Sorcerer
Lamenting Of The Innocent
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In ihrer ersten Aktivitätsperiode brachten es Sorcerer lediglich auf zwei Demos, mit denen sie sich allerdings eine Art Kultstatus als die Erben der zu jener Zeit in andere stilistische Gefilde abwandernden Candlemass erspielten. John Perez, Chefdenker von Solitude Aeturnus, brachte gar einen Re-Release der beiden Demos auf seinem eigenen Label Brainticket Records heraus – zu dieser Zeit hatten sich Sorcerer aber bereits aufgelöst, nachdem ihr Chefdenker und Bassist Johnny Hagel zu Tiamat gewechselt war. Der Name blieb aber im Gespräch, und so fand im neuen Jahrtausend auch dieses Quintett wieder zusammen und begann in größeren Abständen auch reguläre Studioalben zu veröffentlichen. Das hier vorgestellte Lamenting Of The Innocent ist deren drittes; das ganz aktuelle vierte namens Reign Of The Reaper hat sich bisher noch nicht in den Hallen des Rezensenten eingefunden.
Als erstes fällt ein strukturelles Kuriosum auf: Johnny Hagel ist auf diesem Album nicht mehr als aktiver Musiker dabei, aber Sorcerer haben sich trotzdem nicht aufgelöst, was zentral daran liegt, dass er im Hintergrund zusammen mit Conny Welén nach wie vor die Strippen zieht und in der Besetzungsliste mit „Creative Direction & Songwriting“ angegeben ist, während Justin Biggs die Stelle als Bassist eingenommen hat und auch gleich noch ein paar Growls beisteuert. Zumindest im dem bombastischen Intro „Premonition“ folgenden Opener „The Hammer Of Witches“ hätte man freilich gut daran getan, auf diese zu verzichten: Das „Burn, witch, burn“-Gebrüll mutet derart platt und ausgelutscht an, dass man nur noch verständnislos mit dem Kopf schüttelt. Gut, Songs über Hexenverbrennungen sind per se kein originelles Thema mehr und das zumindest in einigen der Nummern von Lamenting Of The Innocent verfolgte Konzept daher auch nicht – aber das stellt in diesem Falle kein Kriterium dar, da auch der epische Doom von Sorcerer durchaus nicht mit Originalitätsmaßstäben zu messen ist. Aber gute Teile des Materials atmen eine erhabene Atmosphäre und eine edle Eleganz, und die steht mit der fürchterlichen Verbrennungs-Gebrüll-Plattitüde in einem derartigen Mißverhältnis, dass man nur noch verständnislos mit dem Kopf schütteln kann. Dabei ist der Song ansonsten nicht schlecht, bietet leicht angedüsterten, galoppierenden Power Metal mit ein paar Verharrungen, und auch Anders Engbergs klare und ausdrucksstarke Stimme kommt bereits hier gut zur Geltung, wenngleich man das Gefühl hat, das ginge durchaus noch besser. Und siehe da, mit dem folgenden Titeltrack beweisen Sorcerer, um wie viel besser das noch geht. Auch hier hätte es des kurzen Growl-Einwurfes durchaus nicht bedurft, aber er stört zumindest nicht und macht die Atmosphäre nicht kaputt, die die Instrumentalisten in dieser edlen Doom-Nummer erzeugen. Und wie sie das tun! Hier entwickeln sich zauberhafte Melodien, überraschende, aber nicht unlogische Harmoniewechsel und ein supereingängiger und doch weit von Plattitüden entfernter Refrain, und das Ergebnis hätte nur noch getoppt werden können, wenn man auf besagten Growl-Einwurf und das pseudosakrale Intro verzichtet hätte. „Institoris“, der einzige Song der Platte (neben dem Intro), der die Fünf-Minuten-Marke nicht schafft, repliziert die Tempostruktur von „The Hammer Of Witches“, Engberg singt ein wenig druckvoller, niemand growlt, und schon kommt ein deutlich besseres Ergebnis heraus. „Where Spirits Die“ verzichtet gleichfalls auf alle schauspielerischen Einlagen, bleibt aber im Doomsektor und funktioniert in seiner puren, lediglich durch unauffällige, aber wirkungsvolle Keyboards ergänzten Form ganz hervorragend – und Candlemass-Anhänger werden hier ein kleines easter egg im Text finden. Interessant zu hören ist hier nicht zuletzt, wie in den letzten Minuten die beiden Gitarristen Kristian Niemann und Peter Hallgren in einen solistischen Dialog treten - ein traditionelles Stilelement des klassischen Metals, den es ja im Prinzip auch bei Sorcerer zu hören gibt, nur eben in der doomlastigen Tempovariante. Hochgradig sinnvoll muten die beiden Gastbeiträge in „Deliverance“ an: In dieser Akustikballade spielt Svante Henrysson ein melancholisches, aber nicht zu düsteres Cello, und Engberg singt ein Duett mit Johan Langqvist, dem Candlemass-Ur-Vokalisten, der sich aktuell zwar in deutlich tieferen Lagen wohlfühlt als vor knapp 40 Jahren, jedoch immer noch eine sehr ausdrucksstarke Stimme mitbringt, die der von Engberg durchaus verwandt ist, aber doch eine etwas andere Färbung aufweist.
