Brahms, J. (Haitink)
Sinfonie Nr. 2 / Doppelkonzert
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Info |
Musikrichtung:
Sinfonie
VÖ: 20.02.2004
LSO Live / Note 1 (CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. LSO0043)
Gesamtspielzeit: 74:51
Internet:
LSO Live |
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ROMANTISCHE (AN)SPANNUNG: HAITINK UND DAS LSO SPIELEN BRAHMS Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen. Oder so ähnlich. Als die großen Klassik-Label beim ebenso aufnahme- wie musizierfreudigen London Symphony Orchestra wegen Katalogüberfüllung und Klassik-Krise abwinkten, gründete man kurzentschlossen ein eigenes Label: LSO Live. Der Name ist Programm: Es spielt das LSO "live in concert". Schwerpunkt ist die große romantische Orchester-Literatur von Beethoven bis Mahler. Musiziert wird unter diversen Dirigenten, in der Hauptsache aber unter dem derzeitigen Orchesterchef Sir Colin Davis (seit 1995), mit dem man unter anderem einen neuen Berlioz-Zyklus erarbeitet. Sämtliche Aufnahmen werden zu sehr günstigen Konditionen angeboten und fahren, man höre und staune, inzwischen sogar Gewinne ein.
Für eine neue Gesamteinspielung der vier Sinfonien von Johannes Brahms hat sich das LSO mit Bernhard Haitink zusammengetan. Projektstart ist ein Konzertmitschnitt vom Mai 2003, bei dem die 2. Sinfonie, sekundiert vom Doppelkonzert für Violine und Cello, auf dem Programm stand. Das Ergebnis ist eine insgesamt eindrucksvolle, in mancher Hinsicht auch ungewohnte Darbietung, die durchaus versucht, diesem Standardrepertoire neue interpretatorische Spielräume zu erschließen. Vor allem im schwierigen Doppelkonzert sorgt der vibrierende, energiegelandene Ton der "LSO-Frontmänner" Gordan Nikolitch und Tim Hugh für Spannung. Das Konzertieren der beiden artet in den schnellen Passagen der Ecksätze mitunter in ein regelrechtes Duell aus, wobei Nikolitch mit seinem körnig und scharf artikulierten Celloklang und Hugh mit dem sanglichen, feinziselierten Ton seiner Violine jeweils ganz individuell die expressiven Extreme ausloten. Nikolitchs Attacke mag man - auch angesichts der hohen spieltechnischen Anforderungen - vielleicht als zu hemdsärmelig empfinden; auf jeden Fall sorgt er in einigen Passagen für ein phantastisches Kolorit.
Die 2. Sinfonie, gemeinhin als die "entspannteste" und optimistischste der vier bekannt, wird von Haitink ungewöhnlich straff und (bis auf das verspielte Allegretto grazioso des 3. Satzes) nicht gerade als erholsame "Pastorale" inszeniert: Es geht mit Leidenschaft zur Sache, aber ohne die erwartete romantische (?) Innigkeit und manchmal fast schon zu sehr skandierend. So einen Zugriff hätte ich eigentlich eher von J. E. Gardiner mit seinem "historisierenden" ORR erwartet. Bei Haitikink kommen dann aber trotz aller Gelenkigkeit die ruhigen, elegischen Passagen im Eröffnungssatz etwas zu kurz - dafür lauern hier plötzlich überall latente Konflikte; auch das Adagio hält der Dirigent unter dieser Spannung, wenngleich es von den Streichern des LSO wunderschön ausgesungen wird. Verglichen z. B. mit Karajans hochglanzpolierter Einspielung vom Ende der 70er Jahre, klingt bei Haitink vieles rauher und ungebärdiger. Nicht von ungefähr erreicht der Dirigent mit seinem spannungsvollen Ansatz denn auch beim Finale der Sinfonie die größte Dichte und vorwärtsdrängende Geschlossenheit: Dort türmt sich Brahms sinfonische Landschaft zu einem schwindelerregenden Klangmassiv auf, bei dem gegen Ende dann vor allem die massiven Bläserfanfaren des LSO über dem rasanten Wellenritt der Streicher beeindrucken. Bis auf das zu kompakte Klangbild ist kein Tribut an die Live-Aufnahme zu entrichten: Es gibt keine störenden Nebengeräusche.
Georg Henkel
Trackliste |
01-03 Doppelkonzert für Violine und Cello 33:35 04-07 Sinfonie Nr. 2 41:11 |
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Besetzung |
Gordan Nikolitch (Violine) Tim Hugh (Cello)
London Symphony Orchestra
Ltg. Bernard Haitink
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