Attila

Attila (Review-Serie, Teil 11, Bonus Review 3)


Info
Musikrichtung: Psychedelic Proto-Metal / Schock Rock

VÖ: 27.07.1970

(Epic)

Gesamtspielzeit: 35:42



Billy Joel-Vinyl-Review-Serie 2022, Teil 11, Bonus Review 3: Attila - Attila

Und noch einmal haben wir eine Pause in unserer Billy Joel-Review-Reihe gemacht. Dieses Mal ganz bewusst. Aber der Reihe nach.
Ähnlich wie das Album der Hassles, das wir in der vorletzten Ausgabe besprochen haben, ist auch das einzige Album von Attila, einem kurzlebigen Duo, das aus Billy Joel und dem Hassles-Drummer Jon Small bestand, später unter dem Namen Billy Joel wieder veröffentlicht worden. Ich besitze schon seit Ewigkeiten eine Ausgabe, die 1985 von der Aston Music AG als Nummer 9 einer 50 LPs umfassenden „Platinum“-Reihe veröffentlicht wurde, in der u.a. LPs von Joe Cocker, Motörhead, Van Morrison, Marvin Gaye etc. erschienen sind. Das Album trägt den Titel California Flash.
Mit diesem Album habe ich diese Review vorbereitet. Als ich dann kurz vor dem Redaktionsschluss der März-Ausgabe die Lyrics zu dem Album recherchiert, musste ich feststellen, dass California Flash eine um einen Titel gekürzte Version des Albums ist. Der Titel „Holy Moses“ fehlt.
Da im Netz der Netze eine CBS-Reissue (ebenfalls aus dem Jahre 1985) zu einem tragbaren Preis erhältlich war, habe ich mich entschlossen, das Album zu erstehen und die Review um eine Ausgabe zu verschieben. Hier ist sie nun.


Schon das Cover ist überwältigend. Billy Joel trägt eine Rüstung bestehend aus Harnisch und Kettenhosen, darüber ein Fell und eine Perücke, die aus der Zeit Louis XIV stammen dürfte (wenn es nicht sogar - ein Foto auf dem Backcover lässt das möglich erscheinen - sein eigenes Haar ist). Jon Small trägt Kettenhemd und Fellhose, darüber eine Lederweste, die wie eine römische Toga wirkt. So posieren sie in einer Art Schlachthausszenerie inmitten von aufgehängten Tierkadavern, allerdings auf Sandboden.

Ungeachtet der modischen Fehlgriffe wusste offenbar jemand, der an der Produktion des Albums beteiligt war, wer Attila war. Denn die Liner Notes beginnen damit, an den Hunnensturm zu erinnern, der die Reiterhorden Attilas bis an die Tore Roms brachte, um dann das Duo Attila als „die bemerkenswerteste Gruppe auf der Szene seit die Hunnen Europa platt gemacht haben“ zu bezeichnen.

Bemerkemswert ist zumindest, was William (Billy) Joel und Jonathan (Jon) Small mit lediglich Piano, Orgel und Schlagzeug zustande bekommen haben. Ich hätte geschworen, dass da Gitarren mit am Werk waren. Aber das holt Joel alles aus seinen Kisten raus.

Die Orgel bestimmt den Gesamteindruck der Platte. Sie wummert, jault und rifft irgendwo zwischen Purple, frühen Heep, Hawkwind und Emerson Lake & Palmer. Small trommelt dazu sehr differenziert. Oft ist es eher Joel, der die Songs vorantreibt. Bei dem finalen Instrumental „Brain Invasion“ ist Smalls Spiel fast jazzig.
Man merkt, dass die Sache den beiden damals mörderisch Spaß gemacht haben muss. Dazu passen auch die Titel der beiden Instrumentals „Amplifier Fire“ und „Brain Invasion“.

Von dem filigranen Songwriter, als der sich Billy Joel zwei Jahre später auf seinem Solo-Debüt Piano Man entpuppt, ist bei Attila noch wenig zu erkennen. Die Texte sind etwa so filigran wie das Cover-Artwork.

