Kieler Bockwurst on Wheels: Fuzzmatazz-Festival in Jena
Hinter dem Namen Fuzzmatazz verbirgt sich ein in Jena ansässiges Label samt Vertrieb für Musik, die zwar heute entsteht, aber auch von gestern oder gar vorgestern stammen könnte, mit besonderer Liebe für Vinyl, für obskure, aber strukturierte Sounds und mit dem Herz am richtigen politischen Fleck, wie das die auch in der Saalestadt umtriebige Rechtsaußenfront gekonnt veralbernde Shirt des Merchandisers an diesem Abend beweist, welchselbiges die Aufschrift „Thorten Schneidar“ trägt. An diesem Abend, das meint beim Fuzzmatazz-Festival, welches besagtes Label im für die eingangs beschriebenen Sounds prädestinierten Kulturbahnhof auf die Beine stellt. Als Labelmacher muß man auch zu kurzfristigen Umdisponierungen in der Lage sein – den Beweis erfordert die derzeit durch die deutschen Lande rollende Grippewelle, die auch einen der Musiker des geplanten ersten Acts Osaka Rising darniederstreckt, und da besagte Combo nur in Duobesetzung agiert, wäre es aberwitzig, etwa in reduzierter Besetzung spielen zu wollen. Statt dessen können in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Nuclear Pillmachine als Ersatz verpflichtet werden, die sich dann auch gerade mal 24 Stunden nach der Absagemeldung von Osaka Rising bereits auf der Bühne des Kulturbahnhofs wiederfinden und zunächst auf selbiger eine Batterie Räucherstäbchen entzünden, um offenbar in die richtige Gigstimmung zu kommen. Der Basser hatte beim Soundcheck Black Sabbaths „N.I.B.“-Intro angespielt, und der instrumentale Setopener hebt dann auch mit klassischen Doomklängen an, aber damit führt das Quartett die Zuschauer in die Irre: Besagter Opener zieht das Tempo schrittweise an, und letztlich landet der Bandsound im traditionellen Stoner Rock und verbleibt dort auch während des gesamten Sets. Die Geraer haben offensichtlich als Fu-Manchu-Coverband begonnen, und auch an diesem Abend setzt sich ihre Setlist hälftig aus Eigenkompositionen und hälftig aus Coverversionen zusammen, wobei kurioserweise die ersteren vom Publikum stärkeren Applaus erhalten als die letzteren, was freilich nicht bedeuten soll, dass es sich etwa um mangelhafte Umsetzungen der Vorlagen gehandelt habe, aber trotzdem Fragen aufwirft: Ist dem Publikum die stilistische Vorreiterrolle Fu Manchus nicht (mehr) bewußt? Eigentlich kaum vorstellbar. Sei es, wie es sei: Das Quartett überzeugt mit Spielfreude, ist fit an seinen Instrumenten, und auch der Gesang paßt gut ins Bild. Der auch das Gros der Gitarrenleads spielende Sänger besitzt ein relativ hohes, aber nicht weinerliches Organ, der zweite Gitarrist und der Bassist unterstützen gekonnt mit Backings, wobei der Bassist zwei Mikros vor sich stehen hat – das zweite ist etwas angezerrt und soll, so die Info beim Soundcheck, den Charakter einer Bahnhofsdurchsage aufweisen. Das kann im recht ausgewogenen, lediglich nach hinten heraus geringfügig zu laut werdenden Soundgewand auch prima nachvollzogen werden, und nur Teile der Gitarrenleads des Sängers gehen akustisch etwas baden, während die gelegentlich eingestreuten, an klassische Thin Lizzy gemahnenden Twin-Leads scharf genug aus den Boxen kommen. Songs wie „Hunting Season“ oder „Final Dawn“ verraten durchaus einiges an eigenem Songwritingpotential, und Aspekte wie die gekonnte kommunikative Überbrückung der Pausen zwischen den Songs (weil der Sänger eher schweigsam ist, springt bisweilen der Basser ein, aber auch nicht durchgängig) oder das vor einem unbekannten Publikum als kurzfristiger Einspringer zwingend nötige klar verständliche Nennen des eigenen Bandnamens wird die junge Combo sicherlich noch lernen. Mit „Hell On Wheels“ beschließt ein Cover den unterhaltsamen Set, der vom Publikum definitiv goutiert wird und bereits für mancherlei Tanzbeinschwingen sorgt. Bands namens Stonehenge gibt es bekanntlich in einer Zahl wie, nun ja, Steine in der titelgebenden Anlage. An diesem Abend spielen leider nicht die russischen Doomer (die längst verblichen sind und sich noch nicht zu einer Reunion aufraffen konnten), sondern die gleichnamigen Potsdamer Psychedelicrocker, die sich allerdings auch als sehr hörenswert entpuppen, wenn man grundsätzlich mit ihrem Sound etwas anfangen kann. Von den acht Songs plus einem Zugabesong stammt ein nicht geringer Teil von ihrem neuen Album Bunch Of Bisons, und wenn man das neuere und das ältere Material miteinander vergleicht, fällt eine gewisse Zunahme der rhythmischen Komplexität der Songs auf: Geradlinige Vierviertelbeats streut das Quartett zwar gelegentlich immer noch ein, aber seltener als früher, so dass man beim Tanzbeinschwingen etwas mehr aufpassen muß, um nicht über ein Break zu stolpern. Die Songs sind und bleiben allerdings relativ lang, ohne indes langweilig zu werden – man lauscht