Der ehemalige Jazz Messenger Valery Ponomarev hält die Erinnerung an Art Blakey aufrecht
Es ist gut zwanzig Jahre her, dass unser Mitarbeiter Wolfgang Giese und seine Frau den mittlerweile 78-jährigen sowjetrussischen Trompeter Valery Ponomarev bei einem Gastspiel mit seiner damaligen Band persönlich kennen gelernt haben. Wolfgang hatte den 1973 nach New York gezogenen Musiker bereits 1977 und 1979 als Mitglied der Talentschmiede von Art Blakey's Jazz Messengers live erlebt. Seit dem persönlichen Kennenlernen hat sich stetig eine tiefe Freundschaft entwickelt, die noch heute anhält. So hatten Wolfgang und seine Frau am 1.12.2019 endlich wieder die Gelegenheit, Valery bei einem Konzert in Jever über den sonstigen üblichen Kontakt hinaus persönlich zu treffen. Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie mussten leider weitere Tourneen ausfallen. Durch das daraus entstandene Mehr an Zeit war es nun möglich, dass sich Valery Ponomarev für ein Interview zur Verfügung stellte. MAS: Wo wurdest Du geboren und wo bist Du aufgewachsen? Valery: Ich wurde in Moskau geboren und bin dort auch groß geworden. MAS: Welche Musik haben Deine Eltern gehört, als Du jung warst, als Kind und auch später? Valery: Sie hörten klassische Musik, und populäre sowjetische Lieder/Musik und ein wenig Volksmusik. MAS: Welche dieser Musik hatte einen tiefen Einfluss auf Deine spätere Karriere? Valery: Nichts davon. MAS: Gab es einen Grund, Dir die Trompete als Instrument auszusuchen? Valery: Ich liebte das Trompetenspiel, das ist eigentlich alles. MAS: Hast Du auch andere Instrumente gespielt, und auch heute noch? Valery: Ein wenig Piano. MAS: Gab es bestimmte Bands oder Musiker, die einen großen Einfluss auf Dich hatten, als Du aufgewachsen bist? Valery: Eigentlich nicht wirklich jemand. MAS: Welche Einflüsse haben Dich später im Erwachsenenalter geprägt? Valery: Was mich wirklich stark beeindruckt hat, das war US-amerikanischer Jazz. Ich hörte echten Jazz im Radio bei der "Voice Of America Jazz Hour", moderiert von Willis Conover. Dort hörte ich dann unter anderem Clifford Brown und Max Roach mit dem Stück „Blues Walk" von Clifford Brown. Da wusste ich sofort, dass das die Musik war, die ich unbedingt spielen wollte. Ich war völlig aus dem Häuschen und konnte an nichts anderes mehr denken als an das, was ich gehört hatte. Da begann ich Jazz auf Tonbändern zu sammeln. Das erste Stück, mit dem ich mich beschäftigte, war „Moanin'" von Art Blakey & The Jazz Messengers. Das entsprechende Album wurde auch mein liebstes Album aller Zeiten. So sammelte ich weiter Jazz und studierte diese Musik auf den Bändern hart und intensiv. Schließlich hatte ich eine richtig gute Sammlung von Jazz auf Tonbändern. Langspielplatten waren in der UdSSR nicht erhältlich, aber ich schaffte es, mir einige auf dem Schwarzen Markt zu beschaffen. MAS: Kannst Du Dich an das erste Live-Konzert erinnern, das Du besucht hast, und wer war es? Valery: Ich kann mich an verschiedene Bands erinnern, die zu unterschiedlichen Anlässen spielten. Das waren nicht unbedingt Konzerte. Ich mochte sie wohl, aber es war nicht das gleiche, richtigem Jazz von amerikanischen Musikern zu hören. Da war ich noch recht jung. Aber später, in meinen frühen Zwanzigern, hörte ich in Moskau Musiker von Benny Goodman zusammen spielen während einer Tournee durch Russland. Das muss 1962 gewesen sein. (Anm.: Es war 1962. Davon zeugt die Platte von Benny Goodman Benny Goodman in Moscow, aufgenommen in genau dem Jahr.) Ein paar Jahre später führte der Weg Musiker wie das Charles Lloyd Quartett mit Keith Jarrett, Ron McClure und Jack DeJohnette nach Moskau. Später konnte ich auch mit ihnen zusammenspielen. Als ich dann in New York angekommen war (1973), hörte ich als erste Band das Horace Silver Quartett, die Art Farmer Group und das Sonny Rollins Quartett mit Walter Davis am Piano. MAS: Kannst Du Dich an die erste Art von Musik erinnern, mit der Du aufgetreten bist? Welche Musik war das und wann? Valery: Ich spielte zuerst Tanzmusik mit einigen amerikanischen Songs als Teil des Repertoires. MAS: Während Du noch in der UdSSR warst - spieltest Du in einer Band eines anderen Musikers oder hattest Du auch eine eigene Band? Valery: Etwa im Alter von 20 trat ich der Band von Vadim Sakun, dem Pianisten bei. (mit Andrei Egorov am Bass und Valery Bulanoff am Schlagzeug) Das Trio spielte grundsätzlich im legendären Youth Cafe in Moskau, das regelmäßig von Touristen besucht wurde. Das Trio wurde damals als das beste in der gesamten UdSSR angesehen. Das war ein tolles Aushängeschild für mich und eine gute Plattform zum Lernen. MAS: Gibt es bestimmte musikalische Idole für Dich?
