An hour before it´s dark - Interview mit Marillion
An Hour before it´s dark, Marillions 20. Studioalbum, ist inzwischen seit gut drei Wochen auf dem Markt und hat die wohlverdienten guten Kritiken und auch hohen Platzierungen in den Charts erreicht. Das Album, auf dem laut Sänger Steve „H“ Hogarth der Klimawandel ebenso wenig wie die Covid Pandemie Thema sein sollte, behandelt genau diese Themen sehr gefühlvoll. Und musikalisch haben Marillion diesen schweren Themen eine häufig sehr positive Musik entgegengesetzt, was den vermutlich größten Unterschied zum doch düsteren und schwermütigen Vorgänger F.E.A.R. ausmacht. Für mich knüpft das neue Album eher an Alben wie Afraid of Sunlight oder aber auch Marbles an. Das Album bietet eine sehr atmosphärische Musik, die Gitarren sind nicht so im Vordergrund, sondern wunderbar in den Gesamtsound eingebaut. Die Homogenität der Stücke hört man besonders in den längeren Stücken wie z.B. "Care" heraus. Es stecken sehr viele unterschiedliche Ideen, Instrumentierungen und Wendungen in diesem Stück, und doch wirkt es nicht wie ein aus mehreren Parts zusammengesetztes Stück sondern wie aus einem Guss. Und das kann man über das Gesamte Album sagen, egal wie sich das Tempo verändert, ob es sphärische Klänge mit Chören oder aber regelrecht funkige Basstöne gibt, alles wirkt zusammengehörig. An Hour before it s dark funktioniert hervorragend als durchgängiges Konzeptalbum. Aber auch die einzelnen Stücke funktionieren perfekt für sich allein. Wie es zum Wandel von den ursprünglichen Themen zu den nu behandelten kam und auf welche Weise Covid die Entstehung des Albums ebenso wie Marillion als Band beeinflusst haben, hat mir Schlagzeuger Ian Mosley in einem sehr freundlichen und spannenden Zoom-Interview verraten: Wolfgang Kabsch (WK): Schön, dich kennenzulernen. Ian Mosley (IM): Hallo, wie geht es dir? WK: Mir geht es sehr gut, ich hoffe, Dir auch. IM: Ja, danke. Ich bin ein bisschen müde. Ich bin gerade nach Hause gekommen. Wir haben heute den ganzen Tag geprobt. WK: Nun, kommen wir zur ersten Frage: Wie ist das neue Album entstanden, ich meine, insbesondere unter den Umständen von Covid 19? IM: Eigentlich hatten wir Glück, denn in dem Moment, wo die Pandemie quasi die ganze Welt getroffen hat, hatten wir keine Tourpläne, sondern wollten ins Studio. Also, es war tatsächlich geplant, ein volles Jahr im Studio mit den Arbeiten am Album zu verbringen. Wir fünf sind planmäßig in unser Studio gegangen das ja komplett ausgerüstet ist. Und da haben wir fünf Monate lang in unserer eigenen Blase gearbeitet. Man stelle sich vor, wir hätten eine Tour geplant gehabt, das wäre auch für uns ein Desaster gewesen, hätten wir diese absagen müssen. WK: Gab es denn später ungewöhnliche Situationen durch die dann kommenden Lockdowns? IM: Natürlich. Wir mussten im Studio Änderungen vornehmen. Für mich als Drummer ziemlich ist es normal, hinter einer Glasscheibe zu arbeiten, aber nicht für die anderen (lacht). Und irgendwann wurde es Steve Rothery zu heikel. Er hat eine Zuckererkrankung und deshalb ist es ja überaus verständlich, dass er jedes Risiko vermeiden wollte. Aber da er ein eigenes Studio hat, war das auch nicht so schlimm. Wir schickten ihm die Ergebnisse und er erarbeitete seine Parts in seinem Studio und schickte uns seine Parts. WK.: Wie läuft die Entwicklung eines Marillion Albums denn normalerweise ab? IM: Wir gehen tatsächlich ins Studio und jammen. Aus diesen Jams entstehen dann langsam Songs, bzw. wir picken uns Parts aus den Jams und entwickeln daraus Stück für Stück unser Material. An dieser Stelle ist unser langjähriger Produzent Mike Hunter sehr wichtig. Er zeichnet alles auf und hilft uns dann, die Perlen herauszusuchen. Diese Magie entsteht nur, wenn wir alle Fünf im Studio sind. Glücklicherweise hatten wir die Jam-Phase abgeschlossen, als die Sache Steve zu heikel wurde. Anschließend haben wir angefangen die ausgesuchten Lieblingsstücke sie zu arrangieren. Zum Glück haben wir ja unser