Leather
II
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Die Titelgebung dieser CD läßt das Vorhandensein eines ersten Leather-Albums vermuten, und diese Kombination trifft denn auch ins Schwarze. Allerdings liegen zwischen diesen beiden Werken rund 30 Jahre: Shock Waves, die erste Leather-Scheibe, erschien im Jahr 1989, als Catherina „Leather“ Leone noch Mitglied bei Chastain war, was sie dann noch bis 1992 blieb, bevor sie für zwei Jahrzehnte aus der harten Musik verschwand und erst 2013 wieder mit David T. Chastain gemeinsame Sache zu machen begann. Ab 2015 agierte sie zudem als Solokünstlerin, zunächst unter dem vollen Namen Leather Leone, bald aber wieder verkürzt als Leather – sie hatte in Südamerika Fuß gefaßt und in Brasilien eine neue Band zusammengestellt, so dass man Leather als Bandname zu reaktivieren beschloß, obwohl anno 1989 keine eigentliche Band dahintergestanden hatte, sondern es sich mehr um ein Soloprojekt der Sängerin mit angeheuerten Musikern aus dem Chastain-Umfeld handelte (und David T. Chastain selbst hatte das Album produziert und auch die meisten Songs geschrieben). Das ist bei der neuen Scheibe offensichtlich anders: Die beiden Gitarristen Daemon Ross und Vinnie Tex haben, zumeist gemeinsam mit Leone, alle Songs geschrieben, und das Ganze scheint somit durchaus ein richtiges Bandfeeling aufzuweisene, zumal mittlerweile auch die Arbeiten am dritten Album laufen – und das alles offensichtlich ohne Beteiligung von David T. Chastain.
Bleibt dann allerdings noch die spannende Frage, was uns in den 47 Minuten denn für Musik erwartet. Die Antwort gibt bereits der Opener „Juggernaut“ mit seinem beinharten und sauschnellen, aber stets melodisch bleibenden und gut strukturiertem Power Metal, und auch wenn seine Tempolage in den weiteren zehn Songs kaum noch erreicht wird, so bleibt die powermetallische Grundausrichtung doch über die ganze Zeit erhalten. Aus dem strukturellen Rahmen fällt lediglich das epische, teils ins Balladeske herunterschaltende und mit Gastkeyboards von Bruno Sa ausstaffierte „Annabelle“, das mit knapp sechs Minuten auch den längsten Song der CD darstellt und dramaturgisch geschickt genau in der Mitte des Albums plaziert wurde. Ansonsten bleibt das Tasteninstrument komplett ausgeschaltet, was dem metallischen Puristen, der Keyboards im Traditionsmetal für eine Seuche hält, sicherlich runtergehen wird wie Öl, zumal man nirgendwo das Gefühl hat, hier oder da hätte ein Keyboardteppich der Atmosphäre vielleicht gut getan – die Bridge in „Hidden In The Dark“ beispielsweise stellt unter Beweis, wie man einen solchen atmosphärischen Effekt auch mit Gitarren hinbekommt. Nur das neoklassische Element bleibt dadurch auf II komplett abwesend, zumal sich die beiden Gitarristen von diesbezüglichen Skalen fernhalten – also ein markanter Unterschied zum Chastain-Schaffen und somit wieder ein Beweis, dass man auch im 21. Jahrhundert noch interessante Metalscheiben einspielen kann, ohne gleich alle möglichen und unmöglichen Stilelemente in einen Topf werfen zu müssen. Natürlich schauen auch Leather und ihre Gitarristen mal über den Tellerrand des ganz puristischen Metals und lassen etwa in „The One“ die Gitarren ganz leicht angebluest agieren oder lenken „Black Smoke“ ein wenig in Richtung von Black Sabbath – vor allem das Hauptriff hätte auch Tony Iommi schreiben können. Ansonsten hat aber eine andere Band im Gitarrensound, vor allem bei den Rhythmusgitarren, den stärksten Einfluß hinterlassen, nämlich HammerFall, und da Oscar Dronjak bekanntlich wiederum maßgeblich Accept gehuldigt hat, läßt sich die Einflußlinie auch problemlos so weit zurückverfolgen. Das soll wiederum nicht bedeuten, dass wir mit II sozusagen eine verkappte Accept-Scheibe vor uns hätten, denn beispielsweise der erwähnte Opener „Juggernaut“ oder auch das gleichfalls recht flotte „Hidden In The Dark“ verwenden einen doch etwas abweichenden Gitarrensound, und auch die Soloarbeit hat überwiegend eher wenig mit Wolf Hoffmann oder den jeweiligen HammerFall-Leadgitarristen zu tun.
