Musik an sich


Reviews
Lachenmann, H. (Kalitzke)

Salut für Caudwell – Les Consolations - Concertini


Info
Musikrichtung: Neue Musik Ensemble

VÖ: 13.02.2009

(Kairos / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2005-2006 / Best. Nr. 0012652KAI)

Gesamtspielzeit: 94:40



KLANGZERSTÄUBER

Mit Concertini (CD 2), das Helmut Lachenmann 2005 fertiggestellt hat, setzt der Meister fein zerstäubter Kläng die klassische Vorstelllung des Konzerts auf ungewöhnliche Weise um: Als organische Folge von Fragmenten, in denen einzelne Instrumente eines eigenwillig besetzten, vergrößerten Kammerensembles mit kurzen Soli "konzertierend" hervortreten. Die Soli bleiben dabei immer eingebettet in den unverkennbaren Lachenmann-Sound aus konventionellen und ungewöhnlichen Klängen, aus „schönen Tönen“ und einem immer wieder Staunen erregenden Universum von „Geräuschen“, wobei die Übergänge reizvoll fließend sind. Mit zunehmender Verdichtung der Musik geht das eine mit dem anderen immer neue Legierungen ein. Unerhörte Sonoritäten können so entstehen, die schon für sich genommen von frappierender, wenngleich widerständiger, oft unnahbarer Schönheit sind. Dafür lassen sie breitesten Raum für synästhetische Assoziationen.

Mit dieser ebenso analytischen wie poetischen „Arbeit am Klangkörper“ geht Lachenmann der Musik und den Bedingungen ihres Entstehens kompromisslos auf den Grund. Der Prozess der Tonerzeugung interessiert ihn eben so sehr wie das Endergebnis: der Lippen- und Bogenansatz, die Atem- und Griffgeräusche, die klang-physikalischen Eigenschaften von Holz, Metallsaiten, von Klappen, Schlägeln und Korpus, überhaupt die Resonanzräume der Instrumente mit ihrem oft verwickelten Innenleben.
Fehler und Pannen wie Rascheln, Knirschen, Klappern, Schaben, Kratzen, verrissene Einsätze, schräg angesetzte Töne, Hauchen, Wispern, Schreien und Husten, eben der ganze sogenannte Klangabfall, den jeder Profi tunlichst zu vermeiden sucht, wird bei Lachenmann zur musikalischen Substanz schlechthin: musique concrete instrumentale hat Lachenmann diesen Stil genannt.
Die Musik reflektiert darin ihre körperliche Materialität und Sinnlichkeit, geht dabei aber zugleich in eine irritierende Distanz zu sich selbst und zum Hörer: „Angebot durch Verweigerung“, bringt Lachenmann dieses Paradox auf den Punkt.

KLANGRECYCLING, FAST SCHON KLASSISCH

Noch in den 60er Jahren konnte ein Werk Lachenmanns nur aus solchen akustischen Grenzfällen bestehen. Sein Cellostück Pression ist dafür ein berühmtes Beispiel. Concertini gibt sich im Vergleich mit solchen spröden Exerzitien geradezu luxuriös, ohne unbedingt eingängiger zu sein.
Lachenmanns Komposition klingt hier eigentlich fast schon nach – gibt’s dass überhaupt? - typischer Neuer Musik. Nicht unbedingt glatt, aber Technik und Möglichkeiten sind derart beherrscht, dass es schon wieder ganz „normal“, geradezu klassisch erscheint (gemessen am Anspruch der Avantgarde). Die Gestaltungs- und Beziehungsmöglichkeiten des Material wurden vom Komponisten weitgehend ausgeschöpft, die jüngere Generation hat sie „touristisch erschlossen“ (Lachenmann). Ein Endpunkt scheint erreicht. Härter und weniger konziliant als Concertini wirken auf mich dagegen die beiden Stücke aus den späten 60er bzw. 70er Jahren, die sich auf der ersten Platte befinden.

