Harry Kupfer (geb. 12. August 1935), einer der zentralen Musiktheaterregisseure der vergangenen Jahrzehnte, ist einen Tag vor Silvester 2019/20 im Alter von 84 Jahren verstorben. Mit seinen mehr als 200 Inszenierungen hat er die Kunst der Opernregie auf eine neue Höhe geführt und ihr nachhaltige Impulse für die Gegenwart und Zukunft gegeben.
Die Staatsoper Unter den Linden, der Harry Kupfer ab den frühen 1970er Jahren bis zum Ende seines Lebens eng verbunden war, ist ihm für sein herausragendes künstlerisches Wirken zu größter Dankbarkeit verpflichtet. Harry Kupfer hat die Werke, die er gemeinsam mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern auf die Bühne gebracht hat, bis in ihre Tiefenschichten hinein befragt und gedeutet – seine Regiearbeiten zeugen von höchster handwerklicher Souveränität wie von außergewöhnlicher Gedanken- und Einfallsfülle. Oper war für ihn etwas zutiefst Lebendiges, mit beständigen Verweisen auf das Hier und Jetzt. Seine Inszenierungen haben stets das Denken aller künstlerisch Beteiligten wie des Publikumsherausgefordert, mit unbedingter Energie und Überzeugungskraft ist es ihm gelungen, immer wieder Funken aus den Werken zu schlagen, auf dass sie aktuell und aussagekräftig bleiben.
Bereits mit Mitte Zwanzig hatte Harry Kupfer mit dem Inszenieren von Opern begonnen. Nach seinem Debüt in Halle mit Dvořáks Rusalka übernahm der studierte Theaterwissenschaftler die Leitung des Opernensembles am Theater Stralsund und wurde 1962 Oberspielleiter im damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. Vier Jahre darauf wurde Harry Kupfer Operndirektor am Deutschen Nationaltheater und an der Staatskapelle Weimar, bevor er 1972 als Operndirektor und Chefregisseur an die Staatsoper Dresden wechselte. 1981 wurde er als Chefregisseur an die Komische Oper Berlin berufen, die bis in die späten 1990er Jahre das Zentrum seines Wirkens war. Dort inszenierte er u. a. Wagners Meistersinger von Nürnberg, die Erstaufführungen (in der damaligen DDR) von Aribert Reimanns Lear und Händels Giustino, die Uraufführung von Siegfried Matthus’ Judith, Mussorgskys Boris Godunow, Glucks Orfeo ed Euridice, Carmen – Eine Version nach Bizet, Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und Orpheus in der Unterwelt, Händels Julius Cäsar in Ägypten, Donizettis Lucia di Lammermoor, Strauß’ Fledermaus, Beethovens Fidelio, Henzes König Hirsch sowie einen von Idomeneo bis zur Zauberflöte reichenden und unter einem übergreifenden Konzept stehenden Mozart-Zyklus. Noch 2019 führte er im Haus an der Behrenstraße bei Händels Poro Regie.
Parallel zu seiner Arbeit an der Komischen Oper inszenierte Harry Kupfer auch an der benachbarten Deutschen Staatsoper Berlin, beginnend 1971 mit Strauss’ Die Frau ohne Schatten, gefolgt von Verdis Othello 1972, der Uraufführung von Rainer Kunads Sabellicu« 1974, Wagners Parsifal 1977 und Strauss’ Salome 1979, eine Produktion, die über eine Zeitraum von fast vier Jahrzehnten im Repertoire blieb. Ab 1992 inszenierte Harry Kupfer dann die zehn großen Wagner-Opern und -Musikdramen an der Staatsoper Unter den Linden, jeweils gemeinsam mit Daniel Barenboim als Dirigent sowie dem Bühnenbildner Hans Schavernoch. Von 1988 bis 1992 hatten Harry Kupfer und Daniel Barenboim bereits eine Neuproduktion von Wagners Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen realisiert.
Ihre erste Zusammenarbeit an der Staatsoper galt Parsifal. Im Anschluss folgte der komplette Ring bis 1996, bis 2001 dann alle weiteren Hauptwerke. Zu den Festtagen 2002 wurde dann der zehnteilige Wagner-Zyklus zweimal hintereinander geboten, eine besondere Leistung in der Geschichte des Hauses. 2015 lebte die Kooperation von Harry Kupfer und Daniel Barenboim mit Beethovens Fidelio wieder auf. Zuletzt erarbeiteten sie 2018 Verdis Macbeth gemeinsam. Darüber hinaus schuf Harry Kupfer Inszenierungen in Graz, Kopenhagen, Amsterdam, Cardiff, Helsinki, London, Moskau, Zürich, Frankfurt, Köln, Mannheim, Stuttgart, München, Hamburg, Tel Aviv, San Francisco, Tokio und Sydney. In Wien inszenierte er insgesamt sieben Mal an der Staatsoper und der Volksoper, u. a. Krzysztof Pendereckis Die schwarze Maske und Strauss’ Elektra (beides Koproduktionen mit den Salzburger Festspielen), Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten, Tschaikowskys Eugen Onegin und Mussorgskys Boris Godunow. Am Theater an der Wien entstanden Inszenierungen von Strauss’ Ariadne auf Naxos sowie die Uraufführungen der Musicals Elisabeth und Mozart!. Zu Harry Kupfers Arbeiten der letzten Jahre zählten neben dem Berliner Macbeth Inszenierungen von Strauss’ Rosenkavalier bei den Salzburger Festspielen und von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk an der Bayerischen Staatsoper München.
Harry Kupfer war Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, der Freien Akademie der Künste in Hamburg und der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden sowie Professor an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden.
Mit Harry Kupfer verliert die Musik- und Opernwelt einen maßgeblichen Vertreter seines Fachs, einen der stilbildenden Regisseure des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsoper Unter den Linden, die seine intensive Arbeit und seine Begeisterung für die Sache, aber auch seine Zugewandtheit und Menschlichkeit hoch zu schätzen wussten, trauern um einen großen Künstler.
Daniel Barenboim und alle Beteiligten gedachten Harry Kupfer beim Konzert zum Jahreswechsel mit einer Schweigeminute.
[ Staatsoper Unter den Linden]
Internet:
http://www.staatsoper-berlin.de
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