Studio, da können wir jederzeit wenn wir Ideen haben, einfach runter gehen und diese verwirklichen. Natürlich gibt es auch negative Aspekte des eigenen Studios. Wir leben alle in einem Umkreis von ca. 30 KM vom Studio, da sagt man dann auch mal schnell ich geh mal grad nach Hause die Katzen füttern. (lacht). Also, man lässt sich halt einfacher ablenken. WK: Konntet Ihr diesen Ablenkungen denn widerstehen bzw. Entkommen? IM: Da haben wir nachgeholfen. Als wir unsere Stücke zusammen hatten sind wir in Peter Gabriels Real World Studios gegangen, um das Album fertig zu stellen. Ein einfach wundervolles Studio in einer ebensolchen Umgebung. Es bietet eine grandiose Atmosphäre für jeden Musiker und Du bist dann voll auf die Arbeit fokussiert. Es läuft in etwa so: Schlafen, Aufstehen, Arbeiten bis zur Mittagszeit, etwas Essen und anschließend nochmals bis Abend ins Studio, Abendessen und wenn es gut läuft nach dem Abendessen noch ein paar Einheiten. Es ist ein sehr produktives und ergiebiges Arbeiten, wie wir es zu Hause nicht hinbekommen würden. Wir haben das Real World Studio schon für einige Alben genutzt und es war immer eine sehr entspannte und erfolgreiche Arbeit. Einfach 24 Stunden am Tag Deine Musik, Deine Band und Dein Produzent und keinerlei Ablenkungen. Perfekt. WK: Ich finde, dass An hour befoe it´s dark mehr Keyboard orientiert, ist als das letzte Album. Liegt das vielleicht auch daran, dass Steve nicht über die ganze Produktionszeit mit Euch im Studio war? IM: Das könnte sein, aber tatsächlich waren die Jams ja abgeschlossen, bevor er zu Hause blieb. Also entstand das „Rohmaterial“ mit Ihm. Tatsächlich muss man sagen, das Mark Kelly in den letzten Jahren wirklich viel stärker unseren Sound prägt, da er inzwischen ein Meister der Sounds und des Arrangierens geworden ist. Insgesamt muss ich tatsächlich auch sagen, dass wir eigentlich Gitarrenbetonter werden wollten und Steve hat eine ganze Menge an Solo´s auf dem Album. Vielleicht muss ich selbst auch nochmal zuhören und ich weiß, was Du meinst: Marillion sind tatsächlich in den letzten Jahren Keyboard orientierter geworden, da wir die Songs voller und kompakter als früher arrangieren. Aber ich kann Dir versichern, dass Steve sehr zufrieden mit seiner Rolle, seinem Anteil an diesem Album ist (lacht). Vielleicht hörst Du noch einmal genauer hin. (lacht) (Anmerkung: habe ich natürlich gemacht und ja: da sind einige wunderbare Gitarrenparts und Solos auf diesem Album. Aber ich finde nach wie vor, dass diese relative stark in den Gesamtsound eingebettet sind und so ein sehr homogener Sound entstanden ist.) WK: Wie entscheidet Ihr denn, was letztlich in die Songs und somit auf das Album kommt? Kommt es nicht zu Problemen beim Treffen der Auswahl, wenn Ihr aus so viel Material auswählen könnt? IM: Nein, da haben wir inzwischen unsere Routine. Wenn ein ausgewählter Part einem von uns Fünf nicht gefällt, verfolgen wir diesen nicht weiter. Bei der Auswahl haben wir diesmal besonders auf die Melodie geachtet, aber auch darauf, dass es etwas rhythmusvoller und schneller als die letzten Arbeiten wird. WK: Wie muss ich mir denn dann das finale Zusammensetzen der Stücke vorstellen? Aus all diesen kleinen Perlen, die Ihr aus den Jams ausgewählt habt? Wie entsteht daraus so ein Stück wie z.B. „Care“? IM: Das ist ein sehr, sehr langsamer langer Prozess. Wir starten mit den Jams. Manchmal vergehen Tage und es kommt nichts wirklich Brauchbares dabei heraus. Aber dann, kommen diese Momente, in denen eine Idee nach der anderen passiert. Ja, sie passieren einfach. Und an dieser Stelle kommt Steve Hogarth ins Spiel. Er hat Seitenweise Blätter voll mit seinen Texten. Und wenn wir dann eine gute Stelle haben, versucht er dazu zu singen. Und wenn dann einer seiner Texte dazu passt, sind wir auf dem richtigen Weg und arbeiten weiter daran. Das ist ein sehr langsamer, manchmal schmerzhafter und auch frustrierender Prozess. Aber am Ende passt die Musik zu H´s Text und es ist vollbracht.
