Musik an sich


Artikel
"Wenn du willst, schreibe ich dir ein Punk-Anthem!" (Singer/Songwriter Craig Gerber)




Info
Gesprächspartner: Craig Gerber

Zeit: 24.01.2014

Interview: E-Mail

Stil: Singer/Songwriter, Americana, Folk, Country

Internet:
http://www.craiggerber.de

Mit seinem zweiten Soloalbum Leaving Tonight kann Craig Gerber mit zeitlos gutem Songwriting und feinen Arrangements punkten. Zum 25-jährigen Jubiläum des Labels BSC ein würdiges Werk. Und dass Craig Gerber auch abseits der CD viel zu erzählen hat, kann man hier im Interview nachlesen.

Hallo Craig, könntest Du unseren Lesern zunächst etwas über Dich und Deine schon sehr lange und erfolgreiche musikalische Laufbahn erzählen?

Ich habe mit 10 Jahren mit der Gitarre angefangen und habe all die American-Traditionals gelernt wie, „This Land is Your Land“, „Tom Dooley“ oder „Green, Green Grass of Home“. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht so recht, wer Bob Dylan war, obwohl er auch aus Minnesota stammte, wie ich. Sein Bruder, David Zimmerman, war sogar mein Musiklehrer in der 2. Klasse. Als Kind saugte ich die ganze Musik auf, die im Radio gelaufen ist und versuchte die Songs nachzuspielen.

Später, auf der High School, habe ich in ein paar Bands gespielt. Wir haben Covers gespielt: Neil Young, Lynyrd Skynyrd, Rolling Stones, was so angesagt war. Dann aber haben mich Punk-Rock und Post-Punk-Bands wie Black Flag und Minutemen oder Hüsker Dü aus Minneapolis gepackt.

Nach der High School habe ich meine erste echte Band gegründet, Process Blue. Wir waren ziemlich laut und schnell aber auch melodisch und spielten fast ausschließlich Eigenkompositionen. Wir haben im Vorprogramm von Hüsker Dü und Soul Asylum, u.a. gespielt. Sie waren später auch Freunde und Bekannte von uns, mein Schlagzeuger hat mit Bob Mould in einer WG gewohnt, ich mit Soul Asylum. Ich habe auch in einer Band namens „Bad Thing“ gespielt.

Als ich 1994 nach Bayern kam, habe ich meine Band „Bellibone“ gegründet. Wir haben 1998 ein Album veröffentlicht, „My Strange Autumn“, und waren hier relativ erfolgreich. Wir haben sogar im Vorprogramm von Deep Purple gespielt.

Nach einer längeren Pause von „Bellibone“ fing ich mit meinem Solo-Projekt an. Ich hatte schon viele Lieder geschrieben, und wollte unabhängiger sein. 2010 brachte ich mein erstes Solo-Album, „Time Has Come“ auf dem Label BSC raus. Ich tourte und habe über 100 Konzerte gespielt, mit Band oder Solo.

Du stammst ja aus den USA. Wie hat es Dich denn nach Deutschland verschlagen?

Ich habe an der Universität von Minnesota Deutsch und Geschichte studiert. Dann habe ich nach meinem Abschluss ein Fulbright-Stipendium bekommen und bin nach Deutschland gekommen, erstmal für ein Jahr. Aus einem Jahr wurden zwei Jahren, und ich bin immer noch da...

Wie sind die bisherigen Reaktionen auf Deine neue CD Leaving Tonight? Bist Du mit den Reaktionen zufrieden?

Da das Album am 17. Januar diesen Jahres veröffentlicht wurde geht das Ganze erst jetzt los. Wir müssen es mal abwarten, aber die Reaktionen, die ich bis jetzt bekommen habe waren äußerst positiv. Darüber freue ich mich sehr, natürlich.

Kannst Du von der Musik leben oder hast Du noch einen anderen Job?

Leider noch nicht. Ich bin hauptberuflich Lehrer, wie einst Sting oder der Sänger von Bad Religion. Insofern bin ich in bester Gesellschaft!

Welche Bands oder welche Art von Musik beeinflussen Dich hauptsächlich?

Meine Vorbilder sind hauptsächlich die alten Meister. Bob Dylan, The Band, Neil Young, Tom Petty, Bruce Springsteen, John Hiatt. Ich bin ein Fan des guten Songwriting. Es ist eine Kunstform, ein gutes Lied zu schreiben. Da muss alles passen: Melodie, Rhythmus, Hook, Aufbau und Text. Aber allein all das reicht für ein gutes Lied nicht aus, wenn man den Hörer nicht berührt. Der Hörer muss intuitiv verstehen, was ich ihm sagen will. Ich muss ihn berühren. Und ein gutes Lied kann das Leben des Hörers verändern.

Wie würdet Du selbst Deine Musik beschreiben? Einfach Singer/Songwriter und Americana oder differenzierter?

