen Kirchenraum deutlich abbildet, klangtechnisch kaum etwas zu wünschen übrig. Und da die CD zum typischen Arte Nova-Preis von rund 5 Euro zu haben ist, kann sie jedem, der sich auch nur ein wenig für die Vokalmusik jener Epoche interessiert, wärmstens empfohlen werden.
16 von 20 Punkte
Sven Kerkhoff