Aber diesmal gab es auch andere Dinge, die die Songs zu dem machten, was sie nun sind. Einige Stücke waren schon sehr erhaben und Tim, der in erster Linie für unsere Videos zuständig ist, kam auf die Idee, Chöre ins Spiel zu bringen. Anfangs dachten wir an bulgarische Chöre, aber dann brachte Mike Hunter den Choir Noir ins Spiel, der letztlich den Chorgesang für "Murder Machines", "The Crow und the Nightingale", "Care" einbrachte. Das gab uns nochmal einen Schub in eine andere Richtung und ich finde es funktioniert hervorragend. Nur die Chöre auf „Be hard on yourself“ spielte Mark auf seinen Keyboards ein. WK: Wie stehst Du selbst zu den Texten von Steve? Ich habe in einem anderen Interview gelesen, dass er eigentlich nicht über Covid schreiben wollte. Dafür ist das Thema ziemlich stark vertreten. IM: Ich liebe seine Texte, wie immer. Er versteht es, die Dinge wunderbar zu be- und umschreiben und doch auch auf den Punkt zu bringen. Und das halt in einem sehr lyrischen Stil. Und ja, er hat zu Beginn der Aufnahmen tatsächlich zur Band gesagt, dass er nicht darüber schreiben möchte. Doch an einem gewissen Punkt hat er gemerkt, dass dies gar nicht ging. Er wurde über den Entstehungsprozess des Album 2 – 3 Jahre von der Thematik verfolgt, wie wir alle dem Thema nicht entrinnen konnten. Und deshalb hat er diese gefühlvollen Texte entwickelt, die das Thema meines Erachtens sehr besonders behandelt. WK: Im Gegensatz zu den eher düsteren und melancholischen Texten ist die Musik viel positiver als zuletzt noch F.E.A.R. Ich finde, und das meine ich nicht abwertend, die Musik ist richtig poppig an einigen Stellen und konterkariert die Texte deutlich. Wie siehst Du das? IM: Ja, das stimmt absolut. Ich würde es nicht poppig, eher erhaben und sehr kompakt arrangiert nennen wollen. Die Musik ist definitiv positiver als auf F.E.A.R. Aber sag, wie gefällt Dir eigentlich unser neues Album? WK.: Ich finde es sehr stark. Wie alle Marillion Alben der letzten Jahre braucht es ein paar Durchläufe, um alles zu erfassen. Es ist musikalisch weniger komplex als FEAR dafür aber viel dichter und eindringlicher. Es erinnert mich in seinem Sound und seiner Stimmung eher an Afraid of Sunlight oder Brave, als an die letzten Alben. Es ist ein Album, das Wachsen muss und wachsen wird, mit jedem Hördurchgang. Auf der anderen Seite hat es nicht diese bahnbrechend neuen Einflüsse, wie es zum Beispiel Anoraknophobia hatte. IM: Das ist cool. Ich finde es immer interessant, die Meinung von anderen Menschen zu hören. Oft höre ich, dass die Menschen zunächst enttäuscht sind und dann 5 – 7 Jahre später, zählen sie es zu unseren Besten. Das war zum Beispiel bei Brave ganz oft der Fall. WK.: Mir ging das mit Brave ganz anders. Ich war von Seasons End ein wenig enttäuscht und der Nachfolger Holidays in Eden ließ mich glauben, das Marillion nicht mehr meine Marillion sind. Dann fand ich ein paar Jahre später eher zufällig eine Kopie von Brave und dachte anschließend: Wow! Sie sind zurück! IMIM: Als Steve Hogarth damals zu uns kam, war die Musik für Seasons End fast fertig. Für Holidays in Eden standen wir dann in unserer neuen Besetzung vor einem leeren Blatt Papier und fingen quasi von Null an. Die Musik brauchte Ihre Zeit, Steve brauchte seine Zeit. Heute zählen viele Tracks dieser beiden Alben zu unseren Liveklassikern. Aber Du hast schon