Er hat sich einige Zeit gelassen, nach dem Split von Selig eine eigene
Platte aufzunehmen.
Zählt man einen englischsprachigen Soundtrack von 2001 nicht mit, sind
nunmehr gut 4 1/2 Jahre ohne musikalisches Lebenszeichen von Plewka ins
Land gegangen.
Der ehemalige Selig-Mitstreiter Christian Neander war in der gleichen
Zeit mit seiner neuen Band Kung Fu ungleich aktiver.
Was bietet die Platte also.
Durchwachsenes. Nein, sind wir ehrlich: Beim ersten Hören gefiel sie mir
überaus gut.
Es wird einem noch einmal klar, wie wichtig Plewkas Texte für Selig waren.
Nach wie vor geht kaum jemand so virtuos mit der deutschen Sprache um
wie Jan Plewka.
Erst jetzt, wo man wieder Neues von ihm hört, fängt man an, diese
Ausdruckskraft im Nachhinein zu vermissen.
Vielleicht hat der Mann auch einfach die 4 1/2 Jahre gebraucht, um Leute
zu finden, die den musikalischen Teil kongenial mit und für ihn
umsetzen. Denn ein Blick ins Booklet klärt auf: Alle Texte (bis auf den
zu "Déjà Vu") von Plewka, alle Musik (bis auf die zu - richtig - "Déjà
Vu") von Marco Schmedtje. An zwei Stücken war Plewka musikalisch
zumindest beteiligt.
Das Album beginnt leise. Sehr leise. Mit sehr leisen (!) und entfernten
Didgeridoo-Klängen und etwas, was man wohl am besten als kaum hörbare
Spoken-Word-Performance bezeichnen kann. Erinnert ein bisschen an die
Ambient-angehauchten Stücke vom letzten Selig-Album Blender.
"Still, weit und weg" - die Single. Jo. Ganz geil. Nicht DAS Überlied
aller Überlieder, aber ganz geil, und das heisst ach schon einiges. Wie
fies, hier jetzt ständig Selig-Vergleiche rauskramen zu müssen, aber
ganz im positiven Sinne hätte die Nummer auf jedes Selig-Album gepasst
und wäre dort auch positiv aufgefallen.
Eingestreut finden sich schöne Balladen ("Leise kehrt die Welt zurück"),
die sich aufs beste mit den Uptempo-Nummern ("Das schönste Mädchen
Europas") vertragen.
Und die hören sich oft gar nicht so sehr nach der Ex-Band an. Ich höre
eher hie und da Anleihen in Gesang und Musik an Rio Reiser ("War da alles").
Irgendwie hört man bei wiederholtem Zuhören sowieso einige Zitate -
wohlgemerkt, nichts aufdringliches, mehr so versteckt, wie im
Hintergrund stattfindende Gags bei den Simpsons. Das Klavierintro von
Midnight Oils "Truganini" (das schon - vom Oils-Keyboarder selbst - in
Silverchairs "Anthem for the Year 2000" zitiert wurde), findet sich
ebenso wie ein von "Creep" (Radiohead) bekannt vorkommender
Gitarreneinsatz und ein entfernt klingendes Keyboard, das ich im Moment
irgendwo zwischen Seal und Savage Garden ansiedeln würde. All Zitate
sind dabei nicht aufdringlich, passen in Konzept und Stimmung der Songs
und gehen insofern i.O. [Nächste Frage ist, ob hier nicht der Autor
unter Verfolgungswahn leidet und diese Zitate womöglich nicht einmal
bewusst eingesetzt wurden.]
Beim ersten Durchlauf gefällt all das sehr gut.
Und die schönen Momente bleiben auch nach dem 10. Mal schön. Leider hält
auf die Dauer nicht jedes Stück dem wiederholten Hören stand.
"Exestentiell" zum Beispiel. Ein Duett, was man am Anfang toll findet.
Sanfte Frauenstimme, rauer jan Plewka, das hat Spannung, das kann
eigentlich nur gut gehen. Mit der Zeit stellt man aber fest, dass die
musikalische Untermalung dem einfach nicht gerecht wird. Das wirkt auf
Dauer etwas seicht. Zumal Jan sich in diesem Lied leider alle Mühe gibt,
nicht zu rau zu klingen.
Fazit: Ein angenehmes Album. Und das heisst schon etwas, nachdem -
leider auch für diesen Artikel - schließlich immer noch die ehemalige
Band scheinbar übermächtig und unübertreffbar im Hintergrund steht.
Und: Obwohl ich auch Blender durchaus mag, hat Zuhause, da war ich schon
den Vorzug, sich sehr viel offener und gelöster anzuhören. Songwriting
und Produktion von Blender klangen in meinen Ohren zwischendurch arg
klaustrophobisch (obwohl auch hier Franz Plasa für die Produktion
zuständig war). Hier hat jemand offensichtlich Spaß an dem, was er tut,
und das vermittelt er, ohne dabei in fiesen Happy-Pop abzugleiten. Naja,
"Ich halt' dich fest" ist fast Happy-Pop. Aber eben nur fast.
Dickes Aber am Ende, das aber nichts mit dieser Platte selbst zu tun
hat. Ich frage mich, was Jan Plewka beim nächsten Album vorlegen will,
wohin die Entwicklung gehen soll. Selig haben sich von Album zu Album
weiterentwickelt, am deutlichsten von Hier zu Blender. Diese
Weiterentwicklung macht jede Band spannend. Und diese Weiterentwicklung
hat bei Plewka seit 1997 sicher stattgefunden. Nur eben in kleinerem
Maße als man für möglich gehalten hätte. Das Ergebnis gefällt mir gut,
nur schleichen sich zwischendurch Zweifel ein, die fragen, wie viel
kreatives musikalisches (nicht lyrisches!) Potenzial Plewkas
Studiomannschaft (mit der er jetzt auch auf Tour geht) für zukünftige
Platten noch hat. Aber positiv überraschen lasse ich mich da natürlich
gerne.
15 von 20 Punkte
Bezugsmöglichkeiten:
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