Play Latin #8
|
Tigana Santana
Tempo & Magma
Ajabu!/ Broken Silence
69:34 min(DoCD)
Brasilien/ Senegal
Tigana Santana lernte man vor einiger Zeit als neuen sanften Barden Brasiliens kennen. Nun legt er ein ambitioniertes Doppelalbum vor, das er im senegalesischen Dakar mit westafrikanischen Musikern aufnahm. Santana schlägt mit diesen Aufnahmen eine Brücke zu den afrikanischen Wurzeln seiner Musik, insbesondere zum „Wüstenblues“ eines Ali Farka Touré. Seine an sich sehr reduzierte Musik, die meist mit Gesang, Gitarre und etwas Perkussion auskommt, wird hier mit Instrumenten wie die Spießlaute N’Goni und anderen Instrumenten, die nach einsaitiger Geige, Balafon, Kora und Holzflöte klingen, „afrikanisiert“. Das klingt oft beschwörend, als würde man rituelle Musik vor sich hin summen, wobei Santanas Stimme der von Milton Nascimento am nahesten kommt. Zwischen entspanntem musikalischem Fluss und federnden Rhythmen bewegt sich diese Musik. Als Gastsänger sind die brasilianische Sängerin CéU und die Candomblé-Hohepriesterin Mae Stella de Oxossi zu hören.
Sinsemilia
Un Autre Monde Est Possible
Soulbeats Records/ Broken Silence
48:30 min
Reggae/ Frankreich
Schon wieder der gute alte Roots Reggae, diesmal aus Frankreich von Sinsemilia. Die Gruppe setzt viel auf wuchtige Keyboard- und Bläser-Sounds und wirkt dadurch etwas aufgeblasen. Da leidet die Melodie unter der Klangwucht, zumal die beiden Sänger, die eher zum Sprechgesang neigen, das nicht rausreißen. Drei Stücke hintereinander im gleichen Rhythmus und zu lange Pausen nach Tempostücken zeugen zudem auch nicht von begnadeten Arrangeuren. Manchmal hat man das Gefühl einer neuen Art von Dub Poetry, aber dies nur im Ansatz. Heraus sticht dagegen die Akustikballade „We Miss Them“ , die in ihrer Zartheit an den genialen Bim Sherman erinnert.
Bassa
Tango Azul
Flowfish Records/ Broken Silence
49:21 min
Tango
Die Berliner Tango-Formation Bassa setzt weniger auf die Wucht und das Feuer, welches dem gängigen Tango-Klischee entspricht. Bassa interessiert das Filigrane, die Poesie der Melodie im Tango und die melancholische Wirkung. Ohne Schlagzeug, vielmehr mit Gitarre, Kontrabass, Klarinette und vor allem Violine ist die Band besetzt; Instrumente, die alle manchmal in kurzen Phrasen miteinander korrespondieren. So erzeugt man eine fast kammermusikalische Stimmung, die auch gut als Filmmusik vorstellbar wäre. Auffällig sind kleinste Pausen innerhalb dieser Kommunikation untereinander. Das führt zu einer besinnlichen Stimmung mit ganz eigenem Reiz. Tango zur blauen Stunde eben.
Ramón Valle
Take Off
In + Out Records/ in-akustik
46:35 min + DVD
Kuba/ Latin Jazz
In regelmäßigen Abständen tauchen aus Kuba neue talentierte Jazzpianisten auf. Zu ihnen gehört auch Ramón Valle, dessen neues Album gleich mit einer zusätzlichen DVD bestückt wird. Das klingt nach Vorschusslorbeeren, aber Valle kann durchaus in der zahlreichen Konkurrenz seiner Landsleute mithalten. Man merkt ihm die Kenntnis amerikanischer Vorbilder von Monk bis McCoy Tyner an, aber er interessiert sich auch für Popkompositionen. Auffallend ist, dass er als Improvisator eher die Melodie sucht als umgekehrt. Den Jazz-Gestus erreicht er jedoch durch die intensive Kommunikation mit seinem Drummer Ernesto Simpson, dessen vertrackte Rhythmik die Melodik aufbricht und zur Improvisation nahezu verführt. Bei Leonard Cohens „Halleluyah“ kann man zudem nachfühlen, dass Valle die gesangliche Ausdrucksmöglichkeit dieses Klassikers auf sein Spiel in voller Intensität überträgt. Latinmäßig keimt es dagegen erst im letzten Stück auf, das vom perkussiven Spiel aller Beteiligten lebt. Virtuoser Modern Jazz mit kubanischen Emotionen.
Who's the Bossa?
The Chamber Music Project
Music & Words/ mc-galileo
56:26 min
Bossa Nova/ Brasilien
Normalerweise weiß man von der innigen Verbindung von Bossa Nova und Cool Jazz, aber Tom Jobim hat auch immer den Einfluss von Harmonien aus der Klassik im Bossa Nova betont. Und wie ergreifend brasilianische Musik z. B. mit Cello-Begleitung klingen kann, weiß man von den Alben, auf denen Jaques Morelenbaum, der brasilianische Vorzeige-Cellist und –Arrangeur, mitmischt. Da verwundert es nicht, wenn das international besetzte Quartett Who‘s The Bossa? mit Cello, Piano, Gitarre und Gesang den Bossa Nova auf kammermusikalische Begleitung arrangiert und das wie selbstverständlich klingt. Da steht die Zeit still und die Melancholie ist noch intensiver als sie eh schon in brasilianischen Liedern hervor klingt. Das ist gar kurz vorm Taschentuch hervorholen. Sängerin Josee Koning erinnert dabei etwas an Joyce. Zum Relaxen optimal geeignet.
