Musik an sich


Reviews
Heinz Rudolf Kunze

Die Gunst der Stunde


Info
Musikrichtung: Songwriter

VÖ: 21.01.2011

(Ariola / Sony)

Gesamtspielzeit: 51:22

Internet:

http://www.heinzrudolfkunze.de


Die ersten vier Jahre seiner Karriere lieferten vier Studio- und ein Live-Album und brachten ihm den Titel „Niedermacher“ ein, weil so furchtbar fröhlich waren seine Texte nicht. Andere entdeckten in ihnen sofort den Deutsch- und Philosophie-Referendar (an dem hannoverschen Mädchen-Gymnasium Käthe Kollwitz-Schule), weil seine oft kryptischen Texte regelrecht nach einer profunden Textanalyse schrieen.

Dann wurde alles anders. Das Cover von Dein ist mein ganzes Herz strahlte im fröhlichen Hellblau und der Niedermacher hopste – passend zur Musik - mit einer alten Rock’n’Roll Gitarre strahlend in die Höhe.

Spätestens(!) mit Brille (1991) habe ich einem meiner deutschen Lieblingsmusiker aus den Augen verloren. (Aber das scheint eher mein Problem zu sein, wie die vielen Top 10, Top 20 und Top 30-Notierungen im Wikipedia-Artikel belegen.) Jetzt liegt ein neues Album vor, und ich nutze Die Gunst der Stunde um eine alte Liebe aufzuwärmen.

Wo ist Heinz Rudolf Kunze jetzt? Antwort: Irgendwo zwischen den beiden beschriebenen Phasen und auch über sie hinaus.
So rockig und poppig wie auf Dein ist mein ganzes Herz ist der Mid-Fünfziger nicht (mehr). Und vereinzelte rockige Töne hat es auch zu Beginn seiner Karriere bereits gegeben. Die gibt es auch hier. So ist „Ich glaub Du liebst mich“ zum Beispiel ein sehr rockiges Liebeslied, wobei Kunze interessanter Weise nicht seiner Geliebten die Liebe gesteht, sondern am Verhalten eben jener erkennt, dass sie ihn liebt. Innovativ!

Dennoch, als Rock-Album würde ich Die Gunst der Stunde nie einsortieren. Dazu liegt der musikalische Tenor zu oft noch weit jenseits des Pops im Liedermacher-Bereich.
Kunze macht auch nicht mehr nieder. Obwohl Stücke wie „In der Mitte der Sanduhr“ oder „Der stille Gast“ sehr konkret über die Vergänglichkeit des (eigenen) Lebens nachdenken.
Interessant ist der Vergleich zweier Lieder vor dem Hintergrund der aktuellen privaten Biographie Kunzes. Das sehr ruhige, vom Cellisten Hagen Kuhr begleitete „Ich liebe Dich” ist ein etwas verkopftes Liebeslied, dem es schwer fällt, wirklich Gefühle zu transportieren, während „Susanne es ist aus“ ein fröhliches himmelhoch jauchzendes Trennungslied mit tollen witzigen Texteinfällen ist.
Sollte Kunze die Trennung von der Ex-Frau innerlich mehr erheben, als die Heirat mit der Jetzigen?

Die Texte insgesamt betrachtet, ist Die Gunst der Stunde ein Album, dass die Vergänglichkeit anspricht, aber den Mut zum fröhlichen, positiven Leben betont. Dafür stehen insbesondere „Hunderttausend Rosen“ und „Wie man tanzt und singt“. Stress wird abgebaut. Mach mal halb lang, ist angesagt („Ganz von selbst“).
Fanatismus oder Radikalität liegt dem gereiften Herrn ferner als je, wie er in „Jeder weiß“ zu erkennen gibt, einem Song, den man gut als Lob der Inkonsequenz bezeichnen könnte.

Politische Töne, die es früher oft gegeben hat, tauchen auf Die Gunst der Stunde kaum auf. Philosophie und Gedankenschwere lauern eher im Hintergrund. Man könnte Kunze gut als einen melancholischen Alltags-Philosophen, der mit sich im Reinen zu sein scheint, bezeichnen.

Vor allem aber ist er er selbst. Das macht er in meinem Lieblingssong des Albums klar. Mit „Unbeliebt” beschreibt er sich als sturen Querkopf, der unbeliebt ist, weil er schlicht macht, was er will – und das mit Pulitzer-Preis verdächtigen Zeilen wie „Mein Blut ist so selten. Dafür gibt’s keine Gruppe“.

Die Gunst der Stunde wird sich nicht in den Reigen meiner Kunze-Lieblingsalben schieben, aber die alte Liebe blüht wieder, vielleicht so abgeklärt und bedächtig, wie Kunze auf ihm daher kommt.



Norbert von Fransecky



Trackliste
1Hunderttausend Rosen 4:09
2 Ich glaub Du liebst mich 2:57
3 In der Mitte der Sanduhr 3:39
4 Ganz von selbst 3:45
5 Kampfzone Mitte 4:22
6 Ich liebe Dich 3:46
7 Trockne Deine Tränen 4:12
8 Susanne es ist aus 3:38
9 Der stille Gast 4:47
10 Wie man tanzt und singt 4:29
11 Eisfrei 4:06
12 Jeder weiß 3:22
13 Unbeliebt 3:47
Besetzung

Heinz Rudolf Kunze (Voc, Keys, Git)
Leo Schmidthals (B, Git, Keys, Voc)
Jörg Sander (Git, Voc)
Jens Carstens (Dr, Perc, Git, Voc)
Zoran Grujowski (Akkordeon, Klavier, Git, Voc)
Matthias Ulmer (Klavier, Orgel)

Gäste:
Die Johnny Blazers:
Lieven Brunckhorst (Sax)
Phillip Kacza (Trompete)
Sebastian John (Posaune)

Hagen Kuhr (Cello)


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