den instrumentalen Künsten des Quartetts mit großem Interesse und bemüht sich, auch die Orgel- und Synthieklänge korrekt ins musikalische Bild einzuordnen, die bisweilen ein wenig zu sehr im klanglichen Abseits stehen. Gute Teile der Songs bleiben instrumental, was der Band Gelegenheit bietet, Titel wie „Die Bockwurst-Metapher“ zu erfinden, aber der Gesang addiert dann doch nochmal ein spezielles Etwas zu den Songs, wobei auch hier der Leadgesang des Gitarristen durch Backings des Bassers und in diesem Falle des Keyboarders unterstützt wird – letzterer ist eigentlich auch erkältet, singt aber trotzdem auch höhere Passagen ohne größere Einschränkungen. Kuriosum: Er legt nach einiger Zeit zunächst sein Basecap ab und einige Zeit später auch noch seine Brille – und besagter Gitarrist schießt mit seinem weißbunten Shirt samt Bermudashorts optisch sowieso den Vogel ab. Humor hat er auch: Nach Song 4 kündigt er an, man spiele für den Rest des Sets nur noch Kuschelrock, und tatsächlich hebt der nächste Song mit einem langen kuschligen Part an, bevor er nach einiger Zeit aber den Rockfaktor wieder aufnimmt und nur noch durch die Uhuhu-Backings des Refrains in bester Münchener-Freiheit-Manier zweisamkeitskompatibel bleibt. Als Setcloser wagen Stonehenge etwas Ungewöhnliches: Sie testen einen neuen, noch unkonservierten Song an. Der paßt durchaus in den jüngeren Grundstil der Band, ist in ABA-Form gehalten, wobei Teil A zwar viele Noten versammelt, aber das Gefühl hinterläßt, als würde die Band mit angezogener Handbremse fahren und nicht über ein bestimmtes Level hinauskommen (wollen), wonach ein zunächst sphärischer, später doomiger B-Teil eingeschoben wird, bevor sich Teil A weiterentwickelt und den Energiestrom jetzt richtig fließen läßt. Das Publikum ist davon wie vom ganzen Set sehr angetan und fordert eine Zugabe ein, die auch gewährt wird, wobei sich der Sänger in seiner vorgeschalteten Ansage hinterher zum Abbauen Peter Gabriels „Sledgehammer“ als Konservenmusik wünscht – und auch dieser Wunsch geht in Erfüllung. Aus Kiel kennt der Rezensent die mittlerweile verblichenen Bonehouse, aber die 2009 gegründeten und scheinbar keine personellen Gemeinsamkeiten mit eben genannter Formation aufweisenden Bone Man sind Neuland für ihn, nicht jedoch für den Kulturbahnhof, wo sie ebenso wie Stonehenge bereits zu Gast gewesen sind, und im Publikum hat sie offensichtlich der eine oder andere auch noch in positiver Erinnerung. Der Rezensent wird sich allerdings nicht in diese Riege einreihen, denn er kommt mit dem, was die Band musikalisch fabriziert, überhaupt nicht klar, obwohl sie durchaus nicht so weit abseits seiner Präferenzen liegen. Nur hinterläßt das Trio den Eindruck, als wolle es eine eierlegende Wollmilchsau erzeugen – das Ergebnis ist allerdings leider nicht mehr als ein Wolpertinger (oder dessen norddeutsches Pendant, falls ein solches existiert). Dabei handelt es sich keineswegs um schlechte oder inkompetente Musiker – im Gegenteil: Die drei Individuen können jeder für sich betrachtet durchaus überzeugen. Am Schlagzeug sitzt sozusagen der große Bruder von Muppet-Animal, der fast dauerbangende Bassist rockt gekonnt ab, und der wollbemützte Gitarrist ist für die melodischen Aspekte verantwortlich. In letzteren liegt der größte Hase im Pfeffer: Spielt er Rhythmusgitarre, ist diese so lärmig, dass Bone Man in den nervigen Noiserock-Sektor übergehen und das Nervpotential durch die zu hohe Lautstärke noch erhöhen. Spielt er Leads, fehlt es dem Gesamtgeschehen aber augenblicklich akut an Power. Der klare Gesang wiederum qualifiziert ihn mit der unteren Oktave seiner Stimme für jede Sisters-Of-Mercy-Coverband und in beiden Oktaven für eine Epic-Metal-Truppe. Das Ergebnis hinterläßt dann die totale Verwirrung, und nur in wenigen Momenten kann der Hörer erahnen, was eine etwas stringentere bzw. die Extreme negierende Herangehensweise des Trios für Effekte zeitigen könnte. Gegen Setende nehmen diese Momente etwas zu, was dann auch zu lauterem Applaus für einzelne Songs (Namen sind Schall und Rauch – mit dem Konservenschaffen der Band ist der Rezensent nicht vertraut, und Ansagen halten weder der Gitarrist noch der gelegentlich Backings einstreuende und daher ebenfalls mit einem Mikrofon ausgestattete Bassist für sonderlich wichtig) führt, während die Reaktionen ansonsten eher verhalten ausfallen. Über die den letzten Song krönen sollende Feedbackorgie (eine Zugabe danach ist nicht vorgesehen, da üblicherweise das Saiteninstrument in Mitleidenschaft gezogen wird) ist die Meinungsbildung des Rezensenten noch nicht abgeschlossen, aber insgesamt haben ihn Bone Man nicht überzeugen können. Sehen wir’s aber in der gesamten Festivalbetrachtung mit Meat Loaf positiv: „Two out of three ain’t bad“. Roland Ludwig |
|
|
|