Niels Frevert über alte Zeiten und persönliche Freiheiten.
Drehen wir einmal am Zeitrad. In den Jahren von 1991 bis 1995 gab es eine Band, die nannte sich „Nationalgalerie“. Diese vier Hamburger Jungs machten Rockmusik mit anspruchsvollen deutschen Texten. Und zwar so gut, dass sogar, das damals noch ausschließlich in Englisch geführte, MTV auf die junge deutsche Band aufmerksam wurde und ihr Video zu „Evelin“ in die Playlist aufnahm. Der große Durchbruch war nahe. Nach vier klasse Alben trennte sich die Band jedoch 1996. Sänger und Songschreiber Niels Frevert veröffentlichte im Jahr danach sein erstes Soloalbum, welches in der Musikwelt zwar sehr gute Kritiken einheimste, dennoch aber eher ein Insidertipp blieb. Sechs Jahre lang war es still um Niels Frevert, doch untätig war er keineswegs. Er schrieb Songs für sich, aber auch für Kollegen wie Thomas Kuhn, Marlon, Heinz Rudolf Kunze und die Paul Dimmer Band. Im Herbst 2003 war es dann soweit, Niels veröffentlichte sein zweites Soloalbum „Seltsam öffne mich“ und damit eine der Perlen des Jahres.
MAS: Ursprünglich sollte „Seltsam öffne mich“ schon früher veröffentlicht werden, was war der Grund für die Verschiebung?
NIELS: Ich hatte bereits fertige Aufnahmen für ein Album zusammen, doch irgendwie passten diese älteren Songs nicht zu meinen neu geschriebenen Liedern. Deshalb sind auf „Seltsam öffne mich“ überwiegend die neuen Songs drauf. Die anderen Aufnahmen packte ich auf die schwarze EP. (die schwarze EP ist bei der Limited Edition von „Seltsam öffne mich“ dabei. Anm.d.Red.)
MAS: Mit der Nationalgalerie hattest du einen Plattenvertrag bei einem Majorlabel und Auftritte vor großem Publikum. Heute dagegen spielst du in kleinen Clubs, blickst du mit Wehmut zurück?
NIELS: Budget für Plattenaufnahmen und Videos. Erste Klasse Bahncard und Airplay auf MTV, herrlich! Nein, ich blicke nicht mit Wehmut zurück. Mit der Nationalgalerie, das war wirklich etwas ganz besonderes, so ohne Image und Lobby. Doch irgendwann waren wir keine Band mehr und haben beschlossen uns zu trennen.
MAS: Es war dir damals klar, dass du als Solokünstler wieder ganz am Anfang stehen würdest?
NIELS: Weiter Musik zu machen bedeutete noch mal von vorne anzufangen. Es geht ja um die Musik und ich glaube man kann es hören, dass ich nicht irgendeinem Erfolg von früher hinterher renne.
MAS: Du hast nun bei dem kleinen aber feinen Hamburger Label „Tapete Records“ ein neues Zuhause gefunden. Wie kam es zu dieser Verbindung?
NIELS: Ich war bereits bei den ersten Überlegungen und Treffen zur Gründung des Labels mit dabei. Es war aber ziemlich schnell klar, dass ich nicht genügend Zeit haben würde, mich ausreichend darum zu kümmern, jedenfalls nicht so wie ich es gerne gewollt hätte.
MAS: Was hat dich am Tapete Konzept überzeugt?
NIELS: Da es ein sehr songorientiertes Label ist, gibt es mir die Freiheit Dinge zu tun und lassen wie ich es möchte.
MAS: Bei deinem Konzert in Stuttgart hatte man zeitweise das Gefühl, als würdest in Gedanken mit einer Band auf der Bühne stehen. Kannst du dir vorstellen noch einmal ein Bandprojekt zu starten?
NIELS: Es ist mir jede Minute bewusst, dass ich alleine auf der Bühne stehe. Bestimmt wird es auch wieder Tourneen mit einer Band geben, aber ich bin ganz zufrieden unter meinem Namen zu veröffentlichen und meine Entscheidungen zu treffen.