Ich mache einfach das, was ich mache. Ich versuche nicht unbedingt gezielt in irgendeine musikalische Richtung zu gehen. Oft kristallisiert sich die Richtung oder das Feeling während des Songwriting-Prozesses. Ich bin Amerikaner aus dem mittleren Westen und bin mit den ganzen Einflüssen, die in meiner Kindheit überall präsent waren, aufgewachsen. Country war überall, aber auch Rock, Folk, Pop. Ich habe mich immer für Pop-Strukturen interessiert, und damit ist nicht gemeint Pop im Sinne von alldem, was man so heutzutage im Radio hört. Ich meine: Strophe, Refrain, Strophe Refrain, Bridge, usw. Einprägsame Texte, zeitlose Gefühle. Hank Williams, die große Country-Ikone, war eigentlich einer der größten Pop-Songwriter, die es je gegeben hat.

Meine Musik ist eine Mischung aus allem, was ich über die Jahre aufgesaugt habe, plus meine eigenen Erfahrungen und Gedanken. Ich bin Singer-Songwriter, der im Moment viel Country, Folk und Americana schreibt. Wenn du willst, schreibe ich dir ein Punk-Anthem!

Craig, Du hast ja alle Songs auf Leaving Tonight geschrieben. Inwieweit konnten sich Deine Mitmusiker zum Beispiel bei den Arrangements im Studio mit einbringen? Wie viel gibst Du ihnen vor?

Ich komme fast immer mit fertigen Songs und Arrangements ins Studio. Ich mache vorher Demos zu Hause und sogar die Beats und Rhythmen sind weitgehend vorgegeben. Wenn jemand eine gute Idee z.B. für eine Melodie für die Gitarre hat bin ich ganz Ohr, aber wenn sie mir nicht gefällt, fliegt sie raus. Das ist sicherlich nicht so einfach für die Musiker aber es geht schließlich nur um den Song, sonst nichts. Egos sollen in so einem Prozess keine Rolle spielen. Im Studio bin ich sowieso derjenige, der die ganze Zeit da ist. Die anderen kommen ein paar Tage rein, je nachdem, und gehen wieder. Manche Musiker, mit viel Studio-Erfahrung wissen intuitiv, was sie spielen müssen. Bei anderen gebe ich genau vor, was passieren soll. Ich meine, es ist ja mein Projekt und es trägt meinen Namen. Ich muss am Ende des Tages zufrieden sein.

Wie komponierst und arrangierst Du die Musik? Ist da erst die Musik oder hast Du manchmal auch fertige Texte, die nach einer Musik verlangen?

Das ist unterschiedlich. Manchmal kommen Akkordstrukturen, dann summe ich eine Melodie dazu und denke, das klingt gut. Dann schaue ich welche Textideen so spontan kommen. Manchmal ist das anders. Vielleicht habe ich einfach eine Idee, von der Aussage her, die mir gut gefällt und denke, „Darüber muss man ein Lied schreiben“. Ich schreibe ständig und sammele Texte. Somit habe ich eine Quelle, falls ich Ideen oder „Bauteile“ für ein Lied brauche.

Einmal habe ich sogar für eine Wette ein Lied geschrieben. Ein Freund und ich haben uns auf einer Party gegenseitig herausgefordert, am nächsten Tag um Mittag ein fertiges Lied abzuliefern. Ich meine, das war so um Mitternacht auf dieser Party, sehr spät. Am nächsten Tag lieferte ich „Leave The Light On“, das später auf meiner CD Time Has Come erschien.

Deine Texte sind ja nicht sehr fröhlich, sondern eher nachdenklich, manchmal fast schon traurig und melancholisch? Wie wichtig sind die Texte für Dich und wie viel von Dir selbst oder Deiner Lebenssituation steckt ihn ihnen?

Meine Texte sind für mich außerordentlich wichtig, wie für jeden Singer-Songwriter. Ich schreibe, was aus mir rauskommt, insofern sind meine Lieder autobiographisch. Das heißt aber nicht, dass man alles wortwörtlich nehmen soll, was ich sage. Manchmal sind die Ideen eine Mischung aus Autobiographie und anderen Elementen, Erfahrungen oder Menschen, die ich kenne oder mal kannte.

Ich finde meine Texte aber nicht melancholisch und schon gar nicht traurig aber ich kann es nachvollziehen, dass jemand das meinen könnte. Um ein Lied zu schreiben, muss ich mich öffnen. Ein Künstler muss sich immer öffnen, wenn er andere berühren will. Ich versuche, den Hörer zu berühren und ihn dort abzuholen, wo er genau das versteht, was ich ihm sagen will. Da Trauer und Melancholie ein ganz normaler Bestandteil des Lebens ist, habe ich wohl gute Chancen, jemanden zu erreichen, falls meine Texte so sind.

