(10.02.04, Kerosin Augsburg, Eintritt 10 EUR)
Wer Bohren & der Club of Gore noch nicht kennt, dem sei gesagt, dass es sich bei dem Kölner Quartett um einen ganz besonderen, chilligen und doch pechschwarzen Leckerbissen in der Musiklandschaft handelt. Wenn es notwendig ist, beschreiben sie ihre Musik selbst als „Horror Jazz“ oder „Piano Doom“, scheren sich aber eigentlich nicht um Schubladen. Drei der Bandmitglieder spielten schon seit 1988 zusammen in Metal und Hardcore Bands wie Chronical Diarrhoea, 7 Inch Boots und Macabre Farmhouse. Um ihre Musik auf eine neue, einzigartig jazzig und doomige Ebene zu bringen, gründeten sie 1992 dann „Bohren“ und fügten wenig später noch „& der Club Of Gore“ hinzu. Mit dem Ausstieg von Gitarrist Reiner Henseleit 1996 verschwanden dann die Gitarrenelemente, dafür komplettieren seit dem Einstieg von Christoph Clöser 1997 düster-melancholische Saxophon-Läufe den Sound.
Das Kerosin in Augsburg war angenehm gefüllt. Auf anderen Konzerten hätten die 70 bis 80 Anwesenden den Raum wohl eher leer erscheinen lassen, doch gut 20 Sofas, Sessel und Matratzen waren vor der Bühne platziert und belegten eine Großteil der Fläche. Schalen mit gesalzenem und somit zu den alles andere als süßlichen Klängen passenden Popcorn standen bereit. So war einem düsteren Easy Listening Erlebnis - ich wusste vorher auch nicht, was ich mir darunter vorzustellen hatte - in entspannter Umgebung auf jeden Fall der Boden bereitet.
Um kurz nach halb zehn betreten Thorsten Benning (Drums), Morten Gass (Piano, Mellotron), Robin Rodenberg (Kontrabass) und Christoph Clöser (Saxophon) fast unbemerkt die Bühne. Licht aus, Spots an. Aber einzig einen dünnen weißen Lichtstrahl für jeden Musiker, der Rest der Bühne bleibt dunkel. Die Gesichter der Musiker bleiben so gewollt unsichtbar, man kann nur die Instrumente und die sie bespielenden Hände erkennen. Die Führungsrolle unter den Sinneswahrnehmungen verlagert sich vom Sehen zum Hören und Spüren, als die ersten Klänge eines monströs wummernden und dröhnenden Kontrabasses das Publikum erreichen.
Bohren & der Club Of Gore legen los in einem Tempo, das mir als Hörer eine neue Stufe der Langsamkeit eröffnet. Die Flächensounds des Mellotron verheißen eine bedrohliche Stimmung und die Bässe drücken einen in den Sessel (wenn man einen ergattern konnte). Zwischen den gemächlichen Schlägen des Zeitlupen-Schlagzeugs, die bisweilen auch mal auf nur Bassdrum oder spärlichen Snare-Einsatz mit wenig Becken reduziert werden, lauscht man gebannt den charakteristischen Klängen des Fender Rhodes Piano und dem klagenden Saxophon.
Ganz wichtig für Bohren ist das untere Frequenzspektrum, die Bässe und Sub-Bässe. Die Tiefe und Intensität trotz aller Leichtigkeit und einige an Doom Metal erinnernde Akkordfolgen lassen dann auch eine Bezeichnung wie Jazz Doom durchaus passend erscheinen. Die entstehende, von Langsamkeit, Düsternis und doch entspanntem Zuhören geprägte Atmosphäre koppelt den geneigten Anwesenden für eine gute Stunde ab von der hektischen Plastikwelt, die vor der Tür des Kerosins beginnt. Diese Musik würde sich wohl auch gut für unheilschwangere Movie Scores eignen.
Meist gibt es keine Ansagen zwischen den Stücken, doch wird beispielsweise „Grave Wisdom“ mit tiefer, ruhiger, knarziger Stimme, irgendwo zwischen Johann Köhnich & Helge Schneider, ankündigt. Ein Song für Leute „die es schwer haben, die sich nachts auf Friedhöfe schleichen, Knochen ausgraben, diese dann mit nach Hause nehmen, abkochen und in den Keller legen neben den Sack mit den alten Fußnägeln“. Oder auch wenn Weisheiten zum Besten gegeben werden wie „Die Vögel des Unglücks werden immer über unseren Köpfen kreisen, aber man kann verhindern, dass sie in unseren Haaren Nester bauen“, dann fügt sich in das düstere Gesamtbild noch ein wenig morbider Humor ein. Die Jazz-Apokalypse bekommt für kurze Momente grinsende Mundwinkel verpasst.
Während des Konzerts wechseln Bohren & der Club Of Gore die Zusammenstellung der Instrumente mehrmals. Im dritten Song wird die Kontrabass-Saxophon Kombination durch zwei E-Bässe ersetzt, ab dem vierten Song bleibt es dann bei einem E-Bass mit Saxophon. Der rote - oder besser schwarze Faden, der sich durch die Musik zieht wird davon kaum tangiert. Zwischen den Songs honoriert das Publikum die Darbietung durch eher kurzes Klatschen. Dies kommt den Musikern entgegen, die gleich zu Beginn augenzwinkernd klargestellt hatten, dass sie eine zügige Abwicklung ihres Auftritts ohne große Unterbrechung und genau eine Zugabe planen. Passend dazu sehen sie übrigens den Schwerpunkt ihres Schaffens mehr im Erstellen möglichst perfekter Tonträger.
Im Rahmen des 20-minütigen, letzten regulären Stücks, zusammengesetzt aus je einem Track von den letzten beiden Bohren-Longplayern „Sunset Mission“ (2000) und „Black Earth“ (2002), überrascht gewissermaßen noch der einzige Lichteffekt des Konzerts. Die spärlich beleuchtete Bühne wird bei einem Break plötzlich in das dunkelrote Licht einer Leuchtschlange getaucht, mit ihr auch der übrige Raum.
Diese Stimmung herrscht weiter bei der sich direkt anschließenden Zugabe und schafft so bereits einen sanften Übergang zur endgültigen Wiederkehr des Saallichts und damit der schnöden Realität nach dem Ende der musikalischen Darbietung.
Dieses atmosphärisch und musikalisch einzigartige und mitreißende Konzert lässt für mich nur einen Schluss zu: Jeder aufgeschlossene Musikliebhaber, dessen Horizont nicht beim Ausstöpseln verzerrter Gitarren endet, sollte sich mit Bohren & der Club Of Gore unbedingt einmal beschäftigen, sei es live oder auf Tonträger. Diejenigen, die bereits in den Genuss dieser Ausnahme-Band kamen werden eh nur wissend nicken.
Bernhard Frey
|