Georg Friedrich Händel: Belshazzar - Kölner Kammerchor, Collegium Cartusianum, P. Neumann
Georg Friedrich Händel: Deborah - Barockorchester Frankfurt, Junge Kantorei, J.C. Martini
An dieser Stelle mal der Versuch einer Innovation: Doppel- statt Einzelkritik, und das aus gegebenem Anlaß. In kurzem Abstand haben verschiedene Labels zwei Werke aus dem umfangreichen Oratorienschaffen von G.F.Händel herausgebracht. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass diese Oratorien wegen ihres Inhalts, der regelmäßig auf verfremdeten Geschichten des Alten Testaments beruht, und ihrer oftmals holzschnittartig anmutenden starren Schematik es dem Hörer von heute doch recht schwer machen, sich mit ihnen so anzufreunden. Wohl aus dem Grunde kennt man von den Oratorien meist nur einige der dramatischen, wuchtigen Chöre.
Daß es sich lohnt, mehr kennenzulernen, das vermittelt vor allem die Einspielung des "Belshazzar". Hier kommt uns inhaltlich noch einiges vertraut vor: Stichwort "Menetekel", also die geheimnisvolle Schrift an der Wand, die dem übermütigen, frevelnden König von Babylon das Ende ankündigt. Wer genaueres wissen will, hole seine Bibel hervor und schlage nach im Buch Daniel, Kapitel 5. Obwohl: Wie gesagt, bediente sich Händels Textdichter Charles Jennens um der Dramatik willen dieser Vorlage recht frei.
Er ist Händels Bedürfnissen damit aber in idealer Weise entgegengekommen, so daß der Komponist eines seiner sicher spannendsten Oratorien daraus schuf, wenn dem Stück auch zu seiner Zeit der Erfolg versagt blieb. Insbesondere jene Hörer, die unter barocken da-capo-Arien eher leiden, wird hier der Mut des Komponisten Freude bereiten, auf diese damals übliche Form weitgehend zu verzichten. Das Geschehen läuft insgesamt straff ab, die Chöre sind von erstaunlichem Abwechslungsreichtum, die Zeichnung der Figuren und ihrer Affekte hat mehr den Charakter des Opernhaften, als den des frommen Singspiels.
Peter Neumann gelingt es mit seinem Ensemble meistenteils überzeugend, diesen musikalischen Reichtum auszuschöpfen und nahezubringen. Manchmal scheint zwar das Gesamtkonzept etwas unausgeglichen, weil hin und wieder die eben erst eingebrachte Dramatik zurückgefahren wird, aber die kleinteilige Anlage des Oratoriums verhindert schon aus sich heraus, daß deshalb Langeweile aufkommen könnte.
Das Orchester "Collegium Cartusianum" musiziert gewohnt zuverlässig, wenn auch nicht mit dem Drive und der Differenziertheit, wie sie vielleicht manch anderes Originalklangensemble erreicht. Der Kölner Kammerchor besticht durch satten Sound und große Wandlungsfähigkeit bei der Darstellung der verschiedenen Volksgruppen.
Unter den Solisten verdienen Simone Kermes (Sopran) als Mutter des Königs und Markus Brutscher (Tenor) als Belshazzar wirklich lobende Erwähnung. Von ihrer beachtlichen Gestaltungskraft lebt die Aufnahme über weite Strecken. Da nimmt es nicht Wunder, daß das Duett der beiden gegen Ende des ersten Akts zu einem wahren Kunstgenuß und Glanzpunkt der Aufnahme wird. Adäquat besetzt ferner die Rolle des Daniel mit Patrick van Goethem und des Gobrias mit Franz-Josef Selig, wenn man sich auch bei diesem wünschen würde, daß er seine schöne Stimme manchmal mit ein wenig mehr Kraft einsetzte.
