Elen

Blind Über Rot


Info
Musikrichtung: Pop

VÖ: 19.06.2020

(Vertigo Berlin / Universal)

Gesamtspielzeit: 41:08

Internet:

http://www.elenofficial.com


Es erregte sofort mein Misstrauen, als im Werbetrailer zu Blind Über Rot in höchsten Tönen vom Gesang geschwärmt, jedoch mit keiner Silbe auf die Musik eingegangen wurde. Im Endeffekt habe ich mir den zweiten Output von Elen vor allem deshalb angehört, um herauszufinden, ob meine Bedenken berechtigt waren. Und leider waren sie das. Sie sind es noch, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie am Anfang, als ich richtig erbost war.
Stinksauer bin ich immer noch auf die Macher. Die glauben offenbar, die Hörer und Käufer fressen jeden Mist, den sie ihnen gnädigerweise hinwerfen, dass sie die Wort mit derart belanglosen, beliebigen Klängen untermalen. Das hat Elen nicht verdient – und ich und jeder andere Hörer auch nicht.

Um meinen Ärger zu verstehen, höre man sich hiernach Egoschwein von der funkensprühenden Cynthia Nickschas an. Der Unterschied ist so groß, es ist geradezu grotesk! Andererseits äußern sich die Fans von Elen im Internet fast ebenso begeistert zu ihrer Musik wie zu den Texten, somit macht die Berlinerin wohl doch alles richtig. Das kann ich zwar nicht nachvollziehen, aber sei es drum.

Dennoch behaupte ich: Blind Über Rot hört man sich wegen der Texte an – obwohl die in anderen Rezensionen ebenfalls ordentlich Keile kassiert haben. Der dickste Minuspunkt: Die Stellen, in denen nicht gesungen wird, sind bestenfalls langweilig. Da man ohnehin nicht weiß, wie man diese „Lücken“ füllen soll – oder man weiß es, traut sich aber nicht, es umzusetzen –, sind sie auf ein Minimum reduziert. Das senkt das Risiko, sich zu blamieren und schont praktischerweise die nicht vorhandene Phantasie!
Das soll natürlich keiner merken, und so hat man diese Platte vorsätzlich in Stimmen ersäuft! Heerscharen von BackgroundsängerInnen und Chören bis hin zu den Golden Voices Of Gospel leisten ganze Arbeit und machen damit alles kaputt. Da KANN gar kein Platz für andere Dinge bleiben!

Als einer der wenigen Lichtblicke kämpft sich mit der Zeit das zweite Stück „Egal“ aus dem vokalen Sumpf heraus: Da passen endlich einmal die einzelnen Elemente, entsteht durch flirrende Synthie-Sounds tatsächlich so etwas wie Dynamik. Für die muss ansonsten Elen alleine sorgen. Alle Steigerungen kommen aus ihrem interessanten, rau-brüchigen Gesang. Gezwungenermaßen, denn die formelhafte Musik scheut Wechsel jeder Art wie Donald Trump die Wahrheit.

Darüber hinaus erweist der Werbetext der tapfer gegen die ständig drohende Tristesse Ansingenden einen Bärendienst, indem man in aller Bescheidenheit das größte Fass aufmacht, das man finden konnte: „Ihr deutschsprachiges Debüt setzt neue Maßstäbe in der Pop-Landschaft.“ Mal ganz davon abgesehen, dass diese Aussage schlicht nicht wahr ist – um nicht zu sagen glatt gelogen –, ist es eine bodenlose Frechheit, der Sängerin einen solchen Druck aufzuladen. Reicht es denn nicht, sie die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen?!

Immerhin bin ich durch Blind Über Rot auf Elens selbstbetiteltes, englischsprachiges Debüt von 2014 aufmerksam geworden. Darauf ist DEUTLICH eine Gitarre zu hören! Damit aber nicht genug: Der Gitarrensound ist kraftvoll und wunderschön! Obendrein sind die Songs besser. Musikalischer. Organischer. Spannender! Beim Anhören bekomme ich mehrere Male Gänsehaut! Bei Blind Über Rot kein einziges Mal... Obgleich die Machart der Songs auf beiden Alben sehr ähnlich ist, ist die Wirkung eine völlig andere! Wie kann man einmal fast alles richtig machen und beim nächsten Mal alles so was von versemmeln?!?

Das humorlose Fazit zu diesem unterdurchschnittlichen Machwerk, das gerne eine Sensation wäre: Zu viele Liedchen, zu wenig Lieder.



Michael Schübeler



Trackliste
1Liegen Ist Frieden3:24
2Egal2:47
3Hallo3:41
4Luftschlösser3:20
5Blind Über Rot3:38
6In Flammen3:28
75 Meter Mauern3:38
8Andere Arcaden2:53
9Gut Werden3:36
10Lass Uns Ja Nicht Drüber Reden2:49
11Die Nacht4:00
12Happy End3:54

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