No Hot Ashes
No Hot Ashes
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Statt eines „Keine heiße Asche einfüllen“-Aufklebers ziert das Cover des vorliegenden Albums eine Art Etikett mit einem Siegel „Since 1983“, dem Kürzel NHA (samt zwei Sternen zwischen den Buchstaben), der ausgeschriebenen Version No Hot Ashes und der dreiteiligen Inhaltsangabe „Pure Rock“, „Product of Belfast“ und „100% Vol.“ – damit ist schon mal ein Rahmen abgesteckt, was man in den knapp 40 Minuten Musik erwarten könnte, der dann auf der Rückseite noch präzisiert wird: Merv Goldsworthy und Pete Jupp von FM haben produziert, und die Scheibe erscheint bei Frontiers Records. Sollte dann immer noch jemand gezweifelt haben, macht der Opener „Come Alive“ endgültig klar, dass wir hier blitzsauberen Melodic Rock geliefert bekommen, und zwar das Debütalbum von No Hot Ashes, erschienen immerhin 35 Jahre nach der Bandgründung. Die erst in Belfast, später in London ansässige und immer wieder von Besetzungswechseln geplagte Formation erhielt zwar tatsächlich einen Plattenvertrag bei GWR Records, die zu jener Zeit auch Combos wie Motörhead oder Girlschool unter Vertrag hatten, aber das 1988 eingespielte Debütalbum erschien nie, und die Band stellte 1990 ihre Aktivitäten ein und nahm sie erst 2013 für einen Benefizgig wieder auf, was so gut ankam, dass die Reunion dauerhaft wurde und letztlich nun auch endlich zum Release des selbstbetitelten Debütalbums führte, den tragischerweise Langzeitbassist Paul Boyd nicht mehr miterleben konnte, da er 2017 den Kampf gegen den Krebs verlor, nachdem er noch kurz zuvor seinen letzten Gig mit der Band in Mailand gespielt hatte.
Was nirgendwo genau vermerkt steht, ist allerdings die konkrete Herkunft der Aufnahmen: Handelt es sich um die aus den Achtzigern, oder sind es Neueinspielungen nach der Reunion? Und hat der Sechser mit fünf Altmitgliedern plus Neuzugang/Zweitgitarrist Niall Diver nach der Reunion neues Material geschrieben und eingespielt, oder konzentrierte er sich erstmal auf das Konservieren der alten Nummern? Diesbezüglich lassen sich nur Indizien sammeln. Mit „I’m Back“ muß mindestens ein alter Song vertreten sein, denn an dem hat Sänger Tommy Quinn mitgeschrieben, der nur in den Spätachtzigern zur Band gehörte und in der Reunionbesetzung nicht dabei ist, die wieder Ur-Sänger Eamon Nancarrow am Mikrofon sieht, so dass die von diesem mitgeschriebenen Songs sowohl aus der Frühzeit der Combo als auch aus der Zeit nach der Reunion stammen könnten. Der glasklare und doch druckvolle Sound des Albums läßt für die Aufnahmen einen aktuellen Zeitpunkt vermuten, denn um den in den Achtzigern in dieser Art hinzubekommen, hätte man ein Budget wie Def Leppard haben müssen, und das dürften GWR nie und nimmer zu investieren in der Lage gewesen sein. Trotzdem bleiben strukturelle Unklarheiten, die an dieser Stelle nicht ausgeräumt werden können.
Glücklicherweise beeinträchtigt das den Hörgenuß in keinerlei Weise. Wie bereits erwähnt hören wir lupenreinen Melodic Rock, den auch FM selber hätten einspielen können, so dass die primäre Zielgruppe deren Anhängerschaft ist, die ja nur alle paar Jahre mal mit neuen Erzeugnissen bedient wird. Refrains wie die von „Good To Look Back“ oder „Glow“ wiederum hätten auch Ten nicht wesentlich anders gestaltet, wenngleich das Händchen von Gary Hughes beim Komponieren von „Hits“ vielleicht noch ein wenig stärker ausgeprägt war als das der No-Hot-Ashes-Komponistenfraktion rund um Gitarrist Dave Irvine – die Refrains hier wollen nicht so richtig im Ohr hängen bleiben. Das kann man freilich auch als Trumpf werten, im Sinne einer internen Ausgewogenheit, die die Aufmerksamkeit auf die ganzen Songs lenkt. Die dauern im Schnitt die üblichen vier Minuten, brechen kaum aus gewohnten Schemata aus, müssen das aber auch nicht, solange sie ideenreich ersonnen und gut eingespielt sind. Spieltechnisch macht dem aktuellen Sextett (falls es hier musiziert) auch niemand etwas vor, und Nancarrows Gesang sorgt gleichfalls für gute Stimmung beim Hörer, hat der Mann seine Form doch offenbar erfolgreich über die Jahrzehnte konserviert, trifft alle angepeilten Melodielinien ohne jegliche Probleme – und den einleitenden hohen Schrei in „I’m Back“ oder wie er in „Glow“ mal eben ansatzlos ganz nach oben gleitet, das soll ihm so mancher Jüngerer erstmal nachmachen. (Dafür, dass wir hier gar keinen alternden Nancarrow, sondern einen jungen Quinn hören, gibt es wie erwähnt kein eindeutiges Anzeichen.)
Von den Songs her bewegt sich die Truppe im angestammten Areal des Melodic Rock und bricht nur mit dem erwähnten „I’m Back“ (ganz leicht metallisiert) und „Johnny Redhead“ (mit einer Portion Rock’n’Roll verfeinert) ein wenig aus dem Areal aus, während das Rick-Springfield-Cover „Souls“ zwar kurz balladeske Elemente einflicht, aber auch bald ins klassische AOR-Fach wechselt und tatsächlich den markantesten Refrain unter den zehn Songs aufweist. Auf diesem Sektor müssen No Hot Ashes, sofern sie trotz des Todes ihres Bassisten weitermachen und neue Songs schreiben wollen, also noch arbeiten – aber in der Gesamtbetrachtung machen die knapp 40 Minuten jede Menge Hörspaß, zumal die Formation stets frisch von der Leber weg rockt, Drummer Steve Strange oft ein für Genreverhältnisse recht zügiges Tempo vorlegt (prima Beispiel: der mitreißende Closer „Running Red Lights“, der Laune macht, die CD gleich nochmal von vorn zu hören) und die Mitglieder nirgendwo den Eindruck an ein gesetzteres Alter aufkommen lassen, außer vielleicht mit der grundsätzlichen Stilwahl, die sie freilich bereits getroffen haben, als sie noch deutlich jünger waren. Aber egal wie: No Hot Ashes kann jedem ans Herz gelegt werden, der dieses irgendwo zwischen Ten, FM und Foreigner verloren hat.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Come Alive | 3:27 |
2 | Good To Look Back | 3:56 |
3 | Satisfied | 3:31 |
4 | Boulders | 4:22 |
5 | I’m Back | 3:37 |
6 | Glow | 4:14 |
7 | Over Again | 4:37 |
8 | Johnny Redhead | 3:51 |
9 | Souls | 4:09 |
10 | Running Red Lights | 3:36 |
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Besetzung |
Eamon Nancarrow (Voc)
Dave Irvine (Git)
Niall Diver (Git)
Tommy Dickson (Keys)
Paul Boyd (B)
Steve Strange (Dr)
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