MAS: Du schreibst ja schon immer konsequent deutsche anspruchsvolle Texte. In jüngster Zeit kommen immer mehr interessante deutsche Acts nach. Siehst du da einen Trend?
NIELS: Es gab schon immer eine Menge interessanter deutsch-sprachiger Acts. Die Frage ist eher, wie viel Platz denen im Radio und im Fernsehen eingeräumt wird, um auf sich aufmerksam machen zu können.
MAS: Es wurden ja auch schon Stimmen laut, die eine Quote für deutsche Musik im Radio forderten. Würdest du dies befürworten?
NIELS: Das mag verlockend klingen, aber ich möchte nicht, dass meine Musik im Radio gespielt wird, weil es ein Gesetz vorschreibt. Es gibt ja auch bereits einige Stationen, die sich mehr um Inhalte kümmern, als um den vermeintlichen Massengeschmack. Egal ob die Inhalte nun aus Deutschland kommen oder aus irgendeinem anderen Land.
MAS: Wann kommen dir die besten Ideen für neue Songs und wo holst du dir deine Inspirationen?
NIELS: Das wüsste ich auch gerne, aber es ändert sich ständig.
MAS: Was kommt zuerst, Musik oder Text?
NIELS: Im günstigsten Fall beides gleichzeitig. Ansonsten zuerst die Musik.
MAS: Dich umgibt der Hauch des Intellektuellen, die Fans erwarten hochkarätige Lyrik von dir. Bedeutet dies für dich eher Druck oder Ansporn?
NIELS: Zum Glück nur ein Hauch. Die Leute, die sich für meine Musik interessieren erwarten Dinge, die sie entdecken können, aber nicht müssen.
MAS: Angenommen Niels Frevert wäre heute 18 Jahre jung und wollte unbedingt Musiker werden. Könnte man ihn in einer Casting Show im TV sehen?
NIELS: Ganz bestimmt nicht. In Casting Shows werden Interpreten gesucht, aber keine Sänger und Songschreiber.
MAS: Es gibt Songs, die begleiten einen durch bestimmte Lebensabschnitte. Wer schrieb den Soundtrack zu deinem Leben?
NIELS: Ich finde genau darum geht es in der Musik, zu begleiten. Im Zeitraffer wären dies: AC/DC, Dead Kennedys, Fehlfarben, The Clash, The Smiths, Elvis Costello, The Replacements, Talk Talk, Radiohead, ELO, Simon and Garfunkel und viele andere mehr.
MAS: Wer sind deine persönlichen Vorbilder?
NIELS: Im Sinne von irgendetwas zwischen interessiert beobachten und bewundern: Nabokov, Lennon, Fassbinder, Roth, Westerberg, Reiser, Maradona. Die Aufzählung ist allerdings unvollständig.
MAS: Hat der Niels Frevert ein Lebensmotto?
NIELS: Wat dem Eenen sin Ul, is dem Andern sin Nachtigall.
MAS: Welche Platten liegen bei dir momentan ganz oben auf dem Stapel?
NIELS: The Strokes, Kings of Convenience, Paul Dimmer Band, Johnny Cash und die Dixie Chicks.
MAS: Du bist gerade auf einer Party. Welche Musik würde dich dazu veranlassen sofort zu gehen.
NIELS: Meine eigene Musik.
MAS: Die berühmte Inselfrage: Welche Dinge und Personen müssten unbedingt auf das einsame Eiland mit?
NIELS: Bücher, Schreibblock, Martina Gedeck, Gitarre und Getränke.
MAS: Wo siehst du dich in fünf Jahren?
NIELS: Auf der Bühne und im Studio.
MAS: Die Fragerei hat ein Ende. Herzlichen Dank und alles Gute für deine weiteren Projekte.
Das Interview führte Jutta Hinderer
Niels Frevert privat | Geboren am: 08.11.1967 Geburtsort: Hamburg Schule, Zivildienst. Danach als Kellner gearbeitet und in Diskotheken gejobbt. Immer gerade soviel, dass er davon leben konnte und um Musik zu machen. Von 1991 bis 1995 Mitglied der Band "Nationalgalerie". Trennung 1996. Seit 1997 ist er als Solokünstler tätig. Niels Frevert ist ledig und Vater einer Tochter. |
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