Musik als Therapeutikum – Die (Ver)Suche des Stefan Kölsch
Good Vibrations ist ein merkwürdiges Buch. Es macht einen widersprüchlichen Eindruck. Mal wirkt es wie ein Ratgeber auf esoterischem Yellow Press Niveau; und dann wieder gibt es sich wie eine neuromedizinische Forschungsarbeit. Die Vita von Autor Stefan Kölsch lässt Letzteres zumindest möglich erscheinen. Drei abgeschlossene Studien - Geige, Soziologie und Psychologie -, Promotion und Stellen in Harvard, an der FU Berlin und der Universität Bergen (Norwegen) markieren Stationen einer beeindruckenden wissenschaftlichen Karriere. Spannend sind die neurophysiologischen Betrachtungen im ersten Teil des Buches. Hier beschreibt Kölsch sehr eindrücklich Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die gleichen Gehirnregionen, die für die Verarbeitung von Sprache verantwortlich sind, auch die Wahrnehmung von Musik verarbeiten. Darauf fußen im weiteren Verlauf des Buches seine Hoffnungen Musik könne hier als Heilmittel eingesetzt werden, indem sie die entsprechenden Hirnregionen positiv stimuliert. Ein Schwerpunkt der weiteren Kapitel des Buches sind die Emotionen – naheliegend, ist die Wahrnehmung von Musik doch in einem Höchstmaße mit Emotionen verbunden. Gerade in diesem Bereich wirkt vieles von dem, was Kölsch seiner Argumentation zugrunde liegt jedoch recht selbstgestrickt. Wenn er von „Spaß-, Schmacht- und Schmerz-Systemen“ spricht, die für das Entstehen und Wirken von Emotionen im Gehirn verantwortlich sind, dann sind das wohl Einteilungen, die er selber so vornimmt. Ganz explizit beruft er sich bei den Beobachtungen, die seinen Überlegungen zugrunde liegen, immer wieder auf Untersuchungen, die er selber durchgeführt hat. Und deren Ergebnisse, das sagt er wiederholt, noch der wissenschaftlichen Absicherung bedürfen. Schon sehr bald beginnt Kölsch im Layout deutlich hervorgehobene praktische Tipps in seinen Text einzuweben, wie ein bestimmter Umgang mit Musik bei der Lebensbewältigung helfen kann. Solange das auf der Ebene bleibt, dass man sich Mixtapes oder Playlists mit Musik zusammenstellt, die einen in bestimmten Situationen motivieren, positiv stimmen oder aktivieren, kann man das gut abnicken – gegebenenfalls schulterzuckend als etwas banal werten. Aber Kölsch geht deutlich weiter. Im vierten und letzten Teil zieht er Perspektiven aus, die auf die heilende Wirkung von Musik bei Schlaganfall, Alzheimer, Demenz, Parkinson, Autismus, Depressionen, Schizophrenie und einigen weiteren Krankheiten abzielt. Die praktischen Vorschläge unterscheiden sich in diesem Bereich aber nur wenig von den zuvor genannten. Als Anregung über das Wirken von Musik auf die Aktivitäten des Gehirns nachzudenken, hat Good Vibrations einiges zu bieten. Im Blick auf die Qualität des Buches als praktischem Ratgeber bin ich genauso skeptisch, wie hinsichtlich seines wissenschaftlichen Wertes. Norbert von Fransecky |
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