Mit einer gewissen Spannung wartet derjenige Hörer, der wie der Rezensent die 2013 respektive 2015 erschienenen Chastain-Scheiben Surrender To No One und We Bleed Metal nicht besitzt, dann allerdings noch darauf, wie sich denn die Stimme von Leather Leone entwickelt hat – die Allerjüngste ist die Chanteuse ja nun auch nicht mehr, hat sie doch bereits 1984 das erste Chastain-Demo eingesungen (und im gleichen Jahr übrigens Backings für Scratch And Scream von Trauma, der Prä-Metallica-Band von Cliff Burton, beigesteuert), und schon da war sie kein blutjunges Küken mehr, sondern bereits 25. „Juggernaut“ sieht sie noch mit der Findung der Sicherheit beschäftigt, aber die Richtung stimmt, und auf dem Gros der Scheibe weiß sie trotz naturgemäßer Alterserscheinungen der Stimme immer noch komplett zu überzeugen und neigt nur hier und dazu, gewisse Töne nicht mehr länger auszuhalten, obwohl der Songunterbau das an der Stelle durchaus zugelassen hätte, sondern nach hinten den Ton zu verkürzen, was sicherlich auch für Liveauftritte nutzbringend ist, wenn man von vornherein die Studiofassungen etwas schonender, aber nicht weniger ausdrucksstark anlegt. Jedenfalls übertreibt es die Sängerin nirgendwo mit der Rauhigkeit, wenngleich rein gesangsstilbedingt große Melodiebögen auch nicht vorgesehen sind, was die Eingängigkeit dann eher auf geshoutete Refrains fokussiert. Das ist dann auch ein bißchen das Problem von II: Die ganz großen Highlights, die aus einem gutklassigen ein richtig starkes Album machen, bleiben aus, obwohl etwa „American Woman“ beweist, dass Leone durchaus auch noch in die Höhe kommt, ohne dass man geneigt wäre, ihr ein Halsbonbon zu reichen – aber hier überzeugt der leicht zu unsortierte Songaufbau dann nicht ganz so, trotz richtig starker Soloarbeit. Seltsamerweise vermerkt die Encyclopedia Metallum, dass Patrick W. Engel das Mastering für die europäische Version des Albums erledigt habe – das dürfte die Version sein, die der Rezensent im Player hat (High Roller Records sitzen schließlich in Zwickau), aber das Booklet führt diesen Aspekt nicht an, sondern nennt fürs Mastering wie auch schon für den Mix das Hertz Studio in Polen, wo auch der Gesang aufgenommen wurde, während die Instrumente in Brasilien eingespielt wurden. Dieses editorische Rätsel muß vorläufig ungelöst bleiben – die High-Roller-Version des Albums überzeugt aber jedenfalls soundlich ohne Wenn und Aber, mit viel Power und doch auch viel Klarheit. „Give Me Reason“ schließt II auf abermals gutklassigem Niveau ab, und die Soloarbeit ist hier abermals richtig interessant – mit ihren beiden Gitarristen hat Leather Leone also offenbar richtig gute Fänge gemacht, und wenn sie jetzt auch noch als Songwriter ein bißchen reifen, könnte uns mit dem bereits in Arbeit befindlichen dritten Album ein richtiges Highlight ins Haus stehen, während bis dahin II wie beschrieben gleichfalls zumindest gutklassigen Traditionsmetal offeriert, der Antimodernisten prima reinlaufen dürfte.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Juggernaut | 3:15 |
2 | The Outsider | 4:31 |
3 | Lost At Midnite | 4:34 |
4 | Black Smoke | 4:41 |
5 | The One | 3:17 |
6 | Annabelle | 5:37 |
7 | Hidden Tn The Dark | 4:50 |
8 | Sleep Deep | 4:24 |
9 | Let Me Kneel | 3:53 |
10 | American Woman | 4:22 |
11 | Give Me Reason | 4:01 |
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Besetzung |
Leather Leone (Voc)
Vinnie Tex (Git)
Daemon Ross (Git)
Thiago Velasquez (B)
Braulio Drumond (Dr)
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