Musik an sich


Reviews
Cavalieri, E. (Jacobs)

Rappresentatione di Anima, et di Corpo


Info
Musikrichtung: Barock Geistliche Oper

VÖ: 13.02.2015

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2014 / Best. Nr. HMC 902200.01)

Gesamtspielzeit: 92:52



GEWICHTIGES BAROCKES WELTTHEATER

Das große Welttheater des Barock - 1600 fand es seinen ersten epochalen Ausdruck in Emilio de’Cavalieris in Rom uraufgeführter Rappresentatione di Anima, et di Corpo. Ein Zwitter aus Oper und Oratorium (beide Gattungen gab es damals noch gar nicht), ein großes geistliches und musiktheatralisches Spektakel, das gleichermaßen belehren und erbauen sollte: über den Sinn und das Ziel des menschlichen Daseins nämlich, das sich auf der großen Weltbühne zwischen Himmel und Hölle abspielte. Die wahrhaft Frommen sollten sich in ihrem Glauben bestätigt fühlen und die Wankelmütigen und Sünder sich zur Glaubenstreue oder Umkehr überreden lassen. Zu diesem Zweck verkörpern eindeutige allegorische Figuren den Körper und die Seele des Menschen; der Körper strebt zu irdischen Freuden, die Seele zu himmlischen Seligkeit. Der Verstand, der Schutzengel, die Weltliche Freude oder der Gute Rat und andere Personifiaktionen mischen sich ein und versuchen die beiden Naturen des Menschen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Das Ganze hat Cavalieri mit viel Sinn für volkstümliche und griffige Effekte vertont. Bis auf den gesprochenen Prolog ist das relativ wortreiche gereimte Libretto von Agostino Manni komplett in Musik gesetz. Nachdem Christina Pluhar das Werk vor einigen Jahren auf sehr überzeugende Weise wiederbelebt hat, folgt nun René Jacobs. Auch bei ihm hört man, dass ihm Cavalieris Stück eine Herzensangelegenheit ist. Mit viel Gespür für die dramatische Wirkung hat ein ein farbiges Neo-Renaissance-Orchester zusammengestellt. Cavalieri wünschte sich ein großes Instrumentalensemble, das nicht nur die gedruckten Noten ausführt, sondern auch Sinn für sprechende Improvisationen hat. Die "Rezitative" wirken vergleichsweise schlicht und ihre Darbietung lebt von der immer neuen, malerischen Kolorierung durch wechselnde Instrumentalkombinationen und "freie" Einlagen. Fast scheint der Komponist sein Publikum zum Mitsingen aufzufordern, wenn er die eingängigen melodischen Formeln und einfachen choralartigen Chorsätze in große, sich wiederholende Blöcke zusammenfasst. Es handelt sich eher um ein quasiliturgisches Ritual denn um ein wirkliches Drama mit offenem Ausgang. Von Anfang an ist eigentlich klar, dass Körper und Seele am Ende den Himmel wählen und in die ewigen Freuden eingehen.

Sowohl die Himmels- wie die Höllenwelt wird von Jacobs durch die Sinfonia eines anderen Komponisten sehr sinnig ausinszeniert. Die Musiker der Akademie für Alte Musik Berlin, die versierten Sängerinnen und Sänger sowie der Staastsopernchor lassen sich hier wie auch sonst auf seine ausdrucksstarke, auf maximale rhetorische Deutlichkeit angelegte Interpretation rückhaltlos ein. Jacobs setzt auf relativ große, klassisch ausgebildete Stimmen, während Pluhar mit Sängern wie Marco Beasley auch den "Volkston" der Musik hörbar macht. Unterstützt durch ein weiträumiges, leicht halliges Klangbild lässt sie es im Ganzen ruhiger, sinnlicher und lyrischer angehen.
Jacobs zugespitztere Deutung wirkt da oft holzschnittartiger und offenbart die Begrenzungen der musikalischen Substanz: Manches ermüdet in seinen ständigen Wiederholungen - gerade weil es mit so viel Nachdruck dargeboten wird. Weniger wäre da manchmal vielleicht mehr gewesen. Ein wirklicher Coup allerdings ist das Finale, bei dem die Instrumente nach und nach aussetzen, bis nur noch die drei Harfen übrig bleiben und der Schluss in eine immer größere Stille hineinmusiziert wird. Ein magischer Moment.

Das Klangbild ist kammermusikalisch direkt und relativ trocken. Starke dynamische Kontraste bestimmen die virtuelle Klangbühne: Da die Himmelsmusik "aus der Ferne" musiziert wird, regelt man an diesen Stelle gerne mal das Volumen hoch. Der barocke Zauber der vielen Details und Klangfarben wäre im Ganzen mit etwas mehr Räumlichkeit vielleicht noch besser herausgekommen.



Georg Henkel



Besetzung

Marie-Claude Chappuis, Johannes Weisser, Gyula Orendt, Mark Milhofer, Marcos Fink

Chor der Staatsoper Berlin

Akademie für Alte Musik Berlin

Leitung: Rene Jacobs


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