Einmal Stonehenge und zurück: Martin Popoff kämpft sich durch zwei Jahrzehnte Black Sabbath
Martin Popoff zählt ohne Zweifel zu den umtriebigsten Autoren im hart rockenden Bereich. Seine Bibliographie am Ende dieses 2019 erschienenen Buches umfaßt 88 Bücher, davon je elf in den Jahren 2017 und 2018 (das muß man sich mal vorstellen: Zu nahezu jeder neuen MAS-Ausgabe wäre auch ein neues Popoff-Buch fertig), und die in seiner Kurzbiographie auf dem Rücktitel genannten 7900 Plattenkritiken lassen ernsthaft fragen, wann der Mann sich mal mit Tätigkeiten wie Essen und Schlafen beschäftigt. In der Bibliographie steht für 2006 auch ein Buch namens „Black Sabbath. Doom Let Loose“ verzeichnet, das allerdings schon längst vergriffen ist, so dass die Idee einer erweiterten Neuauflage geboren wurde. Die Erweiterung führte allerdings dazu, dass das neue Manuskript gleich mehr als dreimal so lang war wie das alte, und somit machte sich eine Aufspaltung notwendig. Ergo erschien 2018 zunächst „Sabotage! Black Sabbath in the Seventies“ und 2019 das vorliegende Werk über die Bandgeschichte in den Achtzigern und Neunzigern – und das läßt immer noch die Möglichkeit für einen dritten Band offen, der das Geschehen nach der Jahrtausendwende beleuchtet und dann sinnvollerweise auch das Bandkapitel Heaven & Hell einbeziehen sollte. Dem Rezensenten ist allerdings weder das 2006er noch das 2018er Buch aus eigener Anschauung bekannt, und er besitzt auch ansonsten kein Popoff-Buch, auch nicht das 2009 in Deutsch erschienene und sicherlich auf dem 2006er beruhende „Black Sabbath. Hohepriester des Doom“, kann also ausschließlich anhand des Eindrucks des hier vorliegenden Werkes urteilen. Nach drei Seiten Einleitung mit einer Handvoll eher struktureller Infos geht der Autor gleich in die Vollen: Das Buch ist chronologisch sortiert, und jedes Album bekommt ein Kapitel – folglich ist Heaven And Hell das im ersten Kapitel behandelte Werk, und das ist mit 46 Seiten doppelt so lang wie die anderen. Das liegt erstaunlicherweise gar nicht so sehr daran, dass etwa die Geschichte der Trennung von Ozzy Osbourne sonderlich ausführlich behandelt würde – selbiges geschieht offensichtlich am Ende des Vorgängerbuches und wird hier nur nochmal eher knapp angerissen, sozusagen als Vorgeschichte der Situation, in der sich Tony Iommi, Geezer Butler und Bill Ward 1979 wiederfanden. Diese Situation allerdings findet ausführliche Beleuchtung von allen möglichen und unmöglichen Seiten – schließlich war das seinerzeit durchaus eine brennende Frage: Geht das überhaupt, Black Sabbath ohne Ozzy? Und wenn ja, dann wie? Butler verneinte die Frage für sich selbst vorerst und zog sich gleichfalls zurück, Ward hatte andere Probleme, und so blieb es an Iommi hängen, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Das tat er bekanntlich, indem er Ronnie James Dio in die Band holte – der erste Schritt für ein Stehaufmännchendasein, das das Bandschaffen in den hier im Buch behandelten zwei Jahrzehnten maßgeblich prägen sollte: Egal wer auch immer die Band verließ, Iommi fand irgendwie immer eine Lösung, und mit etwas Altersweisheit ließ sich so manches Problem früherer Jahre auch etwas gelassener betrachten. So ganz nebenbei entstand eine ganze Reihe hochklassiger Platten, die einer neuen Generation Metalfans den Weg zur harten Musik ebneten und nicht mehr in den Siebzigern, sondern klar in den Achtzigern zu verorten waren, was zwingende Voraussetzung für diese Rolle war. Allen voran ist da natürlich Heaven And Hell zu nennen, aber Mob Rules, Headless Cross und das weitgehend unterschätzte, im Buch aber gelobte The Eternal Idol (die weiland erste Sab-LP des Noch-Nicht-Rezensenten) bleiben nicht weit dahinter zurück. Und Popoff sammelt Punkte beim Rezensenten, indem er ebenjenes The Eternal Idol, aber auch Born Again, das einzige Album mit Ian Gillan am Mikrofon, hoch einschätzt – ja, das Soundgewand des letzteren ist nicht ganz state of the art und das Cover bekanntlich völlig daneben (die Geschichte, wie es zustandekam, findet sich im Buch natürlich auch), aber es steht eine Handvoll richtig starker Songs drauf, Gillan schreit phasenweise, als habe ihn der Leibhaftige an einer empfindlichen Stelle gepackt, und die gerade in diesem Soundgewand richtig gruselige Atmosphäre der beiden Instrumentals „Stonehenge“ und „The Dark“ schlägt jeden bitterbösen Black-Metal-Versuch noch heute um Längen. So hangelt sich der Autor durch diese 20 Jahre Bandgeschichte – und er läßt oft die Protagonisten selbst sprechen: 65 eigene