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Benjamin Britten und der Wahnsinn des Systems
Info |
Künstler: Britten, Benjamin
Zeit: 25.03.2011
Ort: Düsseldorf
Veranstalter: Rheinoper
Fotograf: Copyright Rheinoper
Internet: Rheinoper
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Billy Budd ist keine Oper, die sich von selbst inszeniert. Zwar haben Benjamin Britten und seine Librettisten E. M. Forster und Eric Croizer die Vorlage, eine Novelle von Herman Melville, sehr geschickt für die Bühne eingerichtet. Die Handlung wird durch schnelle Szenenwechsel ständig vorangetrieben. Doch der Dynamik der Aktionen steht eine gewisse Statik der Charaktere gegenüber: Da ist auf der einen Seite der junge, schöne Seemann Billy Budd, die Verkörperung von Unschuld, Reinheit und Güte. Und auf der anderen Seite steht der diabolische Schiffsprofos John Claggart, ein Abgrund an Boshaftigkeit. Zwischen diesen beiden Polen ringt die eigentlich tragische Gestalt der Oper um Klarheit und Wahrheit: Kapitän Vere, ein im Grunde wankelmütiger Charakter, der sich als „Starry Vere“ von der Manschaft verehren lässt, schöngeistige antike Klassiker studiert und die Drecksarbeit lieber seinen Offizieren überlässt.
Keine dieser Figuren taugt zur Identifikation. Im Mikrokomos des englischen Kriegsschiffes, auf dem diese Archetypen aufeinandertreffen, läuft es geradezu zwangsläufig auf die finale Katastrophe zu: Billy Budd muss sterben, damit das System mit all seinen Lügen und verdrängten Gefühlen überleben kann. Eines dieser verdrängten Gefühle ist die latente Homoerotik. Das Verbrechen Billy Budds ist nicht Meuterei, derer er von Claggart angeklagt wird, sondern dass er bei diesem und allen anderen Männern der „Indomitable“ mehr oder weniger bewusste Gefühle weckt, die mit dem mörderischen Kriegshandwerk unvereinbar sind. Claggart erkennt dies sofort: der begehrenswerte Budd bedroht seine private Hölle und muss vernichtet werden. Vere kann sich seine mehr als nur väterlichen Gefühle dagegen nicht so einfach eingestehen – er entledigt sich der Wahrheit, die ihm durch Budd offenbar wird, durch die rigorose Anwendung des Kriegsrecht.
Die reine Männerbesetzung hat Britten durch ein großes, farbenreiches Orchester ausbalanciert, in dem, wie schon in Peter Grimes, das Meer als hintergründige Macht Gestalt gewinnt. Auf seinen Wogen erscheinen die Leidenschaften und Schicksale der Menschen wie flüchtige Schaumkronen.
In der Inszenierung von Immo Karaman und unter der Leitung von Peter Hirsch geriet die Premiere zu einem großen Erfolg. Die völlig durchorganisierte Welt des Kriegsschiff wurde durch eine strenge, ritualisierte Choreographie (Fabian Posca) sinnfällig gemacht, die auch die gesamte Statisterie und die Bühnenarbeiter miteinbezog. Die Bühne selbst besteht aus mobilen Wandelementen, deren Beweglichkeit und Wandlungsfähigkeit geradezu filmreife Sequenzen ermöglicht. Man bewegt sich sozusagen mit den Akteuren durch das Schiff, das sich dabei immer mehr als ein verwirrendes Labyrinth entpuppt. So wird die Bühne geradezu zu einem weiteren Akteur, der die Schizophrenie des Systems perfekt verkörpert: äußerlich Kontrolle, Drill und totale Verplanung, innerlich Undurchschaubarkeit, Auflösung und die Macht des Verdrängten.
Die vorzüglichen sängerischen wie schauspielerischen Leistungen der Akteure ließen aber nie vergessen, dass die Bühnenmaschine selbst nur ein Spiegel der menschlichen Dramen ist. Herausragend die differenzierte Darstellung des Vere durch den Tenor Raymond Very. Sami Luttinen gab den John Claggart mit nachtschwarzem Bass, ohne diese düstere Figur zur Karikatur werden zu lassen. Der Bariton Lauri Vasar sang Billy Budd mit einer Hingabe und Leidenschaft, die der reinen Güte in jedem Moment Glaubwürdigkeit verlieh. Auch die übrigen Figuren überzeugten stimmlich wie darstellerisch. Besonderes Lob verdienen auch den Herren des Chors für ihre souveräne, schlagkräftige Darbietung des gewichtigen Chorparts.
Obwohl das Thema es nahelegt, bestand praktisch nie die Gefahr einer pathetischen Überfrachtung – da ist schon die Klarheit von Brittens Musik vor, die zwar atmosphärisch ist, aber kaum einmal in die romantische Ausdruckskiste greift. Von daher wirkte eigentlich nur das Händeringen Veres im Prolog und Epilog überzogen theatralisch. Irritierend auch, dass hier eine stumme Frauenrolle einbezogen wurde: Veres arg frustierte Pflegerin scheint sich doch mehr dem Votum der Frauenbeauftragten denn inszenatorischer Notwendigkeit zu verdanken. Dass dieser Kapitän nur durch den Segen eines jungen Seemann aus seinen Nöten erlöst werden kann, versteht man auch so …
Georg Henkel
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