Valery: Clifford Brown wird auf immer und ewig mein "Trompetenheld" sein, mein größter Einfluss und meine größte Lernquelle. Das gleiche gilt auch für Art Blakey & The Jazz Messengers. MAS: Warum und wann hast Du Dich entschieden, Dein Heimatland zu verlassen und wo bist Du in den Vereinigten Staaten zuerst angekommen? Valery: Zu jener Zeit, als ich schon ein wenig mehr gelernt hatte, musste ich einfach nach New York City gehen, um meine musikalische Ausbildung auszubauen und das Leben eines Jazz-Musikers zu leben. Als sich also die Möglichkeit ergab, habe ich nicht zwei Mal überlegt und bin einfach fort von Moskau. (1973) MAS: Welches war Dein erstes Engagement in den USA? Und mit wem hast Du dort zuerst gespielt? Valery: Nachdem ich in NYC angekommen war, hatte ich keine Probleme mit verschiedenen Bands in der Stadt zu spielen. Besonders fällt mir der Posaunist Matthew Gee ein, und der Bariton-Saxofonist Harold Cumberbatch. Später hatte ich die Möglichkeit, im "Five Spot", dem legendären Club in der East 8th Street, bei Art Blakey einzusteigen, und dann noch mit Horace Silver zu spielen, als ich zu den Proben des Quintetts eingeladen war. Bob Berg war damals der Tenorsaxofonist. MAS: Du hast ja eine Weile mit Art Blakey & His Jazz Messengers gespielt. Wie hast Du ihn kennen gelernt und für welche Zeit warst Du in seiner Band? Valery: Ich trat Art Blakey & The Jazz Messengers Ende 1976 bei. (Anm.: kennen gelernt siehe obige Frage, gespielt bis etwa 1980) MAS: Was für ein "Chef" war Art? War er ein grundsätzlich freundlicher Mensch? Valery: Der Beste, den man sich nur vorstellen kann. Er war stets gerecht, respektvoll und bereit, seine Weisheit und sein Wissen und seine Erfahrung mit seinen Mitspielern zu teilen.
MAS: Ich erinnere mich, in meiner Heimatstadt bei zwei Konzerten dabei gewesen zu sein, bei denen Du als Trompeter in Blakey's Band spieltest. Das war 1977 und 1979. Wart Ihr öfter hier in Deutschland? Und - hat es Dir jeweils gefallen? Valery: Ich liebte es, mit Art Blakey zu touren, und klar - ich liebte es auch, in Deutschland aufzutreten. In den vier Jahren mit den Messengers tourten wir etwa zwei Mal im Jahr in Europa. Deutschland stand jedes Mal auf dem Tourneeplan. Es war schon toll, dieses legendäre Land mit all den hübschen Städten wie Berlin, München, Stuttgart usw. zu sehen, Leute zu treffen und mit ihnen die Zeit zu verbringen und - mit der besten Band der Welt zu musizieren. Das war eine irgendwie unvorstellbare Belohnung. Nachdem ich die Messengers verlassen hatte, war ich viele Male in Deutschland auf Tournee und es gefiel mir immer. MAS: Gibt es bestimmte Musiker, mit denen Du eine Platte aufnehmen möchtest, und ggf. warum? Valery: Mit hat es immer Spaß bereitet mit allen Musikern, mit denen ich bereits spielte und Platten aufnahm. Und mit diesen würde ich gern weiter zusammenarbeiten. Darüber wäre ich unglaublich glücklich. Aber mein nächstes Projekt ist eine "Jazz Messengers Legacy Band". Die Besetzung des Sextetts ist bisher nicht abschließend bestätigt, aber es wird sehr nah an der Besetzung sein, mit der wir zuletzt vor den Schließungen wegen der Pandemie spielten. Ich werde es ankündigen, sobald wir dem Aufnahmetermin näherkommen. MAS: Gibt es einen bestimmten Song, den Du so richtig liebst und den Du gern selbst geschrieben hättest? Valery: Davon gibt es so viele, die komponiert und aufgenommen wurden. Einen, den ich mir wünschte, komponiert zu haben? Nein, darüber habe ich eigentlich nie nachgedacht. Aber wenn ich Musik für meine Band und für Aufnahmen komponiere, versuche ich stets, einen dauerhaften Eindruck für den Hörer zu schaffen, so wie es bei Songs wie „Moanin'", „I remember Clifford", „Along came Betty" etc. der Fall ist. Diese bekannten Stücke kann ich immer spielen, und dessen nie müde werden. Sie erwecken stets außergewöhnliche Emotionen und Gefühle von Schönheit, Weisheit, Aufregung, Stärke, Zuversicht, Wärme, Vertrauen usw.. Werde ich das jemals lernen, wäre das eine weitere Frage? MAS: Wenn Du Songs schreibst, stecken bestimmte Ideen oder Vorstellungen dahinter?