Recht, mit Brave waren wir wieder zu einer richtigen 5-Mann Band geworden, die in eine Richtung ging und an einem Strang zog. Wir waren wieder mutig genug, zu tun, was wir tun wollten. Und heute sind wir glücklich, dass wir das so machen können. Auf der anderen Seite ist es manchmal frustrierend. Denn wir sind so nah an unseren Songs und Alben, dass wir gar nicht mehr im Blick haben, wohin es sich entwickelt. Und dann können wir nur hoffen, dass das Ergebnis auch unseren Fans gefällt. Zum Glück gelingt uns das meistens. WK: Ja, das ist eine Eurer großen Stärken, das Ihr macht, was Ihr machen wollt. IM: Und wir sind froh, dass wir das können. Und wir haben das unserer fantastischen Fangemeinde zu verdanken. WK: Wo wir beim Thema Fans sind: was habt Ihr, so denn es möglich ist, mit dem neuen Album Live vor? IM: Im Moment Proben wir. Wir werden zunächst endlich wieder Marillion Conventions abhalten, die ja immer über drei Tage gehen. Das erste soll am 9. April in Polen stattfinden. Eine Tradition bei diesen Conventions ist es ja, immer ein Album aus unserer Diskographie komplett zu spielen. Da wäre es dies Jahr durchaus möglich, das wir das mit An Hour before it´s dark machen. Aber das steht noch nicht fest. Das Spielen eines ganzen Albums findet an dem Freitag des Wochenendes statt. Für den Samstag und Sonntag haben wir noch keine Setlists, am Sonntag werden wir vermutlich eine Setlist mit schnelleren und rockigen Stücken machen. WK.: Das klingt schon mal spannend. IM: Ja. Wir haben letzten November eine sehr kurze UK-Tour gemacht und dabei schon "Be hard to your self präsentiert. Das Stück ist sehr gut angekommen. Und im Studio, bei den Proben, macht es uns richtig viel Spaß, das neue Album komplett zu spielen. Wir hoffen darauf, dass wir nun wieder richtig viel spielen können.
WK: habt Ihr Pläne für die Bühnen-Show? Videos oder anderes? IM: Wir haben jede Menge Ideen, aber noch nichts produziert. Als wir mit dem Album fertig waren, wollten wir eine große Show produzieren. Aber immer, wenn unsere Managerin Lucy etwas arrangieren wollte, wurde es wegen Covid abgesagt oder verschoben. Also haben wir es irgendwann erst einmal sein gelassen, da es keinen Sinn gemacht hat Zeit und Geld in Dinge zu investieren, die dann nicht realisiert werden konnten. Wir freuen uns jetzt erst mal auf die Conventions. Es soll auch eine in England und eine in Portugal geben. Und eventuell in Kanada. Und dann beruhigt sich Covid hoffentlich und wir können wieder viel touren. Auf der anderen Seite sind aktuell wieder andere Dinge los, die in der Welt passieren. Aber wir sind optimistisch und freuen uns auf tolle Shows mit unseren Fans. Zum Abschluss fragte mich Ian noch, woher ich komme. Als ich „Bielefeld“ antwortete erinnerte er sich sofort daran, dass Sie dort in den 90ern einige Male aufgetreten sind, und versprach mir, bei der Band anzuregen, vielleicht nochmal hier Station zu machen. Das würde mich natürlich sehr freuen, denn die Shows damals zu Brave, Afraid, This strange engine und Anoraknophobia sind mir in sehr guter Erinnerung geblieben. Bis es soweit ist, können wir uns mit dem erstklassigen Album gut über Wasser halten. Meinen herzlichen Dank an dieser Stelle nochmal an Ian für dieses entspannte und informative Interview. Fotos: Anne-Marie Forker Wolfgang Kabsch |
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