Kenny G
Brazilian Nights
Universal Music
60:01 Min
Smooth Jazz/ Bossa Nova
Als der Bossa Nova in den 1960ern mit Streicherbegleitung im Easy Listening-Bereich angekommen war, wurde er international endgültig zum unverwüstlichen Dauerbrenner und Synonym für elegantes musikalisches Chillen. In Brasilien war er da schon wieder im Abklingen. Dass Bossa Nova perfekt für Smooth Jazz geeignet ist, zeigt der amerikanische Saxophonist Kenny G auf seinem neuen Album. Er setzt die Easy Listening-Tradition des Bossa Nova fort, baut ebenfalls Streicher ein, aber mit programmierten Rhythmen. Während die „Verjazzung“ des Bossas vor 50 Jahren noch viel von der Melancholie des Originals übrig ließ, klingt ein Kenny G einfach nur „gut drauf“. Sein Spiel ist verschnörkelt, handwerklich perfekt, swingt, verlangt aber nie die volle Aufmerksamkeit. Candlelight Jazz der besseren Art. Dabei sollte man sich aber bewusst sein, dass dies die Art Jazz ist, die weltweit am meisten gekauft wird. Kenny G gilt gar als der „Biggest Seller Ever“ unter den Instrumentalisten der Moderne.
Verschiedene
The Rough Guide To Psychedelic Salsa
World Music Network/ harmonia mundi
61:25 Min
Salsa
Auch im Salsa gab es einen Einfluss der psychedelischen Musik. Effekte wie Hall, Echo, Phasing, Flanger oder Rückwärtsklänge wurden eingebaut, untypische Instrumente wie Fuzzgitarre oder Orgel verwendet. Dass die Songstrukturen wie in der englischen Szene der 1960er dadurch komplexer, experimenteller und stiloffener wurden, findet man im Salsa allerdings vergebens. Allerhöchstens wurde länger improvisiert und es wurden dabei regelrecht Effekthaschereien draufgelegt. Viele der auf der Kompilation versammelten Gruppen sind jedoch aktuelle Formationen, bei denen ein Interesse am ursprünglichen Salsa besteht, um sich von der zwischenzeitlichen Kommerzialisierung des Salsa oder Tendenzen wie Reggaeton abzusetzen. Dennoch stechen sie oftmals durch ironisierte, futuristische Klänge vergangener Zeiten auf und erreichen damit eine gewisse Hipness. So hört man bei La Mecánica Popular typische quietschige Elektronikklänge, wie man sie aus Science Fiction-Filme der Sechziger Jahre kennt. Anspieltipp ist Los Pambele mit dem Titel "Cannabis", bei dem der Organist eine ganze Menge davon inhaliert haben muss.
Baden Powell
Live in Berlin
MPS/ Edel
116:36 min (DoCD)
Brasilien/ Instrumental
Am Ende seines Lebens hatte der brasilianische Gitarrist Baden Powell sich in Afro-Sambas, Bossa Nova, europäischer Klassik oder Choro ausgelebt. Am Tag des 500. Jubiläums der Entdeckung Brasiliens, dem 22.4.2000 ließ Powell in Berlin bei seinem letzten Konzert in Deutschland vor seinem Tod im September des gleichen Jahres deshalb in seinem Spiel auch die Geschichte der brasilianischen Musik Revue passieren. Ungebrochen in seiner Kreativität Themen zu verarbeiten, präsentierte er sich ein letztes Mal in dem Land, in dem er eine seiner tiefsten Lebenskrisen überwand. Teilweise hat man den Eindruck, er würde in seinem Spiel eine ganze Band ersetzen wollen. Er spielt teils wild drauf los, teils im abrupten Wechsel zwischen besinnlich und dynamisch und dadurch immer spannend und überraschend. Den Klassiker „Garota De Ipanema“ präsentiert er beispielsweise nicht relaxed swingend wie im Original, sondern eher wie einen wuchtigen Samba. Bei „Asa Branca“ verfährt er genau anders herum. Die berühmte tänzelnde Forró-Melodie taucht nur andeutungsweise in seiner Interpretation auf. Er geht sie ruhig an, um dann davon zu galoppieren. Und zum Glück ist Powells Paradestück „Marcha Escosesa“ dabei, auf dem er eine schottische Dudelsack-Marching Band imitiert, die Snaredrum dabei mit übereinander geklemmten Saiten imitierend. Das fast zweistündige Konzert wird ungeschnitten präsentiert mit vielen, teils langen Ansagen Powells auf Portugiesisch. Die Aufnahmequalität ist gut, lediglich Powells Gesangsstimme klingt etwas zurückgemischt, aber er mochte eh nie seinen Gesang. Insgesamt ein umfangreiches, spätes Vermächtnis.
Hans-Jürgen Lenhart
|