Ich habe es sogar erlebt, dass Leute geweint haben, während ich ein Lied gespielt habe. Das ist meine Aufgabe als Songwriter und Künstler, die Menschen zum Weinen zu bringen, sie dazu bringen, etwas zu spüren.

Wie habt ihr Leaving Tonight aufgenommen? Wart Ihr als Band an einem Stück im Studio oder sind die Songs und die Aufnahmen eher nach und nach entstanden?

Zwei Lieder stammen aus Live-Studio-Aufnahmen, d.h. wir haben im Studio alle zusammen gespielt und das ganze wurde aufgenommen. Die Vocals wurden dann später als Overdubs aufgenommen, und auch andere Spuren kamen noch hinzu. Aber die meisten Lieder wurden nach und nach aufgenommen und fertiggestellt. Meistens war es so, dass ich erstmal das Tempo und Pilotspuren vorgegeben habe, dann kam das Schlagzeug hinzu. Manchmal habe ich mit dem Schlagzeuger nur mit der Akustik-Gitarre zusammen gespielt. Danach wurde der Rest der Spuren nach und nach eingespielt. Was das Pedal-Steel betrifft, z.B., bin ich zu ihm nach Hause gefahren, wo er seine Spuren eingespielt hat. Diese wurden später im Studio importiert. Die Technik macht’s möglich. Aber wie schon gesagt, ich war derjenige, der immer auf der Matte stand, egal was war.

Wirst Du auch auf Tour gehen, um Leaving Tonight zu promoten? Hast Du eine feste Begleitband oder spielst Du eher Solo-Gigs?

Ja, ich spiele Live-Gigs um Leaving Tonight zu promoten, manchmal mit Band, manchmal Solo. Ich spiele mit meiner Band seit über vier Jahren. Wir haben eine klassische Rock-Besetzung: zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug. Das neue Album erfordert allerdings mehr: Klavier, Cello, Pedal Steel...schauen wir mal, wohin die Reise führt.

Du machst ja das Booking selbst. Wie schwierig ist es für Dich als Künstler an Auftritte zu kommen? Wie viel Zeit musst Du investieren, um ein Konzert zu organisieren?

Ich hatte schon mal Booking-Leute, aber in letzter Zeit habe ich es selber gemacht. Das Problem war, ich war 2013 mit der CD-Produktion von Leaving Tonight beschäftigt und konnte mich kaum um das Booking auch noch kümmern. Dann ist es schwierig. Ich habe aber gerade angefangen, mit einer neuen Bookerin zu arbeiten und bin guter Dinge, dass das klappen wird. Booking ist ein ganz undankbarer Job. Das Bewerben an sich ist das einfachste vom Ganzen. Die größte Arbeit besteht allerdings aus anrufen, nachhaken, noch mal anrufen, warten, noch mal nachhaken, usw. Total zeitaufwändig. Und man will Gigs spielen, die einem was bringen. Ich habe vor ein paar tausend Menschen gespielt und ich habe vor sechs gespielt. Da muss man aber die gleiche Show anbieten, egal wer kommt.

Wie wichtig ist es für Dich, bei einem kleinen aber sehr feinen unabhängigen Plattenlabel wie BSC / Focus Deine CDs zu veröffentlichen? Wie bist Du dort gelandet?

Ich bin über einen guten Freund zu BSC gekommen. Christoph Bühring-Uhle war von meinen Demoaufnahmen begeistert und so sind wir ins Geschäft gekommen. Für mich ist es ganz wichtig, weil ich die komplette künstlerische Freiheit behalten kann. Ich produziere meine Alben selber, muss sie aber auch selber finanzieren. BSC nimmt mir Aufgaben ab, die ich sonst erledigen müsste, wie die Songs auf iTunes und Amazon stellen, Import in die USA in die Wege leiten, Promotion, usw. Und BSC hat Rough Trade als Vertrieb, was sicherlich eine gute Adresse ist. Wir sind dadurch international vertreten.

Welche Gitarrenmarken und welches Equipment verwendest Du?

Meine Akustik-Gitarre ist eine 1994 Martin OM21 mit LL Baggs Tonabnehmer. Als Akustik-Verstärker benutze ich ein Schertler Unico. Ich habe drei E-Gitarren. Meine Hauptgitarre ist eine `68 Fender Telecaster sunburst mit Bigsby. Ein Traum. Dann habe ich eine Rickenbacker und eine Les Paul. Meine Amps sind ein Fender Blues Deluxe und ein Brunetti 059, ein abgefahrener Gitarrenverstärker.

Irgendwelche letzten Worte an unsere Leser?

Ich bin dankbar, für das was ich tue und freue mich auf jeden neuen Fan. Viel Spaß beim Hören von Leaving Tonight und wenn’s Euch gefällt, erzählt es weiter!


Ingo Andruschkewitsch



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