Ich muss gestehen, dass ich die Musik erst gehört und dann Lachenmanns Kommentare im Begleitheft gelesen habe. Im Fall des Gitarrenduos Salut für Caudwell fühlte ich mich gleich ertappt, weil die gebrochenen, zwischen perkussiven und elektronischen Klängen changierenden Sounds der beiden Gitarren mich so in ihren ästhetischen Bann geschlagen haben, dass ich für die politische Botschaft wenig Aufmerksamkeit aufbringen konnte.
Fairerweise muss man sagen, dass Lachenmann den kurzen Text des englischen marxistischen Dichters und Schriftstellers Christopher Caudwell, den die beiden Spieler rezitieren, derart in seine klanglichen Bestandteile zerlegt hat, dass er praktisch unverständlich ist (man kann ihn im Beiheft nachlesen). Dadurch fügt er sich vollkommen in die atomisierten Gitarrenklänge ein.
Wilhelm Bruck und Theodor Reuss, die als Duo das Werk in Auftrag gegeben haben, beherrschen die grenzgängerischen Spieltechniken vollkommen. Das Ergebnis ist sozusagen die gefriergetrocknete Aura dieser klassischen Besetzung. Mit 25 Minuten Dauer fordert die Musik den Hörer ziemlich, vor allem wenn die zunächst sehr griffigen, auch rhythmisch anregenden Formulierungen im Laufe des Stücks immer mehr erodieren, bis am Schluss etwas übrigbleibt, das wie ein fernes Atmen klingt.

Auch Les Consolations verweigert sich einem lukullischen Hören, hält einen aber trotzdem über 30 Mintunten in seinem Bann. Das Stück für 16 Solostimmen und Orchester gewann seine endgültige Form in einem längeren Prozess. Zugrunde liegt ihm unter anderem Christian Andersens Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern und ist damit eine Art Vorläufer zu Lachenmanns erster und einziger „Oper“ Das Mädchen.
Der Komponist setzt die Sprache ähnlich unter Spannung wie im Gitarren-Salut, entsprechend ist sie mehr Klangschicht als direkter Bedeutungsträger. Die Textur ist gespinstartig, wobei das Orchester sehr ökonomisch eingesetzt wird.
Tröstlich, wie der Titel verheißt, ist hier nichts. Lachenmann, der aus dem schwäbischen Pietismus stammt, traut irdischen Paradies-Visionen nicht. Auch die Musik läuft für ihn immer Gefahr, zum Kitsch-Winkel zu verkommen: Sekundenlange Einblendungen von Schlager-, Pop- und klassischer Konzertmusik tauchen geisterhaft in der Musik auf. Das Ganze ist also nicht ohne Humor, wenngleich ohne Happy End: das Mädchen erfriert.

Unter der Leitung von Johannes Kalitzke spielen und singen die Schola Heidelberg sowie das WDR Sinfonieorchester (Consolations) und das Klangforum Wien (Concertini). Interpretatorisch wie klanglich bleiben keine Wünsche offen. Bewundernswert ist die unverkrampfte, dabei hochpräzise Virtuosität, mit der die „unspielbaren“ Partituren Lachenmanns realisiert werden und die vollkommene klangliche Abbildung, die jedes noch so kleine Detail der Musik hörbar macht (was vor allem beim Gitarrenduo mit seinen genau ausgehorchten Resonanzräumen unverzichtbar ist).



Georg Henkel



Trackliste
CD 1
01 Salut für Caudwell (1977) 25:14
02-06 Les Consolations (1967-68/1977-78) 32:20

CD 2
Concertini (2005) 37:06
Besetzung

Wilhelm Bruck & Theodor Ross: Gitarre

Schola Heidelberg / Walter Nussbaum: Leitung

Klangforum Wien

WDR Sinfonieorchester Köln

Johannes Kalitzke: Leitung


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