Interviews (und eine auch nicht gerade kurze Liste anderer Quellen) sind im Anhang aufgelistet, zumeist mit Bandmitgliedern, aber auch einigen Menschen aus dem Umfeld, wobei im Text oft leider nicht die konkrete Quelle genannt ist bzw. klar wird, zu welchem Zeitpunkt hier gesprochen wurde. Das ist schade, denn es erschwert die Erschließung etwas. Nicht selten kommt es nämlich zu widersprüchlichen Schilderungen, und nicht immer schlägt sich der Autor dabei auf eine Seite, sondern läßt die Äußerungen für sich selbst sprechen und dem Leser die Aufgabe, sich selbst eine Meinung zu bilden. Auffällig ist dabei im nachhinein, dass speziell Dio einige eher schwierige Statements abgibt, und das meint nicht die Geschichte, wie das Line-up über der Arbeit am Livealbum Live Evil zerbrach (eine Lehrstunde über die Folgen von Mißverständnissen und Nicht-Kommunikation, die natürlich im Buch ausführlich behandelt wird), sondern einige andere konfliktträchtige Situationen, in denen der eigenwillige Sänger wenig Verständnis für die Bedürfnisse anderer Menschen zeigt, obwohl ihm die offizielle metallische Geschichtsschreibung genau das Gegenteil nachruft. Andererseits ist er (zu lesen im Schlußkapitel des Buches, das einen kurzen Blick auf die Bandgeschichte im neuen Jahrtausend wirft) einer der ersten, der – wenn auch offenbar aus Gründen des „Nachtretens ohne Ball“ – postuliert, dass Vinny Appice nicht die Idealbesetzung für den Schlagzeugposten bei Black Sabbath war, obwohl das eigentlich jeder mit Ohren Ausgestattete anhand der Livefassung von „Heaven And Hell“ auf Live Evil festgestellt haben müßte: Ward spielte auf der Studiofassung einen ganz simplen und eben dadurch wirkungsvollen Groove, während Appice zu viel Kleister drüberkippt und vermeintliche Löcher füllen will, was später auf Dios Dio’s Inferno – The Last In Live gar noch viel stärker ausgeprägt war. Popoff selbst deutet diese Tatsache im Live Evil-Kapitel (diese Livescheibe hat ein eigenständiges Kapitel bekommen, ebenso wie Reunion, nicht jedoch Live At Last, das zwar auch im „Berichtszeitraum“ erschien, aber alte Aufnahmen mit Ozzy am Mikrofon enthielt – interessanterweise wird allerdings auch Cross Purposes – Live aus dem Jahr 1995 nur mit einer reichlichen halben Seite im Kapitel zum gleichnamigen Studioalbum bedacht) auch bereits an. Die Informationsdichte des Werkes ist ziemlich hoch – und so mancher Fakt ist dabei, der einige Leser in Wallung geraten lassen wird. Als Beispiel mag S. 34 dienen, wo die Behandlung des Heaven And Hell-Albums zu dessen Titeltrack gelangt und der Autor eher beiläufig erwähnt, es gäbe davon eine achteinhalbminütige Urfassung, auf der noch Geoff Nicholls anstelle des temporär ausgestiegenen Butler Baß spielt. Da wünscht man sich doch glattweg eine Outtake- oder Demosammlung mit solchem Stoff, wozu nicht zuletzt auch ein mehrfach erwähntes mysteriöses Tape zählt, dessen Existenz nicht gesichert ist und das eine Frühform von „Children Of The Sea“ enthalten soll – und zwar noch mit Ozzy am Mikrofon ... Popoff schreibt flüssig und gut lesbar, spickt seine Texte allerdings durchaus auch mit etlichem Vokabular, das nicht zum durchschnittlichen Wortschatz des Nicht-Englisch-Muttersprachlers gehört, so dass manche Feinheit sich nur dem besser Sprachkundigen (oder demjenigen, der sich die Mühe macht, mit Wörterbuch oder Sprach-App zu lesen) erschließt, was allerdings den Gesamteindruck nicht entscheidend beeinflußt. Zwei Bildteile enthalten jeweils reichlich 20 historische Aufnahmen, sowohl offizielle Promobilder als auch Livefotos, Tourposter und andere Memorabilia, wobei sich auch so manche Rarität darunter befindet, etwa Bilder der 1986er Livebesetzung mit Ray Gillen am Mikrofon. Ein paar wenige deplazierte Umbrüche mitten im Text wird man im Falle einer weiteren Auflage sicher noch entfernen. So liegt in der Gesamtbetrachtung ein hochgradig interessantes quellenreiches Buch über eine der wichtigsten Metalbands überhaupt vor – und es macht Lust, mal wieder das eine oder andere ihrer Werke zu hören. (Zum Zeitpunkt, als diese Zeilen geschrieben wurden, lag Worlds Apart von Saga im CD-Player, danach folgte Depravity von A Plea For Purging. Dass als nächste Scheibe dann allerdings Ozzys Randy Rhoads Tribute-Livedreher ihren Weg in den Player fand, mutet musikhistorisch irgendwie seltsam an ... Aber Durchläufe von Born Again und The Eternal Idol gab es in nicht allzugroßem zeitlichen Abstand dann auch noch.) Roland Ludwig |
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