Und auch etwa so fleischlich wie das Cover. Sex ist der rote Faden, der sich durch fast das ganze Album zieht. Im Opener „Wonder Woman“ zeigt Joel sich völlig happy, dass er eine wirklich geile Braut klar gemacht hat. Das wird von einem derartigen Power-Rocker begleitet, dass wohl niemand auf die Idee kommen würde, dass hier weder Gitarren noch Bass im Spiel sind. Im folgenden stark groovenden „California Flash“ jaulen die Orgeln dermaßen burnend, dass man sich fragt, ob Billy Joel das Uriah Heep-Debüt bereits kannte. (Was unwahrscheinlich ist. Very ‘eavy, very ‘umble ist in den USA erst im August 1970, also nach dem Attila-Album, erschienen und in England lediglich etwas mehr als einen Monat vor Attila.) Der Text ist einfach nur schräg. Die Polizei sprengt ein Konzert, bei dem sich ein völlig abgefreakter Rocker auf der Bühne seiner kompletten Kleidung entledigt.

„Revenge is sweet“ lässt den Sex mal im Anzug. Ein Gemobbter, wie man heute sagen würde, dreht den Spieß um und genießt die süße Rache. Der teilweise eher gesprochene Gesang klingt äußerst bedient. Etwas weniger metallisch könnte ich mir das Stück auch bei Zappa vorstellen.

Zum Abschluss der ersten LP-Seite gibt es ein zweiteiliges Instrumental, das erst einmal ein gigantisches Orgelfeuerwerk abbrennt, das von den Drums strukturiert wird, und streckenweise wie ein leicht angejazzte Heep-Aufnahme klingt. Stark! Der zweite Teil, der das Schlagzeug wieder stark positioniert, beginnt fast wie Marschmusik, aber dann feuert die Orgel wieder wie eine Lead-Gitarre.

Die zweite Seite beginnt mit einem wild schreienden Billy Joel, der davon träumt nach Hause zu kommen und dann die wildesten Sachen im Bett auszuprobieren. „Tear this Castle down“ ist der progressivste Titel auf dem Album, der auch über die ruhigsten Passagen verfügt. Hier werden Attila streckenweise fast zur Blues-Band. Und auch hier hätte ich wieder auf Gitarren geschworen.

Als Theologe war ich auf den Text von „Holy Moses“ natürlich besonders gespannt. Er beinhaltet aber nichts Religiöses. Es ist einfach die Frage eines Mannes, dem die Geliebte davongelaufen ist, wie es denn jetzt weiter gehen soll. Die Musik lässt sich wieder gut im Heep-Kosmos verstehen. Und dann kommt zum Abschluss noch mal eine schöne Instrumental-Abfahrt für Vintage-Orgelfreunde

Damit sind wir am vorläufigen(?) Ende unserer Review-Reihe, die wir im Dezember 2021 begonnen haben. Ich möchte die (hoffentlich) erste Hälfte dieser Billy Joel-Review-Reihe mit einem Hinweis auf ein Tribut-Album schließen. 2007 hat Sarah Kaiser, die mit ihrem Album Gast auf Erden, das Jazz-Versionen von Paul Gerhardt-Liedern enthielt, für die erste Plus/Minus-Kritik auf musikansich.de gesorgt, mit u.a. ihrer Schwester unter dem Namen Berlin Voices eine CD veröffentlicht hat, auf der 11 Billy Joel-Songs zu hören sind - in jazzigen sehr gesangsbetonten Versionen, denen man zumindest nicht nachsagen kann, dass sie den Meister einfach 1:1 kopiert haben, die aber recht gewöhnungsbedürftig sind.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Review-Reihe wurde ja durch ein Volume 1(!) der Billy Joel-Vinyl-Rereleases ins Leben gerufen. Das lässt vermuten, dass es irgendwann eine Volume 2 geben wird. In dem Teaser zu unserer Review-Reihe habe ich darauf hingewiesen, dass musikansich.de nur durch einen Fehler in den Genuss der Vinyl-Box gekommen ist.
Diesen Fehler wird es bei der zweiten Vinyl-Box, wenn sie denn irgendwann erscheint, sicher nicht wieder geben. Wir hoffen, dass uns unsere intensive Beschäftigung mit Billy Joel dafür qualifiziert auch mit der Volume 2 bemustert zu werden. Wir werden sehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.



Norbert von Fransecky



Trackliste
1 Seite 1
21 Wonder Woman (3:38)
32 California Flash (3:32)
43 Revenge is sweet (4:00)
54 Amplifier Fire (7:39)
64.1 Part 1: Godzilla
74.2 Part 2: March of the Huns
8 Seite 2
95 Rolling home (4:52)
106 Tear this Castle down (5:49)
117 Holy Moses (4:00)
128 Brain Invasion (5:41)
Besetzung

William Joel (Voc, Keys, Orgel)
Jonathan Small (Dr)



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