Musik an sich


Reviews
Lonati, C.A. (Timpe)

Violinsonaten


Info
Musikrichtung: Barock

VÖ: 15.02.2004

Capriccio / Delta Music (CD DDD (AD 2002) / Best. Nr. 67 075)

Gesamtspielzeit: 72:35

Internet:

Capriccio



ÜBERRASCHUNGSCOUP: TIMPE WIRBT FÜR LONATI

Sonaten für Violine und Basso Continuo? Von Lonati? - Wer soll das sein? Und: Sind wir mit barocken Violinsonaten aus der Feder Bibers und Bachs nicht hinreichend gut versorgt?
Fragen die sich aufdrängen, wenn man diese CD das erste Mal in der Hand hält. Fragen aber auch, die verstummen, sobald man die CD zum ersten Mal in den Player geschoben hat. Ein üppiger, delikater Garten barocker Kammermusik tut sich da auf, vielfältig und phantasievoll, perönlich und emotional bisweilen sogar.
Über den Komponisten Carlo Amrogio Lonati (ca. 1645 - 1710) wissen wir bis heute nur wenig. Er wirkte u.a. in Neapel, Rom und Mantua und muß, wie diese Werke, aber auch die Zeugnisse seiner Zeitgenossen belegen, ein Geigenvirtuose von beachtlichem Rang gewesen sein. Lonatis Kompositionen haben die nachfolgende Generation der musikschaffenden in ganz Europa beeinflußt, sein Name aber wurde schnell vergessen.

Die eingespielten Kammersonaten zeigen uns einen Komponisten, der schon früh eine Vermischung der unterschiedlichen Stile pflegte. In seiner Musik finden sich französische, elegant-galante Elemente ebenso, wie virtuose italienische Satzkunst und Fugen von fast deutscher Strenge. Dabei erscheint nicht alles ganz glatt und ebenmäßig, vielmehr finden sich musikalische Ecken und Kanten, bei denen man sich fragen mag, ob sie persönliches Stilmittel oder Ausdruck kompositorischer Unsicherheit sind. Jedenfalls geben sie der Musik, zusammen mit der stets einfallsreichen Thematik und nachfolgenden Behandlung des thematischen Materials, sowie einer gewissen Verträumtheit ein ganz eigenes, individuelles Gepräge. Lonatis Werk erscheint daher von einer für jene Epoche ungewöhnlichen persönlichen Aussagekraft und Intimität. Dazu trägt auch bei, dass er fast durchgehend zum Mittel der Skordatur griff, sich also bei kaum einer der Sonaten mit der üblichen Stimmung der Geige zufrieden gab, sondern eine je eigene, verschobene Stimmung vorsah. Dies trägt nachhaltig zum reizvollen Abwechslungsreichtum der Stücke bei und produziert manchenteils verblüffende harmoische Effekte. Nicht zuletzt nutzte Lonati dieses Mittel aber auch, um die Virtuosität der Stücke noch erhöhen zu können.

Insofern stellen die Sonaten extrem hohe Anforderungen an die Fähigekiten des Violinisten. Christoph Timpe, der sich auch als Musikforscher selbst um die Wiederbelebung und -entdeckung der Werke verdient gemacht hat, wird diesen Anfordeurngen ohne weiteres gerecht. Feinsinnig setzt er Abstufungen in seinem Spiel, läßt manche Figur geziert, eine andere sogleich wieder beinahe harsch erscheinen, spürt sensibel jeder Nuance nach. Dabei liegt trotz aller Ruhe eine stets spürbare Kraft in seiner Interpretation.
Dies zahlt sich nicht zuletzt bei der abschließenden Sonate XII (Ciaccona) aus, einem Stück, das in bemerkenswerten 22 Minuten gewissermaßen ein Kaleidoskop der damals gebräuchlichen und geschätzten Satztechniken bietet, ein traumhaft fließendes, barockes Breitwand-Panorama.
Die Mitglieder der Accademia per Musica geben Timpe dabei als Basso Continuo ein stabiles Rückgrat und passen sich geschmeidig den Wünschen und Vorgaben des Virtuosen an.

Eine großartige, klangtechnisch überzeugende Produktion, die Lonati dem Vergessen entreißt und seine Sonaten zumindest auf eine Stufe mit jenen H.I.F. Bibers hebt, die sich ja mittlerweile zurecht wieder großer Beliebtheit erfreuen.



Sven Kerkhoff



Trackliste
Sonaten XI, II, IV, X, II und XII für Violine und Basso Continuo
Besetzung

Christoph Timpe, Violine
Accademia per Musica (Andrea Fossà, Violoncello; Francesco Romano, Theorbe; Anna Fontana, Cembalo)


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