Bach, J. S. (Kuijken)
Kantaten für das liturgische Jahr Vol. 1& 2 (BWV 56 – 180 – 98 – 55 / 177 – 93 – 135)
|
|
Info |
Musikrichtung:
Barocke Kantate
VÖ: 15.01.2006
Accent / Note 1 SACD (AD 2005) / Best. Nr. ACC 25301 & 25302
|
|
|
MIT ANGEZOGENER HANDBREMSE DURCHS KIRCHENJAHR
Eine weitere Gesamteinspielung der Bachschen Kantaten? Nein, aber ein auf 20 Folgen angelegtes Projekt, in dem Sigiswald Kuijken und das solistisch besetzte Ensemble La Petite Bande eine Art „best-of“ der rund 200 überlieferten „Kirchenkonzerte“ J. S. Bachs präsentieren. Die Auswahl orientiert sich am Kirchenjahr bzw. der Leseordnung der biblischen Texte, denen Bach schon seinerzeit Sonntag für Sonntag eine musikalische Predigt auf die Verse unterschiedlicher Autoren an die Seite gestellt hat. Diese kirchenmusikalische Blütenlese ist also durchaus konsequent. In den dicht geschriebenen Booklettexten wird man nicht nur detailliert über die Entstehung und Konzeption der Werke informiert, Kuijken wartet überdies mit interessanten Überlegungen zur Aufführungspraxis auf, z. B. zur Besetzung der instrumentalen Basspartie. Immer noch kontrovers dürfte die Entscheidung zu einer solistischen Besetzung aufgenommen werden: Glaubt man den inzwischen über zwanzig Jahre alten Forschungsergebnissen von Joshua Rifkin, so bestand der „Chor“ bei Bach und seinen deutschen Zeitgenossen lediglich aus einem kleinen Kammerensemble. Die Gesangsstimmen waren einfach besetzt und wurden nur an ausgewiesenen Stellen verdoppelt. Die „monumentalen“ Eingangschöre waren also in der Regel einem Quartett, in seltenen Fällen einem Oktett anvertraut! Dazu trat eine entsprechende Streichergruppe und gegebenenfalls die obligaten Holz- und Blechbläser, das Continuo übernahmen Bass, Orgel und Cembalo.
Wer Klanggewalt à la Karl Richter bevorzugt, dem dürfte nach der ersten aufführungspraktischen Revolution durch Nikolaus Harnoncourt und Gustav Leonhart & Co. in den 1960er Jahren nun ein weiterer Schock bevorstehen. Nach den verkleinerten Besetzungen, Knabenstimmen und der Einführung „originaler“ Instrumente tönt Bach im 21. Jahrhundert intim und organisch wie kaum zuvor. Endlich klingen Stimmen und Instrumenten so gleichberechtigt, wie sie komponiert sind. Die vielstimmigen Eingangschöre entfalten sich innig und in schönster Transparenz. Grundsätzlich dürfte die Frage nach der Richtigkeit der Kleinstbesetzung damit wohl entschieden sein.
Interpretatorisch bleiben dagegen Wünsche offen. Denn irgendwie klingt Kuijkens Bachs nicht wesentlich anders als der von Koopmann, Suzuki oder Herreweghe: historisch informiert, andächtig und technisch ausgereift, aber irgendwie auch reibungsarm, ja regelrecht ruhiggestellt. Man wird das Gefühl nicht los, dass die musikhistorische Genauigkeit auf Kosten interpretatorischer Persönlichkeit geht. Der Ausdruck z. B. in BWV 56 „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ bleibt unverbindlich. Dominik Wörner nimmt den Abschiedsgesang auf das irdische Jammertal rhetorisch auf die leichte Schulter. „Schrecken, Angst und Bangen“ bleiben im Tenorrezitativ BWV 135 an der Oberfläche. Die so unterschiedlichen Werke bzw. Einzelnnummern klingen insgesamt alle recht ähnlich. Kuijken hat recht: Bei der Kleinstbesetzung wird der Dirigent überflüssig. Umso mehr sind die einzelnen Musikerpersönlichkeiten gefordert. Und die bleiben mir hier insgesamt zu blass. Die Ensemblewirkung der Eingangschöre ist gewiss eindrucksvoll, dennoch hat man den Eindruck, dass hier mit angezogener Handbremse musiziert wird.
Georg Henkel
Trackliste |
Vol. 1: 69:43 Vol. 2: 66:42 |
|
|
|
|
Besetzung |
Sopran: Siri Thornhill, Sophie Karthäuser Alt: Petra Noskaiová Tenor: Christoph Genz Bariton: Jan von der Crabben Bass: Dominik Wörner
La Petite Bande Ltg. / 1. Violine: Sigiswald Kuijken
|
|
|
|