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David Fray heilt das Essener Publikum mit Bach
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Plastischer könnte die Einsamkeit des Pianisten kaum werden: Schummrig beleuchtet steht der Flügel allein im Zentrum der Bühne des großen Alfred-Krupp-Saals der Essener Philharmonie, daran der fragil wirkende, gelegentlich kapriziös agierende David Fray, dem man selbst seine 31 Jahre kaum abnimmt. Umtost ist er vom Husten, Niesen, Schneuzen und Räuspern eines grippegeplagten Publikums, das zudem anfangs gnadenlos zwischen den Sätzen der Partita Nummer 6 applaudiert. All dies irritiert den jungen Franzosen mehr sicht- als hörbar.
Er tritt, seiner aktuellen CD entsprechend (vgl. MAS-Review), mit einem reinen Bach-Programm an. Den Partiten Nr. 6 und 2 stellt er jeweils die tonartlich passende Toccata voran. Diese Werke aus Bachs früher Schaffenszeit vertragen Frays Ansatz, der viel interpretatorischen Freiraum beansprucht, freilich nicht gleichermaßen gut wie die rund 20 Jahre später entstandenen Partiten. Und so droht hier unter dem Balast der Effekte und der stupenden Technik die Struktur zu verunklaren.
Den Partiten steht jener Ansatz ungleich besser zu Gesicht. Hier nimmt Fray sich in gewohnter Manier die größtmöglichen Freiheiten heraus, was zugleich die Lebendigkeit und das Besondere in seinen Live-Konzerten begründet. Keine Deutung ist wie die andere und der Franzose scheut sich nicht, je nach Tagesform, Stimmung und Umgebung neue Ideen unmittelbar auszuprobieren. Wer die CD kennt, wird daher im Konzert desöfteren verblüfft sein. Die Frage, ob Fray denn überhaupt Bach spielt oder letztlich nicht immer nur Fray, ist so drängend wie müßig. Ihm ist es um ein nachschöpferisches Einswerden, um eine Aneignung der Musik zu tun. Bildhaft deutlich wird das, wenn man Fray gnomenhaft mit dem Flügel verschmelzen sieht, die Nähe zum Instrument suchend, in einen Dialog eintretend, der mal intim, mal durchaus agressiv sein kann. In Essen kulmninierte diese sehr persönliche Beziehung zwischen Künstler und Werk erstmals in der Sarabande der Partita Nr. 6, die bis dahin durchaus auch einen betont technischen, teils sogar kühlen Geist atmete.
Das Soghafte, das Fray Spiels bisweilen auszeichnet, entfaltete sich aber so ganz erst in der Partita Nummer 2. Hier gelang es ihm, durch feinste Schattierungen im Anschlag, kühne Tempowechsel und den betonten Kontrast zwischen sanglichen und mechanischen Momenten einen eigenen Raum und eine eigene Zeit zu kreieren und die Zuhörer soweit mit hineinzunehmen, dass diese offenbar selbst das Husten vergaßen und an Zwischenapplaus vor lauter Gebanntheit gleich gar nicht mehr zu denken wagten. Die Begeisterung entlud sich vielmehr erst nach dem abschließenden Capriccio, das Fray einem furios jazzhaften Zugriff unterwarf. Ein verblüffender Gegenpol zu der von ihm gewählten Eröffnung dieser Partita, deren Sinfonia eingangs doch eher die Verlorenheit angesichts der schmerzlichen Schönheit eines winterlichen Sternenhimmels zu beschwören schien. Bei Fray muss man eben stets auf alles gefasst sein.
Nach drei Zugaben und teils stehenden Ovationen gewährte der Pianist dem offenbar spontan durch Musik genesenen Publikum geduldig Autogramme und seinen Groupies die gewünschten Fotos.
Sven Kerkhoff
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