Lahmes Publikum, grandios aufspielende Band: Wishbone Ash live in Augsburg
So wie jedes Jahr fest mit Weihnachten und Silvester gerechnet werden kann, so sind die Frühjahrskonzerte von Wishbone Ash eine Institution. Heuer machen sie erfreulicherweise wieder mal in der Fuggerstadt Station. Ohne aktuelles Album feiern sie 2019 ihr 49-jähriges Bühnenjubiläum, das sie in großen lateinischen Ziffern über die Bühne gehängt haben. So viel Selbstironie muss man sich auch erstmal leisten können. Das Spectrum ist nicht ausverkauft, jedoch sehr gut besucht. Pünktlich geht’s los, das Instrumental „Real Guitars Have Wings“ vom „Nouveau Calls“-Album eröffnet den Abend. Besetzungstechnisch hat sich eine Veränderung ergeben. Für den langjährigen Gitarristen Muddy Manninen ist mit Mark Abrahams ein neuer Gitarrist eingestiegen. Manninen war von 2004 - 2017 fester Bestandteil der Band, sein Gitarrenspiel und seine Bühnenpräsenz haben mir immer sehr gut gefallen. Er möchte sich mehr auf seine Solo-Karriere konzentrieren und hat die Band angeblich deshalb verlassen. Abrahams stammt aus Leeds, ist ein bekannter Studiomusiker und spielt dort in der Band Coyote. Die Band nutzt das Instrumental sehr geschickt, um sich einzugrooven und noch Veränderungen beim Sound vorzunehmen. Andy Powell ist auch heute wieder Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Der seit Jahren alterslose 68-jährige Brite ist das einzig verbliebene Gründungsmitglied, er hält die Band schon seit Jahren auf Kurs. Gesanglich ist er noch immer bestens in Schuss, er wirkt auf der Bühne fit wie ein Turnschuh und spielfreudig wie eh und je. Wishbone Ash pflügen heute Abend quer durch alle Schaffensphasen und dürften so manchem langjährigen Fan mit dieser sehr abwechslungsreichen Setlist sehr erfreut haben. „Front Page News“ gehört etwa in diese Kategorie. Schön ist auch, dass sich Stücke ihres jüngsten Albums Blue Horizon genauso gut in den Klassikerreigen einfügen. „Deep Blues“ fasziniert mich jedes Mal wieder aufs Neue und kommt beim Publikum hervorragend an. Bereits hier zeigt sich, dass sich der neue Mann an der Klampfe – Mark Abrahams – bestens eingefügt hat und das Zusammenspiel mit Andy Powell hervorragend harmoniert. Gesanglich bekommt Abrahams jedoch gar nichts zu tun. Im Gegensatz zu Manninen hat er nicht mal ein Mikro vor sich stehen. Bassist Bob Skeat ist bei allen Songs im Background-Gesang dabei und gibt hier eine gute Figur ab. „Lifeline“ kommt atemberaubend gut rüber und leitet zum unvermeidlichen Argus-Teil, ohne den die Band vermutlich nie die Bühne verlassen kann. Anders als bei manch anderen Combos ist es jedoch so, dass die Musiker gerade diese Songs immer wieder gerne zu spielen scheinen. Fragen sie dagegen Ritchie Blackmore nach „Smoke On The Water“ und der Brechreiz wird nicht mehr lange auf sich warten lassen… „The King Will Come“ wird mit einer derartigen Überzeugungskraft gespielt, dass es mich schier umhaut. Besser kann man das Ganze nicht bringen. Das anschließende „Warrior“ und das in einem Guss gespielte „Throw Down The Sword“ zeigen die Band in einer brillanten Spiellaune. „Throw Down The Sword“ hat gerade hinsichtlich der aktuellen politischen Ereignisse weltweit bis heute leider nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Wenn man denkt, schon alles gesehen zu haben, legen Wishbone Ash noch einen drauf. „Leaf And Stream“ und das sehr melodische „Wings Of Desire“ werden in frischen Akustik-Versionen präsentiert, die willkommene Farbtupfer setzen. Bei „F.U.B.B.“ hat Bassist Bob Skeat seinen großen Auftritt. Mit stoischer Ruhe und der Präzision eines Schweizer Uhrwerks beginnt er den markanten Basslauf des Stückes. Die Band setzt nach und nach ein und versetzt das Publikum dabei fast in Trance. Das Stück ist episch und fasziniert allein durch seine Melodien und Harmonien. Die Musiker spielen sich förmlich in einen Rausch, der nach fast 10 Minuten wie ein Spuk vorbei ist. Das Stück scheint das hüftsteife und heute wirklich sehr lahme Publikum aufgeweckt zu haben, endlich regt sich was! Auch hier bitte wieder mein Aufruf: Weg mit dem Smartpone, schaut euch das Konzert lieber „in echt“ an! Das druckvolle „Jailbait“ und das komplexe „Phoenix“ zeigen einmal mehr das enorme Können der Musiker und leiten gefühlt viel zu früh schon zum Zugabenteil. „Living Proof“, einer meiner Lieblingssongs der Band hält die Stimmung oben und kommt live immer viel besser rüber als auf der Studio-Version. Hier lässt der quirlige Abrahams noch ein richtig cooles Solo vom Stapel. Der Rest der Band sieht ihm dabei zu und bei Skeat und Powell merkt man sichtlich die Erleichterung und die Freude an, mit Abrahams definitiv einen guten Griff gemacht zu haben. Powell meint danach, dass es wichtig ist, ab und zu „frisches Blut“ in die Band zu integrieren. Und ich muss sagen: Abrahams tut den alten Recken wirklich gut! Als letztes Stück kommt „Blowin‘ Free“, bei dem die Band noch einmal aus allen Rohren feuert. Die Stimmung ist hier wirklich gut – schön, dass das Publikum noch die Kurve gekriegt hat! Nach über zwei Stunden verabschiedet sich das bescheidene, sympathische Quartett und das Publikum ist sichtlich begeistert. Was für ein Auftritt! Ich bin total von den Socken, mit einem derart mitreißenden Gig habe ich nicht gerechnet. Sound, Songs, Spielfreude – alles dabei, was einen guten Auftritt ausmacht. Die Enttäuschung des Abends war für mich definitiv das Publikum. Bei manchen hatte ich wirklich das Gefühl, die kommen direkt zum Sterben her. Ein bisschen mehr Begeisterung und Interesse könnte man auch im fortgeschrittenen Alter schon noch zeigen! Setlist: 1. Real Guitars Have Wings 2. Mountainside 3. Deep Blues 4. Come in From the Rain 5. Front Page News 6. Lifeline 7. The King Will Come 8. Warrior 9. Throw Down the Sword 10. Leaf and Stream (acoustic) 11. Wings of Desire (acoustic) 12. F.U.B.B. 13. Standing in the Rain 14. Jailbait 15. Phoenix --- 16. Living Proof 17. Blowin' Free Stefan Graßl |
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