Musik an sich


Reviews
Gubaidulina, S. (Rilling)

Johannes-Passion & Johannes-Ostern (Fassung 2006 in dt. Sprache)


Info
Musikrichtung: Neue Musik Oratorium

VÖ: 15.10.2007

Hänssler Classic / Naxos CD (AD DDD live 2007) Best. Nr. 98.289

Gesamtspielzeit: 121:39



GEGEN DEN STRICH

Auch nach mehrmaligem Hören habe ich keinen Zugang zu diesem Werk gefunden. Das hat nichts damit zu tun, dass es sich bei Sofia Gubaidulinas Doppeloratorium Johannes-Passion & Johannes-Ostern um neueste Musik handelt. Es ist einfach so, dass mich die musikalische Sprache der von mir ansonsten geschätzten Komponistin in diesem Fall durchweg auf Distanz gehalten hat.
Also: Die Idee, sich die Passions- und Osterberichte aus dem Johannesevangelium mit der (nicht vom selben Verfasser stammenden, aber ihm traditionell zugeschriebenen) Johannesoffenbarung durchkreuzen zu lassen, ergibt eine dramaturgisch wie theologisch perspektivreiche Vorlage. Die Entfaltung eines kosmischen, Himmel und Erde verbindenden Geschehens ist wie geschaffen für den hier aufgebotenen großen, dabei sehr ökonomisch eingesetzten Apparat: vier Solisten, Doppelchor, reich besetztes Orchester.

Aber die Musik dazu fand ich fast durchweg forciert, ja gekünstelt (wobei ich mich sonst für solche Grenzüberschreitungen sehr erwärmen kann). Vor allem die für mich nicht nachvollziehbar dräuende und gepresste Deklamation der biblischen Texte durch den Solobass hat mir den Zugang zum Geschehen geradezu verstellt. Immer wieder wird die Bedeutung der Worte durch die penetrant überakzentuierten Konsonanten, knurrige Vokale und eine gegen den Strich gebürstete Sprachmelodie vordergründig überlagert.
Der Sinn dieser Verfremdung hat sich mir nicht erschlossen. Handelt es sich um eine moderne Lesart des altslawischen Kirchengesangs? Sollten der Vorlage tiefere Sinnschichten abgelauscht werden? Ging es rein musikalisch um einen Kontrast zu den sinnlichen, kirchenmodalen Wendungen, in denen die Chöre simultan dagegen singen? Oder handelt es sich schlicht um ein Interpretationsproblem? Beim Bariton war die Wirkung auf jeden Fall moderater, während der gellende Einsatz des Tenors z. B. bei den Worten vom Wahren Weinstock wieder den Eindruck hinterließ, dass ein stimmiger (kompositorischer) Ton verfehlt wurde. Ich brauche da wirklich nicht das liebe Jesulein oder postmoderne nazarenische Ikonen, aber hier klingt es mehr wie die Drohung eines religiösen Fanatikers – aus den Worten spricht für mich jedoch jemand anderes.

Vielleicht ist mir die religiöse Mentalität der Komponistin auch einfach fremd. Wirklich überzeugend habe ich nur den Teil „Gang nach Golgotha“ empfunden, der ein in seiner Vielstimmigkeit und langsamen musikalischen Spannungssteigerung großartiges biblisches Panorama entwirft.
Auf Dauer hat mich aber der weniger „offenbarende“ als apokalyptische Grundton des Werkes mit seinen horriblen Blech-, Orgelbass- und Schlagzeugentladungen ermüdet; zu viel schien da auf geheimnislose Weise eindeutig, bloß pathetisch, händeringend. Als wenn dem Tod und der Auferstehung Jesu nur noch durch permanente Pointierung und Theaterdonner beizukommen sei. Selbst die gar nicht wenigen lichten Momente der Partitur haben etwas Holzschnittartiges, z. B. Glöckchengeläute und die Alleluja- und Heilig-Rufe des Chores bei der Himmlischen Liturgie. Und beim Einsatz des mit maximaler Anspannung in höchsten Lagen geführten Solosoprans kippt das Lichte dann auch schnell wieder ins Grelle. Nicht die Dissonanzen an sich sind problematisch, sondern dass sie hier in der Höhe wie in der Tiefe die gleiche graue, spukhafte Musik ergeben.

Auch der Einsatz von Helmut Rilling und seines engagierten Teams, dem SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, der Gächinger Kantorei sowie der vier Solisten hat mir das Werk nicht näher bringen können.



Georg Henkel



Besetzung

Julia Sukmanova, Sopran
Corby Welch, Tenor
Bernd Valentin, Bariton
Nicholas Isherwood, Bass

Gächinger Kantorei
SWR Radio-Sinfonieorchester Stuttgart

Ltg. Gächinger Kantorei


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