Kein Lob dagegen ist bedauerlicherweise Christopher Robson als persischem Prinzen Cyrus auszusprechen. Einmal mehr ein Altus bei dem die Frage ihr häßliches Haupt erhebt, ob Partien in dieser stets heiklen Stimmlage nicht wegen der großen Nachfrage allzu leichtfertig vergeben werden. Schon in seiner ersten Arie "Dry those unavailing tears" ist unklar, ob die Schlenker und Kieckser denn nun (mißverstandene) Verzierungen sein sollen oder das Resultat stimmlicher Unfähigkeit sind. Jedenfalls klingt es, als hätte man einen Hund ohne Narkose kastriert. Und das wird später keineswegs besser. Die Stimme ist kraftlos, droht manchmal gar im Orchesterklang unterzugehen und läßt in der Höhe jeden Glanz vermissen.
Ein wirklich beklagenswerter Wermutstropfen, der es verhindert, die (tontechnisch im übrigen absolut überzeugende) Einspielung als mustergültig zu werten - denn leider hat Händel den Cyrus mit (an sich sehr schönen) Arien reichlich bedacht.
Bei der Naxos-Produktion von "Deborah", einem rund 10 Jahre früher entstandenen Werk, handelt es sich um den Live-Mitschnitt eines Konzerts vom Mai 1999. Das macht sich unglücklicherweise auch klanglich bemerkbar. Das Klangbild ist von zu starkem Hall geprägt - und vom Husten eines offenbar massenhaft an Tbc erkrankten Publikums.
Der biblische Inhalt dürfte Alice Schwarzer Vergnügen bereiten: Die Richterin Deborah sieht prophetisch die Ermordung des gegnerischen Heerführers durch weibliche Hand voraus und so geschieht es letztendlich auch durch Jael, die diesen tötet, indem sie ihm im Schlaf einen Pflock durch die Schläfe treibt. Auch hier gilt: Schlag nach im Alten Testament und zwar im Buch der Richter, Kapitel 4.
Händel hat der Stoff offenbar nicht zu übermäßigem Engagement angespornt, denn er greift auf eine Vielzahl anderer Stücke zurück, die er mit neuem Text versehen übernimmt. Immerhin bietet dieses "Patchwork" dem versierten Händel-Hörer das zusätzliche Vergnügen, jeweils erraten zu können, was ursprünglich aus welchem Werk stammt. Und: Der stete Wechsel von ruhiger Innerlichkeit und kämpferischem Glanz prägt das Werk auf besonders lebendige Weise.
Mangelndes Engagement kann man dem Barockorchester Frankfurt übrigens gewiß nicht vorwerfen: Die Schärfe und Spielfreude, mit der es die Sache angeht, machen es leicht, die 2 1/2 Stunden zu genießen.
Hingegen kann die Junge Kantorei dem Kölner Kammerchor das Wasser nicht reichen, wenn es um Intonationssicherheit und Artikulation, sowie punktgenaue Einsätze geht. Durch die Aufnahmetechnik wirken die Chöre insgesamt außerdem zu massig.
Bei den Solisten gibt es hier, anders als im "Belshazzar", weder herausragende Glanzleistungen noch Enttäuschungen zu verzeichnen. Alle bewegen sich auf ansprechendem Niveau. Angenehm, wie Elisabeth Scholl ihre anspruchsvolle Sopranpartie zumeist mit großer Leichtigkeit meistert und selbst der Countertenor - Lawrence Zazzo - kann sich hier hören lassen. Mit Bedauern muß konstatiert werden, daß die Tontechnik Ewa Wolak als Sisera besonders stiefmütterlich behandelt hat, was den Genuß dieser kraft eines düsteren Timbres und großen Tonumfangs hochinteressanten Stimme erheblich trübt.
Insgesamt aber eine Einspielung, bei der der Preis für das Live-Erlebnis in Bezug auf die Klangqualität zu hoch erscheint. Besonders schade angesichts der musikalischen Leistung der Mitwirkenden.
So behält letztlich Neumanns "Belshazzar" in der Gesamtbewertung die Nase vorn.
Wertung für "Belshazzar"
Repertoire: 4 Punkte
Klang: 5 Punkte
Interpretation: 3 Punkte
Edition: 4 Punkte
Gesamt: 16 Punkte
Wertung für "Deborah"
Repertoire: 3 Punkte
Klang: 2 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Edition: 3 Punkte
Gesamt: 12 Punkte
Sven Kerkhoff