MAS: Welcher Deiner eigenen Songs ist Dein Favorit? Valery: Ich mag sie alle. Denn es macht keinen Sinn, etwas zu schreiben, das man nicht mag. MAS: Gibt es bestimmte Unterschiede zwischen dem Publikum in verschiedenen europäischen Ländern? Gibt es erhebliche Unterschiede zum amerikanischen Publikum? Welche Unterschiede sind besonders hervorzuheben und auffällig? Valery: Jazz erweckt in jedem Zuhörer immer Emotionen, überall auf der Welt, weil Menschen überall grundsätzlich die gleichen Gefühle haben. Daher wird Jazz überall geliebt. Vielleicht ist es in Amerika so, dass die Menschen eher an der Musik teilhaben. Aber in Europa ist es so, dass die Menschen zu einem Konzert ihre lange kulturelle Tradition mit einbringen. Das kann somit dazu führen, dass Viele etwas länger brauchen, weil Musik, insbesondere Jazz, ein kollektives Produkt ist, und es dauert, bis sie anfangen, mit den Händen zu klatschen und die Füße auf den Takten zwei und vier mitwippen lassen. Aber letztlich machen sie dann doch mit. MAS: Wie denkst Du darüber, wenn Du in einem Club spielst und die meisten im Publikum hören nicht wirklich der Musik zu und unterhalten sich stattdessen lautstark. Bist Du in der Lage, das zu ignorieren oder macht Dich das wütend? Wie löst Du solche Probleme? Valery: Wenn es dazu kommt, dann mache ich genau das, wie sich Art Blakey in solchen Situationen verhielt. Er ging dann zum Mikrofon, zeigte nicht unbedingt auf irgendjemanden, und sagte dann ganz höflich: „Aus Respekt vor dem Publikum und den Musikern auf der Bühne - bitte beschränken Sie ihre Unterhaltungen auf ein Minimum." Das wirkt immer!
MAS: Oftmals hört man, dass die Zeit für CDs und LPs vorbei ist und dass es bald nur noch Downloads gibt, um Musik zu konsumieren. Wie denkst Du darüber? Wird das eines Tages so eintreten? Und was wären die Konsequenzen für Dich als Musiker? Valery: Ich bin nicht sicher, wie Musik in der Zukunft verbreitet werden wird, aber Live-Musik, komponiert und dargeboten von Musikern auf der Bühne wird es letztlich immer geben. MAS: Ich las, dass Du gelegentlich in Moskau bist, um Jazz und Komposition zu lehren, speziell für junge Musiker/innen. Bereitet Dir das Freude? Welche Absicht steckt(e) dahinter und bist Du noch immer damit beschäftigt? Valery: Ja, vor der Pandemie besuchte ich Russland regelmäßig und ich hatte immer eine tolle Zeit. Ich betrieb dort auch eine Big Band. Viele großartige Musiker waren stets dabei, Jazz ist noch immer sehr beliebt, mittlerweile vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. MAS: Wie füllst Du die Lücke, die durch ausgefallene Konzerte wegen der Covid-19-Pandemie entstand? Gibt es in diesem Zusammenhang besondere Projekte, an denen Du arbeitest? Valery: Ja, ich übe noch eine Lehrtätigkeit an einer außergewöhnlich guten Schule aus, dem New Jersey Performance Art Center (NJPAC). Das Programm nennt sich Jazz For Teens (JFT). Das kann ich auch per Fernzugriff steuern, ohne dort zu sein. Diese Schule wird als die beste ihrer Art im ganzen Land betrachtet. Dann bereite ich noch mein neues Buch mit Zitaten und Aussagen von Art Blakey vor. Das Buch soll nun auch in russischer Sprache veröffentlicht werden. MAS: Gibt es zum Schluss noch irgendetwas Spezielles oder Ratschläge, die Du den Lesern von Musik An Sich mit auf den Weg geben möchtest? Valery: Ja, Covid wird hoffentlich bald der Vergangenheit angehören. "Just keep on swinging"! Wolfgang Giese |
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