Simone Graziano Frontal
Sexuality
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Die Fusion von Jazz und Rock hat eine lange Geschichte. Vornehmlich angetrieben durch Miles Davis, entwickelte sich durch die bei ihm seinerzeit beschäftigen Musiker ein breites Feld verschiedener Ausprägungen des Genres, John McLaughlin, Chick Corea, Tony Williams, oder auch Al DiMeola, Lenny White, Stanley Clarke und viele mehr schufen in den Siebzigern etwas Eigenständiges. Die Bewegung verschwand dann nach und nach und letzte Zuckungen in den Achtzigern und spätere Versuche eines Revivals brachten eigentlich nicht mehr die so fruchtbaren Ergebnisse jener Ära.
Und so stelle ich fest, dass unter anderem das italienische Label Auand Records immer wieder Musiker und deren Produktionen vorstellt, die Hoffnung machen auf eine neue Welle der Fusion, die sich einerseits orientiert an den Entwicklungs- und Gründerjahren, und auch viele auf dem Weg zum Heute liegende Einflüsse aufgreift, und andererseits moderne Strömungen einbezieht. So geht es mir auch mit der aktuellen Platte des italienischen Pianisten Simone Graziano, Sexuality heißt sie, und ist die dritte Zusammenarbeit mit dem Projekt Frontal. So las ich, es soll eine Art Konzeptalbum über Polyrhythmen sein. Nun, das klingt in der Tat recht spannend und man wird quasi neugierig, zumal die Musiker bereits seit gut zehn Jahren zusammenspielen und man sich sicher sein kann, auf ein eingespieltes Team zu stoßen.
Und bereits “Kinkali“ bereitet Freude, anscheinend holpernder Rhythmus, ständige Veränderung desselben, Spuren von Musik aus Afrika, Dan Kinzelman am Tenorsaxofon bestimmt die Melodienfolgen, der Drummer Stefano Tamborrino setzt noch seine Stimme zusätzlich ein. Ab gut drei Minuten beginnt eine geheimnisvolle ruhige Phase, hier prickelt es förmlich, man spürt deutlich, wie sich die Band zurückzunehmen scheint, die Energie drosselt und langsam wieder ansteigen lässt. Allein dieser Opener ist dermaßen spannend geraten, dass man sich sicher sein sollte, dass im Verlauf der Platte eigentlich nichts mehr schief gehen sollte, das Pulver dürfte so schnell nicht verschossen sein.
Und so ist es dann auch, die Spannung hält an, das Niveau bleibt gleich, die Nuancen ändern sich, bei “Afror“ erhält der Bassist eine Spielwiese zum kurzen Austoben, und, was konstant bleibt, ist die unglaublich individuell gestaltete Rhythmik, der eingangs erwähnte Hinweis auf ein Konzeptalbum über Polyrhythmen bewahrheitet sich, es ist sehr gelungen. “Unsleepers“ schwebt eher dahin, hier wird es ruhig und man treibt mit der Melodik angenehm und sanft mit. “Buran“ ist heftig und zerrend, für Zartbesaitete sicher auch an den Nerven, und die beiden letzten Songs fügen sich nahtlos in das rhythmische Konzeptvorhaben ein.
Es ist somit gelungen, eine von großer Dichtheit geprägte Musik zu schaffen, die allen Beteiligten Raum zur Entfaltung gibt, ohne jedoch ausufernde solistische Alleingänge zu fördern. Dazu agieren die Musiker zu sehr gemeinsam, benutzen ihre Instrumente zur Gestaltung von großflächigen Bildern mit buntem Ausdruck. Das Kopfkino wird gefordert, man kann sich rasch entführen lassen in diesen brillanten und leidenschaftlichen Klangkosmos, der mit dem Titelsong einen grandiosen Abschluss findet. Kurzum: Thema “Polyrhythmik“ getroffen und prächtig und lebendig und qualitativ hochwertig umgesetzt.
Übrigens, dieses Album ist der Sexualität gewidmet, so steht es im Booklet: “This record pays homage to Sexuality, the vital force that moves the world.“ Nun denn, möge es aphrodisierend wirken!
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Kinkali (5:02)
2 Afror (8:41)
3 Unsleepers (5:04)
4 Buran (8:53)
5 Purity (5:46)
6 Sexuality (9:48)
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Besetzung |
Simone Graziano (piano, Fender Rhodes)
Dan Kinzelman (tenor sax)
Gabriele Evangelista (double bass)
Stefano Tamborrino (drums, percussion, voice)
Reinier Baas (guitar)
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