Damit sind die strukturell ungewöhnlicheren Songs des Albums Geschichte – der hintere Teil besteht aus vier bzw. fünf „normalen“ Epic-Doom-Nummern im Bereich von sieben bis acht Minuten Spielzeit. Die Doppelzahl bezieht sich darauf, dass der Closer „Hellfire“ als Bonustrack ausgewiesen ist, den nicht Ronnie Bergerström, sondern Max Norman gemixt hat – nur bleibt unklar, welcher Edition dieser Bonus denn fehlt, sieht man mal von der Doppel-LP ab, auf der er kurioserweise durch Abwesenheit glänzt, obwohl er da durchaus noch draufgepaßt hätte, wenngleich dann möglicherweise eine andere Songreihenfolge sinnvoll gewesen wäre, um eine günstige Aufteilung der LP-Seitenlängen zu erreichen. Stilistisch unterscheidet er sich jedenfalls nicht vom Rest und soundtechnisch auch nicht entscheidend, sieht man davon ab, dass Engberg hier in den Strophen einen Deut rauher singt als sonst (oder ist das noch ein nicht erwähnter Gast?). Aber in diesem Block des Albums sind die Sonderzutaten sowieso eher versteckt. Dazu zählen die spacigen Keyboards im Intro von „Age Of The Damned“, die für den Song an sich dann aber keine Rolle mehr spielen und erst im Outro wiederkehren, wobei der Refrain hier wieder zu den Großtaten des Albums gehört und Hagel es fertiggebracht hat, Engbergs Gesangs- und die dahinterliegende Leadgitarrenlinie so nahe beieinander und doch so fern voneinander anzulegen, dass sich beide sinnvoll ergänzen und nicht gegenseitig im Wege stehen. Wie dieser Song bleibt auch „Condemned“ nach seinem pseudosakralen Intro-Einwurf im unteren Tempobereich, aber das Riff des letzteren ist flüssiger arrangiert, wird allerdings durch Akustikeinschübe gegliedert, und bevor jemand sich über mangelndes Tempo beschweren kann, kommt plötzlich ein zügiger Part um die Ecke, was sich im Hauptsolo später nochmal wiederholt, wenngleich dort mit ungewöhnlichen Drumfiguren von Richard Evensand. Der darf in „Dance Of The Devil“ gleich nochmal solche spielen, nämlich im ungewöhnlich rhythmisierten Refrain, den man beim flüchtigen Durchhören eher für eine Bridge halten würde und die lateinischen Choreinwürfe für den eigentlichen Refrain anzusehen geneigt wäre. Der Märchenonkel-Part von Peter Coates hätte zur Peinlichkeit mutieren können, umschifft diese Klippe aber ebenso wie der analoge Part im Schlußteil von „The Hammer Of Witches“ – gebraucht hätte man beide nicht unbedingt, aber sie fallen zumindest nicht negativ aus dem Rahmen, wenngleich auch „Dance With The Devil“ lyrisch nur Klischees wiederkäut und seiner interessant strukturierten, tempowechsel- und ideenreichen Musik diesbezüglich wenig hinzufügen kann. Dass das Gitarren-plus-Atmokeyboards-Intro von „Path Of Perdition“ wohligste Erinnerungen an MSGs „Courvoisier Concerto“ heraufbeschwört, gehört gleichfalls zu den ganz großen Einfällen der Songwritingfraktion aus Hagel und Welén, auch wenn der Übergang in den Hauptteil nicht ganz so spannend gelingt wie der Schenker-Truppe der ins auf der Budokan-Setlist folgende „Lost Horizons“. Besagter Hauptteil gebärdet sich nochmal als überwiegend im unteren Midtempo angelegter, aber mit ein paar schnelleren Passagen ausstaffierter Power Metal relativ bombastischer Prägung, zumal sich die Keyboardteppiche hier weiter durchs Material ziehen als sonst, wo sie eher punktuell oder aber sehr weit im Hintergrund Einsatz finden. Die Leadarbeit bleibt aber den Gitarren vorbehalten, und Niemann und Hallgren zaubern hier abermals ein richtig starkes Exzelsior-Duell quer durch den Quintenzirkel hervor, das den Kenner mit der Zunge schnalzen läßt, während ein großes Bombastfinale in ein feierliches Orgeloutro mündet.
In der Gesamtbetrachtung bleibt somit ein überwiegend sehr erfreuliches Album, das Anhängern von Candlemass und Solitude Aeturnus prima reinlaufen sollte, sofern man in der Lage ist, die geschilderten Plattitüden irgendwie zu überhören und sich von ihnen nicht in seinem Urteil überbeeinflussen zu lassen. Interessanterweise hat Jani Stefanovic, den Insider von einem ganzen Haufen skandinavischer christlicher Metalbands kennen, auf dem Cover zwar mit allen gängigen „Im Geld schwimmende böse Amtskirche verfolgt Hexen“-Klischees gespielt, aber ein subversives Element eingeschmuggelt. Hexen sind in den Klischeedarstellungen nämlich immer rot- oder dunkelhaarig, während wir hier eine weibliche Person vor uns haben, die wahrscheinlich mal blond war, bevor sie trotz ihrer offenkundigen Jugend vorzeitig ergraut ist. Kurios mutet auch das Bandfoto im Booklet an, wo sich das Quintett (ohne Hagel) nicht so richtig entscheiden kann, ob es böse oder neutral schauen soll, wobei man alle Abstufungen sieht. Aber diese Aspekte machen das Werk nicht weniger hörenswert.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Persecution (Intro) | 0:57 |
2 | The Hammer Of Witches | 5:17 |
3 | Lamenting Of The Innocent | 8:47 |
4 | Institoris | 4:53 |
5 | Where Spirits Die | 6:47 |
6 | Deliverance | 5:24 |
7 | Age Of The Damned | 8:00 |
8 | Condemned | 7:12 |
9 | Dance With The Devil | 8:16 |
10 | Path To Perdition | 8:00 |
11 | Hellfire | 7:12 |
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Besetzung |
Anders Engberg (Voc)
Kristian Niemann (Git, Keys)
Peter Hallgren (Git)
Justin Biggs (B, Voc)
Richard Evensand (Dr)
Johnny Hagel (Creative Direction & Songwriting)
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